Connie Willis‘ Zeitreiseroman „Blackout“ wäre mir ohne Sabines #WomeninSciFi-Aktion komplett entgangen. Denn obwohl „Blackout“ und die Fortsetzung „All Clear“ vor über zehn Jahren erschienen, habe ich Willis‘ Bücher bislang nur auf Sabines Blog Binge Reading & More gefunden. Und ich verstehe absolut nicht, wieso die beiden Zeitreisebände nicht mehr Sichtbarkeit erhalten haben. Ich habe es geliebt, die Erlebnisse der zeitreisenden Historiker*innen zu verfolgen – und die Figuren sehr schnell ins Herz geschlossen.
„Blackout“ führt uns zunächst ins Oxford im Jahre 2060. Zeitreisen sind nicht nur möglich, sondern werden völlig normal und selbstverständlich für die Geschichtswissenschaft genutzt. Das alles läuft hochprofessionell ab: Es gibt Teams, die nur für die Beschaffung der historisch korrekten Kleidung und Accessoires zuständig sein, Teams, die nach einem passenden Ort für das jeweilige Zeitreisetor suchen, und zur Vorbereitung auf die Zeitreisen gibt es – ergänzend zum Selbststudium – Implantate, die bspw. für den richtigen Akzent sorgen oder eine Menge an Zahlen und Fakten im Gedächtnis verankern.
Doch aktuell läuft all das nicht so rund ab: Geplante Reisen werden plötzlich und ohne Begründung abgesagt oder verschoben, andere Reisen werden trotz fehlender Vorbereitung vorgezogen und immer häufiger kommen Historiker*innen zu einer anderen Zeit oder an einem anderen Ort als geplant an. So wird Michael Davies, der sich auf eine Reise zu Pearl Harbor vorbereitet, mit wenig Vorlaufzeit zur Evakuierung der Soldaten in Dünkirchen geschickt.
Bei Polly und Merope dagegen scheint zunächst alles nach Plan zu verlaufen. Wie Michael reisen beide ins Jahr 1940 – Polly möchte das Leben von Verkäuferinnen in London observieren, Merope sammelt Einblicke in den Alltag von evakuierten Kindern, die von ihren Eltern aufs Land geschickt wurden, um sie vor den Angriffen auf London zu schützen.
Doch bald zeichnet sich ab, dass etwas nicht stimmt: Ihre Zeitreisetore öffnen sich nicht mehr und/oder können nicht genutzt werden, weil andere Menschen in der Nähe sind. Während Merope, Polly und Michael noch hoffen – und sich einreden –, dass diese Probleme nur temporär sind oder bald ein Rettungsteam aus Oxford eintrifft, sind sie tagtäglich auch mit Ängsten und Ärgernissen der historischen Epoche konfrontiert: Nächte in Bunkern, Sorgen über neue Bekannte, ein Masernausbruch mit monatelanger Quarantäne, ausfallende oder mitten im Nirgendwo stoppende Züge sind nur ein Teil ihres neuen Alltags.
Genau das machte für mich auch den Reiz an „Blackout“ aus. Der Roman ist kein klassischer Pageturner, hier geht es nicht um immer neue dramaturgische Höhepunkte oder Nervenkitzel. Stattdessen macht Connie Willis genau das, was ich mir als Schülerin vom Geschichtsunterricht in der Schule erhofft habe: Sie lässt uns teilhaben an dem Alltag der Menschen während des Zweiten Weltkriegs, der von großem Leid geprägt war und gleichzeitig so normal wie möglich weiterlaufen musste – mit schwierigen Kund*innen auf Arbeit, (Kinder-)Krankheiten, aber auch mit Momenten der Freude und des Zusammenhalts und ja, auch mit Klatsch und Tratsch.
Das liest sich umso interessanter, weil Willis ihre Figuren sehr glaubhaft, nahbar und vielschichtig gestaltet hat. Ich habe in ihrem Roman nahezu keine schablonenhafte Figur entdeckt und selbst Nebenfiguren wie der Schauspieler Sir Godfrey oder die ständig Unsinn treibenden Geschwister Alf und Binnie sind fein ausgearbeitet. Dabei ist es Connie Willis gelungen, zu zeigen, wer jede einzelne Figur wirklich ist, was sie ausmacht, wie sie denkt und fühlt und was sie antreibt, ohne dass sie diese Eigenschaften ausformulieren musste.
Als Leserin war ich aber auch deshalb so gebannt, weil ich alles nur aus Sicht der Zeitreisenden in den Jahren 1940 und 1944 erlebte. Ich wusste nie mehr als die Hauptfiguren – genau wie sie konnte ich nur mutmaßen, was der Grund für die Probleme ist und was eventuell in Oxford in 2060 vorgefallen ist.
Leider beenden wir das Buch ohne Klarheit, denn „Blackout“ endet extrem offen, genauer gesagt: mittendrin. Connie Willis wollte die Geschichte ursprünglich in nur einem Band erzählen, doch dann uferte alles so aus, dass daraus zwei Bände entstanden. Die letzte Seite von „Blackout“ fühlt sich demnach auch so an, als hätte man das Buch einfach wahllos irgendwo durchgeschnitten. Für die Auftrennung zwischen den beiden Bänden hätte es einige Kapitel früher einen deutlich besseren Zeitpunkt gegeben.
Fazit:
„Blackout“ ist ein wirklicher Geheimtipp in der riesigen Sammlung an Zeitreiseromanen. Sehr durchdacht, akribisch recherchiert und mit hervorragend gezeichneten Figuren. Ich empfehle aber, die Fortsetzung „All Clear“ direkt griffbereit zu haben.
Geplauder