Vor mittlerweile sieben Jahren begann ich, Lucy Maud Montgomerys Anne-Reihe zu lesen. Nach den beiden ersten Bänden schlief das Leseprojekt leider ein – zunächst wollte ich mich anderen Büchern widmen und später geriet das Projekt einfach in Vergessenheit. Doch die großartige Netflix-Adaption „Anne with an E“ wurde weiterverfolgt und geliebt. Auf der diesjährigen Leipziger Buchmesse wiederum entdeckte ich am Stand von Tokyopop die Manga-Adaption „Anne mit den roten Haaren“, die seit November 2024 erstmals auf Deutsch vorliegt. Bisher sind drei der insgesamt fünf Bände bei Tokyopop erschienen.
Band 1 und 2 von Yumiko Igarashis Manga begleiten Anne von ihrer Ankunft auf Green Gables über ihre ersten Freundschaften und die Rivalität mit Gilbert Blythe bis hin zu der berühmten Mutproben-Szene, bei der Anne auf dem Dach balanciert. Das entspricht fast der Hälfte von Lucy Maud Montgomerys erstem Anne-Band „Anne of Green Gables“.
Yumiko Igarashi hält sich inhaltlich sehr stark an die Vorlage – nur eben deutlich kürzer erzählt. Das führt dazu, dass bestimmte interpersonelle Entwicklungen mit mehr Tempo ablaufen (müssen). So entwickelt Marilla Anne gegenüber deutlich schneller Verständnis, öffnet sich leichter und zeigt sich seltener streng als im Buch oder in der Netflix-Serie. Auch mit Tratschtante und Möchtegern-Dorfpolizistin Rachel Lynde gibt es nur den berühmten Konflikt bei der ersten Begegnung – danach taucht Mrs. Lynde selten auf und es geht durchweg harmonisch zu.
Die inhaltliche Straffung geht aber leider zu Lasten der Entwicklungen zwischen Anne und Gilbert Blythe. Im Manga wird dadurch nur schwer nachvollziehbar, warum Anne ihm gegenüber so feindselig eingestellt ist, obwohl er sich immer wieder bemüht, sich mit ihr zu versöhnen und Freundschaft zu schließen.
Trotz dieser Straffungen fehlt es der Manga-Version aber nicht an der typischen Atmosphäre, die die Geschichten um Anne Shirley ausmachen: der Zauber der Natur, die Ode an Fantasie und Tagträume, die großen Emotionen und der Wert von Freundschaft und Familie. Wie in Lucy Maud Montgomerys „Anne of Green Gables“ finden wir auch in Yumiko Igarashis „Anne mit den roten Haaren“ eine überwiegend heile Welt vor – doch hin und wieder schimmern ernstere Themen hindurch, zum Beispiel wenn Marilla Anne fragt, ob die Familie, bei der sie vorher lebte, sie gut behandelt habe und Anne kurz sprachlos ist, bevor sie nervös abwiegelt (Band 1, S. 52 f.).
Optisch ist der Manga sehr schön und abwechslungsreich gestaltet: Erwachsene und ihre „Welt“ sind recht klar, strukturiert und clean gehalten; Anne und die anderen Kinder sind dagegen mit großen Augen, ausdrucksstarker Mimik und übertriebenen Gesten dargestellt – was sehr gut zu Annes Temperament und großen Emotionen passt. Besonders gelungen sind die Darstellungen der Natur: Mit vielen Details, Bewegungen und Lichteffekten fängt Yumiko Igarashi die Jahreszeiten und die Schönheit von Avonlea ein und ich hoffe, dass uns in den Folgebändern noch weitere ganzseitige Naturpanoramen erwarten.
„Anne mit den roten Haaren“ eignet sich als Manga daher gleichermaßen für Anne-Neulinge, für Manga-Neulinge sowie für Fans, die in die heile Welt von Avonlea zurückkehren möchten. Ich freue mich schon jetzt darauf, die verbliebenen Bände zu lesen und habe auch wieder Lust darauf bekommen, das Anne-Leseprojekt fortzusetzen.
Bisher erschienene Blogposts zum Leseprojekt #träumenmitAnne:

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