LambDie elfjährige Tommie soll eigentlich nur Zigaretten schnorren, doch was sich aus dieser kleinen Tat entwickeln soll, hätte wohl weder sie noch David Lamb, von dem sie die Zigaretten erschnorren will, erwartet. Die beiden kommen ins Gespräch und dem 54-jährigen Lamb wird schnell klar, dass Tommie zu der Art Mädchen gehört, die immer und überall nur Mittelmaß sind: Sie ist hübsch, nicht klug, nicht sportlich, nicht beliebt. Auch ihre beiden Freundinnen, die sie an diesem Tag zum Schnorren beauftragt haben, nutzen Tommie nur aus und machen sich einen Spaß aus ihr. Lamb hat Mitleid mit Tommie und überredet sie, ihren „Freundinnen“ einen Streich zu spielen, indem er so tut, als würde er das Mädchen entführen. Tommie lässt sich darauf ein und obwohl dieses Erlebnis sie ängstigt, taucht sie am nächsten Tag erneut an der Stelle auf, an der sie und Lamb sich begegneten. In  den folgen Tagen treffen sich die beiden häufiger, Lamb lädt sie täglich zum Essen ein und es entwickelt sich schnell eine Vertrautheit zwischen der 11-Jährigen und dem 43 Jahre älteren Mann. Nach einiger Zeit beschließen die zwei, gemeinsam zu Lambs Hütte in die Berge zu fahren. Es soll nur eine Woche werden – am Ende wird ihr Trip jedoch fast einen Monat dauern. Während dieser Zeit nähert sich Lamb, der sich gegenüber Tommie nicht mit seinem richtigen Namen, sondern als Gary vorstellt, dem kleinen Mädchen immer mehr an: Er küsst sie, schläft neben ihr, wäscht sie. Dabei manipuliert David alias Gary die 11-Jährige, indem er sich ihre Zuneigung mit Kleidung und Essen erkauft, ihr unaufhörlich Komplimente macht. Er redet ihr ein, was sie wollen soll und was nicht, verdreht ihr die Worte im Mund und macht ihr ein schlechtes Gewissen, indem er ihr prophezeit, dass sie ihn irgendwann vergessen wird. Tommie fällt blind darauf herein. Sie lässt alles über sich ergehen und fühlt sich schnell zu ihm hingezogen.

Ein Buch mit so einer Geschichte muss doch aufwühlen, es muss bewegen, oder?! Tatsächlich gehen die Meinungen der Leser zu „Lamb“ weit auseinander und auch ich muss mich in die Gruppe derer einreihen, die von Bonnie Nadzams erstem Roman enttäuscht wurden.

Bonnie Nadzam ist es nicht gelungen, mich emotional mitzunehmen, da die Autorin nur die Taten und die Dialoge ihrer beiden Protagonisten zum Erzählen ihrer Geschichte nutzt. Man erfährt nur wenig über Tommies und Lambs Leben außerhalb dieser fragwürdigen Beziehung und noch weniger über ihre Gedanken und Gefühle. Insbesondere was in Tommie während der Zeit mit Lamb vorgeht, wird den Lesern vorenthalten. Das macht eine Identifizierung schwierig. Was lässt Tommie ihre Meinung von einer Sekunde auf die nächste ändern? Warum schenkt sie Lamb so schnell so viel Vertrauen? Warum tut Lamb, was er tut – was ist seine Motivation, was sein Ziel? Diese Fragen lässt Bonnie Nadzam unbeantwortet. Doch genau das ist mir als Leserin wichtig. Bei einem derart schwierigen Thema möchte ich die Gedanken und Gründe der Charaktere kennen und verstehen. Das ist bei „Lamb“ nicht möglich. Im Gegenteil: Nadzam schafft noch zusätzliche Distanz, in dem sie ihre Absätze immer wieder mit „Let’s say“ oder „We’ll say“ beginnt, was der ganzen Geschichte etwas rein Hypothetisches verleiht, sodass ich als Leserin immer nur Außenstehende blieb und mir ein Zugang zu den Figuren verwehrt wurde.

Tatsächlich hat Bonnie Nadzam mich als Leserin mehrfach verloren, da in „Lamb“ erstaunlich wenig passiert: Die meisten Seiten bestehen aus inhaltsleeren Dialogen – Lamb ist permanent am Reden ohne dabei wirklich etwas zu sagen, stattdessen wiederholt er sich wieder und wieder, was zwar Tommies Gehirnwäsche dienlich sein soll, mich als Leserin aber schnell ermüdete und mich fragen ließ, wie Tommie diesem ständigen Gelaber nicht schon nach zwei Tagen überdrüssig sein kann. Stellenweise langweilte ich mich sogar regelrecht während des Lesens, beispielsweise als Nadzam sechs Seiten lang schildert, wie Lamb mit Tommie Outdoor-Kleidung einkauft – eine von vielen zu ausschweifenden Stellen, die weder etwas (Neues) über die Figuren verraten, noch für den weiteren Verlauf der Geschichte relevant sind und deren Seiten die Autorin besser für den Ausbau der Charaktere verwendet hätte.

Fazit:

Bonnie Nadzams „Lamb“ bietet mit seiner Thematik viel Potenzial für eine Lektüre, die keinen Leser unberührt lässt. Doch hat die Autorin dieses Potenzial regelrecht verschleudert, indem sie ihre Leser aus dem eigentlichen Leben und der Gedankenwelt ihrer Charaktere aussperrt. Der ein oder andere Leser wird diese Distanz bei einer solchen Thematik vielleicht brauchen, für mich ist sie in so einem Fall ein No-Go. Ich griff zu „Lamb“, um die Beweggründes eines Mannes wie David Lamb zu verstehen, einen Einblick in dessen Psyche zu erhalten – Nadzams Roman versucht jedoch gar nicht erst, dem Warum auf den Grund zu gehen und so lässt mich die Lektüre des Buches unbefriedigt mit der Frage zurück, was überhaupt die Intention der Autorin war.

Diese Rezension ist auch als Gast-Beitrag auf Lesen macht glücklich erschienen. An dieser Stelle daher ein Dankeschön an MacG für die Bereitstellung des Buches!