Meine Besuche der Leipziger und Frankfurter Buchmessen zwischen 2017 und 2019 ließen mich unmotiviert, erschöpft und teils gelangweilt zurück. Die Luft war raus und ich war unsicher, ob ich in absehbarer Zeit noch mal eine Buchmesse besuchen würde. Dann kam die Corona-Pandemie und diese Frage hatte sich von erübrigt. Seit Herbst 2022 sind die beiden Buchmessen zurück, doch ließ ich die FBM22 und die LBM23 an mir vorüberziehen. Tatsächlich gingen sie fast unbemerkt an mir vorbei und wenn ich zufällig Eindrücke der Messen las/sah, waren sie mir mehr oder weniger egal. Also nein, ich habe die Buchmessen in den letzten Jahren nicht vermisst. Trotzdem hatte ich mir schon Ende 2022 einen Besuch der FBM23 fest vorgenommen. Der einzige Grund: das Gastland Slowenien.

Als ich nun am Messesamstag eintraf (irritierenderweise ohne Taschenkontrolle!) und die Stände sah, holte mich überraschenderweise schnell das frühere Messefeeling ein. Anscheinend hat mir das Flair der Buchmessen, das Stöbern zwischen Regalen, das Besuchen literarischer Veranstaltungen und die omnipräsente Liebe zum Buch wohl doch mehr gefehlt, als mir bewusst war. Sogar die Menschenmassen fand ich weniger erschlagend, als ich es in Erinnerung hatte – wenngleich in Halle 3 der Verkehr temporär stillstand, weil ein Ganges beidseitig von langen Warteschlangen belegt war und sich die bei den Jugendbuchverlagen üblichen Menschenmassen aus allen Richtungen in den verengten Gang quetschten. Hier können Messe und Verlage definitiv noch nachbessern, beispielsweise durch Einbahnstraßen innerhalb der Hallen oder indem alle Signierstunden nur noch in dem dafür eingerichteten Meet the Author-Bereich stattfinden.

Um mich nicht ständig in die Menschenmassen quetschen zu müssen und den 14-Stunden-Tag gut zu überstehen, habe ich bei der FBM23 einiges anders gemacht als bei früheren Messebesuchen: Ich habe mir mehrere lange Pausen gegönnt und mich auf wenige Orte und noch weniger Programmpunkte fokussiert.

Tatsächlich fand ich das Programm der diesjährigen Frankfurter Buchmesse auch eher dünn und unspektakulär. Vor allem in Anbetracht des 75-jährigen Messejubiläums gab es wenige Highlights; eine festliche Messestimmung war nicht zu spüren. Lag es daran, dass aufgrund der Inflation vieles finanziell nicht zu stemmen war?

Immerhin: Bei wenig Programm konnte auch nicht das Gefühl aufkommen, irgendwo irgendetwas zu verpassen. Ich konnte mich einfach treiben lassen oder verweilen, wann, wo und wie lange ich wollte. Die großen Verlage und Auftritte der berühmteren Autor*innen wie zum Beispiel Cornelia Funke habe ich während meines Messetages bewusst ignoriert. Stattdessen konzentrierte ich mich auf das Gastland Slowenien, Kinderbücher, besonders schön gestaltete Bücher und Klassiker.

Meine Entdeckung des Jahres: der CalmeMara Verlag

Ich war noch keine halbe Stunde auf der Messe unterwegs, als mein erster Stopp direkt zur Verlagsentdeckung des Jahres für mich wurde. Beim Bielefelder CalmeMara Verlag fand ich nicht nur wunderschöne, illustrierte Kinderbücher, sondern erfuhr von den Mitarbeiterinnen auch mehr über das Engagement des Verlags in den Bereichen Tier-, Umwelt- und Klimaschutz. Ursprünglich erschienen im Verlag Bücher über die Tiere des Begegnungs- und Gnadenhofs Dorf Sentana. Bis heute spendet der CalmeMara Verlag 25% seiner Erlöse an die Sentana Stiftung zur Unterstützung des Bielefelder Begegnungs- und Gnadenhofs.

Neben den wahren Geschichten finden sich mittlerweile auch fiktive Tiergeschichten im Programm, u. a. das slowenische Wendebuch „Das Spiegel-Zebra“. Die Bücher des Verlags drehen sich dabei immer um universelle, wertvolle Themen wie Vielfalt oder den Umgang mit (negativen) Emotionen. Darüber hinaus achtet der Verlag auf eine nachhaltige und tierfreundliche Produktion.

Wenig verwunderlich also, dass mein Messetag direkt mit zwei Buchkäufen beim CalmeMara Verlag begann.

I FEEL SLOVENIA – again: Slowenien als Gastland der Frankfurter Buchmesse

2019 – bei meinem letzten FBM-Besuch – war ich von dem kalten, sterilen Auftritt des Gastlands Norwegen sehr enttäuscht. Der Slowenien-Pavillon hat mir im Vergleich dazu deutlich besser gefallen. Beim Betreten des Ehrengast-Pavillons war ich zwar anfangs noch nicht begeistert, aber je länger und öfter ich im Pavillon verweilte und je mehr kleine Details ich wahrnahm, desto einladender und entschleunigender empfand ich den Pavillon.

Vieles in dem Pavillon – wie die aufgestellte Schaukel – erinnerten mich allerdings stärker an das Baltikum, insbesondere an Estland, und weniger an Slowenien. Slowenien heißt für mich: Weite, Berge, Wälder, saftig grüne Wiesen, urbane Kultur, Meer, mediterranes Flair und offene, fröhliche Menschen mit außergewöhnlicher Gastfreundschaft. All das fand ich nicht in der Raumgestaltung – es spiegelte sich aber in den ausgestellten Büchern wider und so fiel es mir schwer, mich für nur einen Buchkauf zu entscheiden. Am Ende entschied ich mich für „Unter die Oberfläche“, einem Band mit Erzählungen von Mojca Kumerdejs. Darin erzählt die Autorin u.a. von unbequemen Wahrheiten wie dem Fall der Mutter, die die Geburt ihres Kindes bereut.

Während meines Messebesuchs wurde der Slowenien-Pavillon außerdem zu meiner persönlichen Oase der Ruhe. Wann immer ich eine Pause vom Messetrubel brauchte und meine Akkus aufladen musste, kam ich hierher. Und damit wurde der Ehrengast-Pavillon doch noch zu dem, was Slowenien für mich war und ist: ein Ort der friedlichen Ruhe, der einlädt, innezuhalten, anzukommen, zu verweilen, zu genießen und einfach nur zu sein.

Außerhalb des Ehrengast-Pavillons war das Publikum u.a. dazu eingeladen, die Welt der slowenischen (Buch-)Illustration kennenzulernen. In Halle 4 stellten die Slowenische Buchagentur und das Zentrum für Illustration Bilder slowenischer Illustrator*innen aus, die von der Vielfalt der Stile und Themen zeugten. Wer wollte, konnte Motive im Postkartenformat mitnehmen oder ausgewählte Kunstdrucke kaufen. Meine Merkliste an Wunschbüchern ist hier noch einmal bedeutend gewachsen und ich kann euch nur empfehlen, euch selbst mit slowenischen Kinderbüchern auseinanderzusetzen.

Messe-Highlight: Benjamin Lacombe

Für die FBM23 konnte das Verlagshaus Jacoby & Stuart erneut meinen Lieblingsillustrator Benjamin Lacombe nach Deutschland holen. Lacombe stand während der Messe an mehreren Tagen für Präsentationen und Gespräche auf der Bühne und bot mehrere, lange Signierstunden an. Letztere waren so begehrt, dass sie schnell ausgebucht waren. Für die Signierstunde am Messesamstag konnte der Verlag kurzfristig weitere Plätze anbieten: Benjamin Lacombe wollte noch mehr Fans die Freude eines signierten Exemplars bereiten, indem er schneller zeichnete. Das war mein Glück! Nachdem ich direkt am Morgen Lacombes Version von „Die kleine Meerjungfrau“ beim Stand von Jacoby & Stuart kaufte, konnte ich noch einen der neuen Plätze ergattern.

Doch Buchkauf und Signierstunde waren nicht meine eigentlichen Messepläne. Am wichtigsten war mir der Besuch von Benjamin Lacombes Buchvorstellung. Rund eine Stunde lang sprach er open air über seine Arbeit an „Geschichten von Samurai-Frauen“. Zu diesem Buch motivierte ihn, dass weibliche Samurai kaum repräsentiert sind: Obwohl weibliche Samurai keine Ausnahme waren, begegnen sie uns selten in Literatur, Film und Serien – und wenn doch, werden sie oft sexualisiert dargestellt. Wie Benjamin Lacombe bei seinen Recherchen schnell feststellte, existierten auch nur zwei Bücher, die sich mit Samurai-Frauen beschäftigen. Zusammen mit Sébastien Perez machte Lacombe es sich zur Aufgabe, die Geschichten von weiblichen Samurai zu entdecken und zu erzählen. Lacombe und Perez geben diesen Frauen eine Stimme, machen sie sichtbar. Ihr Buch dreht sich somit um weit mehr als Geschichte und Kultur Japans. Folglich ging es in der Buchvorstellung auch schnell um Themen wie Diskriminierung, von der überall und immer wieder die gleichen Personengruppen betroffen sind.

Neben der inhaltlichen Arbeit sprach Lacombe auch über die visuelle Gestaltung wie die Farbwahl oder der künstlerischen Freiheit. Beispielsweise ließ er in einem Bild als Hommage an Hayao Miyazaki den Feuergeist Calcifer auftreten und verzichtete bei seiner Darstellung einer Samurai auf das zweite Paar Augenbrauen und die schwarzen Zähne, welche die als schön beschriebene Frau auf einer historischen Abbildung hat.

Benjamin Lacombe sprach über die Recherchen und die gestalterische Arbeit mit so viel Leidenschaft und vermittelte viel Hintergrundwissen. Ich hätte ihm noch etliche Stunden mehr zuhören können und ließ mich von seiner Begeisterung so sehr anstecken, dass ich ein zweites Mal zum gut besuchten Stand von Jacoby & Stuart ging, um „Geschichten von Samurai-Frauen“ zu kaufen und signieren zu lassen.

Von der Macht der Übersetzer*innen

Den Abschluss des Messetages bildete eine ungewöhnliche Lesung des VdÜ (Verbands deutschsprachiger Übersetzer/innen literarischer und wissenschaftlicher Werke). Yvonne Griesel, Naemi Schmidt-Lauber, Henning Borchert und Andreas Rüttenauer lasen Ausschnitte aus Werken von Shakespeare, Austen, Molière und Tschechow – in jeweils unterschiedlichen Übersetzungen. Dabei wurde immer eine kurze Passage nacheinander in den jeweiligen Übersetzungen vorgetragen, sodass das Publikum einen unmittelbaren Vergleich ziehen konnte. Dieser Übersetzungsvielfalt zuzuhören, war amüsant, aber gleichzeitig auch beunruhigend, denn die Beispiele zeigten, welchen Einfluss Übersetzer*innen haben.

Wie ein Text übersetzt wird, hat nicht nur Auswirkungen darauf, wie zugänglich er für ein Publikum ist, sondern auch, wie Figuren und Themen wirken. Wenn zum Beispiel ein Satz von Person A mit „Ich möchte ungern“ übersetzt wird und in Übersetzung B „Ich will keinesfalls“ lautet, transportiert dieser eine Satz je nach Übersetzung eine andere Botschaft. Selbst ein simples „Nein“ wurde in einer Bandbreite von „Nö“ bis „Keineswegs“ übersetzt.

Andere Beispiele zeigten, wie Übersetzer*innen Teilsätze oder – im Fall von „Romeo und Julia“ ganze Dialoge – strichen oder eigene Aufzählungen ergänzten.

Ältere Werke liegen glücklicherweise inzwischen in mehreren Übersetzungen vor, sodass jede*r Leser*in selbst entscheiden kann, welche Übersetzung am passendsten scheint. Im Idealfall hat man genug Kenntnisse der Originalsprache, um die Nähe zum ursprünglichen Text zu beurteilen. In den meisten Fällen werden Lesende diese Möglichkeit aber selbstverständlich nicht haben und es bleibt nur Vertrauen in die Wahl der Übersetzer*innen und deren Arbeit.