Wisst ihr noch, als ihr Kinder und ganz sicher wart, dass im Dunkeln, unter Betten und hinter Schränken etwas lauert, das nicht entdeckt werden möchte? Was, wenn eure Fantasie euch keinen Streich spielte und euer Gefühl euch nicht trog? Dort hinten in der Ecke – hat da nicht gerade etwas geraschelt? Und warum ist ohne ersichtlichen Grund der Stift vom Tisch gefallen?

Vielleicht wohnt unter eurem Fußboden eine Gruppe Wan Tau.

Wan Tau sind winzige, friedliche Kobolde, die auf den ersten Blick an Ewoks erinnern und Experten im Tüfteln und Basteln sind. Jeden Tag schwärmen einige von ihnen, sogenannte Nützenbeuter, aus und suchen in unseren Wohnungen und Häusern nach Dingen, die wir nicht mehr benötigen. Ob Stoffreste, Gläser oder ausrangiertes Spielzeug – für alles finden die Wan Tau eine Verwendung, zum Beispiel als Baumaterialien oder Kleidungsstücke. Zugegeben, damit sind sie nicht alleine: Bereits Mary Norton hat uns mit den Borgern ein Volk gezeigt, das versteckt lebt und sich immer wieder Gegenstände der Menschen „ausborgt“. Im Gegensatz zu den Borgern droht den Wan Tau momentan aber keine Gefahr durch die Menschen, sondern aus ihrer eigenen Welt.

Illustration des Dorfes der Wan Tau. © John E. Brito

© John E. Brito

Als die Wan Tau einer Gruppe von Wanderern helfen, werden sie augenblicklich zur Zielscheibe rücksichtsloser Echsenwesen. In ihrer Gier nach dem Kostbarsten, das die Wan Tau kennen, ziehen die Echsenwesen in den Krieg gegen die friedlichen Kobolde. Um das Dorf zu retten, bricht der junge Wan Tau Leto auf und sucht nach erfahrenen Kämpfern, die bei der Verteidigung gegen die überlegenen Feinde helfen. Seine Suche führt ihn weit hinaus in Regionen, die seit Jahren kein Wan Tau mehr betreten hat und in denen Wesen leben, die bereits auf ihre nächste Beute lauern …

Mit „Das Dorf unter dem Fußboden“ hat John E. Brito die tradierte Heldenreise für ein junges Publikum aufgearbeitet und greift dabei auch auf andere bewährte Elemente zurück. So ist ein Kinderbuch entstanden, das von Freundschaft und Familie, von Mut, Cleverness und Hilfsbereitschaft, aber auch von Schicksalsschlägen und Ablehnung handelt. Erzählt wird dies auf kurzweilige und kindgerechte Weise: Die guten und bösen Rollen sind fast ausnahmslos fest zugeschrieben, Momente der Gefahr wechseln sich mit Momenten der Hoffnung und des Glückes ab und liebevoll gestaltete Illustrationen in warmen Farbtönen laden zum Verweilen in der Welt der Wan Tau ein.

Optisch sind Leto und seine Freunde mit kindlichen Zügen gestaltet, sodass sich junge Lesende leicht mit den niedlichen Wesen identifizieren und sie ins Herz schließen können. Sofort möchte man die Wan Tau beschützen oder mit ihnen gemütlich und unbesorgt in großer Runde zusammensitzen. Doch man staunt auch über all die anderen Wesen, die von den Menschen unentdeckt unter Fußböden, in der Kanalisation und in der Natur zu finden sind: Da gibt es freundliche Wesen wie Knautbolde und Hirschraupen, aber auch gefährliche Schlammschrate und Reißermahren, vor denen man sich hüten sollte.

Nebenbei amüsiert man sich immer wieder über die Welt der Menschen. Denn aus der Perspektive der Wan Tau betrachtet, ist diese wirklich voller Seltsamkeiten. Und anders als manche Menschen haben die Wan Tau erkannt, wer in dieser Welt wirklich das Sagen hat: vierbeinige, pelzige Wesen mit funkelnden Augen.

Fazit:

Mit „Das Dorf unter dem Fußboden“ hat Autor und Künstler John E. Brito ein Kinderbuch geschaffen, das ich als Kind sehr gemocht hätte (und dessen Lektüre ich auch als Erwachsende noch genossen habe). Es vereint liebenswerte Figuren, die über sich hinauswachsen müssen, mit geheimnisvollen Zwischenwelten, zeitlosen Themen und Illustrationen, die detailreich die Welt der Wan Tau zum Leben erwecken, aber genug Spielraum für die eigene Fantasie lassen. Junge Lesende erwartet somit eine kunterbunte, Spaß machende Lektüre – und am Ende die Andeutung auf weitere Abenteuer.

John E. Brito: „Das Dorf unter dem Fußboden“, Knautbold 2017, ISBN: 978-3-9504367-1-6