Nachdem Urasawa mich am Ende von Band 1 in einem ziemlich spannenden Moment einfach stehen ließ, wollte ich so schnell wie möglich zu den „20th Century Boys“ zurück. Die liebe Miss Booleana hat das auch direkt zu meinem Geburtstag möglich gemacht (danke dafür!).

Im zweiten Band überschlagen sich schon bald die Ereignisse und alles spitzt sich dramatisch zu. Kenji startet seinen Kampf gegen den dubiosen „Freund“ – weitestgehend im Alleingang, da mit Ausnahme von Yukiji alle eine Familie haben und Kenji sie daher aus aller Gefahr raushalten möchte. Als er eines der legendären Konzerte des „Freundes“ besucht (was für eine Brainwashing-Veranstaltung!), sieht er seine Chance gekommen, die Welt von diesem manipulativen Killer zu befreien. Der zeigt sich indes wenig von Kenjis Besuch überrascht und offenbart ihm etwas, das Kenji vollkommen den Wind aus den Segeln nimmt. In den folgenden Tagen konzentriert Kenji sich darauf, mehr über die Identität und Pläne des „Freundes“ herauszufinden. Doch während er versucht, einen Bombenanschlag zu vereiteln und Yukiji zu retten, füllt sich Kenjis Konbini mit den fanatischen Anhängern des „Freundes“. Fast schon zombieartig treiben sie Kenjis Familie in die Enge, um die kleine Kanna an sich zu reißen und legen dabei den Konbini in Schutt und Asche. Kanna wird glücklicherweise gerettet, doch mit dem ausgebrannten Laden ist die Existenz von Kenji und seiner Mutter zerstört. Kenji sieht keinen anderen Ausweg, als mit seiner Mutter und Nichte Kanna im Untergrund zu verschwinden.

Zeit- und Ortswechsel. Plötzlich befinden wir uns in Bangkok im Jahr 2000. Was zwischen 1997 und 2000 passiert ist, wissen wir nicht und sollen wir lange nicht erfahren. Stattdessen folgen wir nun einem uns (noch) unbekannten Japaner, der sich in Bangkok nicht gerade beliebt gemacht hat. Wie dieser Mann mit den Ereignissen um den „Freund“ zusammenhängt, sei an dieser Stelle nicht verraten. Nur so viel: Ich war extrem überrascht, als ich seine Identität erfuhr und konnte eine meiner Theorien prompt verwerfen. Im Legen (falscher) Fährten ist Naoki Urasawa aber auch verdammt gut – mindestens so gut wie im Schaffen von Cliffhangern!

Bei Reihen bekomme ich häufig den Eindruck, dass sich die Autor*innen früher oder später in ihrer Handlung verlieren. Nicht selten plätschert die Story nach dem ersten Band vor sich hin, verläuft scheinbar planlos und baut sich um Nebensächlichkeiten auf. Nicht so bei „20th Century Boys“. Hier ist keine Szene zu viel und alles fügt sich zu einem immer größeren Mosaik zusammen. Als Leserin bin ich den Figuren nie voraus und stehe daher vor den gleichen Fragen wie Kenji. Zwar streut Urasawa immer wieder kleine Teile ein, die mich Vermutungen anstellen lassen, füttert diese über mehrere Kapitel hinweg – um dann mit einer Überraschung um die Ecke zu kommen. Dabei wirken die Wendungen jedoch nie unglaubhaft oder konstruiert.

Inhaltlich bietet der zweite Band von „20th Century Boys“ deutlich mehr Gewalt als sein Vorgänger. In Bangkok bewegen wir uns in einem Milieu voll Drogen, Prostitution und Mord. In Japan indes ist die Gewalt dank des „Freundes“ subtiler. Wie fatal dessen Gehirnwäsche ist, zeigt sich besonders, als ein Student seinen besten Freund anzündet – und dafür anschließend „belohnt“ wird.

Dennoch verkommt der Manga nicht zum Splatter oder zur reinen Aneinanderreihung von Action- und Gewaltszenen. Im Gegenteil: „20th Century Boys“ bleibt abwechslungsreich und serviert uns weiterhin eine Mischung unterschiedlichster Genres und Elemente. Hin und wieder gibt es sogar etwas zu lachen, beispielsweise dann, wenn Kenji in ein Hasenkostüm bekleidet über sich selbst sagt: „This is who´s gonna save the planet in its hour of crisis.“

Überhaupt: Kenji bleibt für mich weiterhin eines der Highlights des Mangas! Ich habe noch nie einen Manga oder Comic gelesen, der einen derart vielschichtigen und wie aus dem Leben gegriffen wirkenden Protagonisten hat. Obwohl er weiß, was der Welt droht, Angst und Selbstzweifel hat, hat er die innere Stärke, diesen schweren Weg allein zu gehen. Nebenbei kümmert er sich aufopferungsvoll um seine Nichte, bekocht mitten in der Nacht die drei Kinder eines alten Klassenkameraden, weil dieser sturzbetrunken ist, und schiebt weiterhin seine Schichten im Konbini. Denn auch wenn der Untergang der Welt droht: Der Alltag mit seinen Verpflichtungen legt keine Pause ein. Und falls doch, sorgt Kenjis Mutter mit ihrem Gezeter dafür, dass sich das schnell wieder ändert.

Fazit:

Auch der zweite Band der Perfect Edition von „20th Century Boys“ ist inhaltlich und dramaturgisch auf höchstem Niveau. Sehr clever aufgezogen, mit etlichen Überraschungen, neuen Informationen zum Theorienspinnen, Situationskomik und einem starken Cliffhanger am Ende. Wo bleibt Band 3?

Naoki Urasawa: „20th Century Boys (The Perfect Edition, Volume 2)”, Geschichte in Zusammenarbeit mit Takashi Nagasaki, aus dem Japanischen ins Englische übersetzt von Akemi Wegmuller und Lillian Diaz-Przybyl, VIZ Media 2018, ISBN: 978-1-4215-9962-5


>> zur Besprechung von Band 1