In offenen Bücherschränken Mangas zu entdecken, passiert so gut wie nie. Daher wurde Setona Mizushiros „After School Nightmare“ spontan mitgenommen. Im Nachhinein bin ich froh, keinen einzigen Cent dafür bezahlt zu haben, denn der Manga ist auf so vielen Ebenen falsch und ein klassischer Fall von „gut gemeint heißt nicht immer gut gemacht“.
„After School Nightmare“ erzählt die Geschichte einer Schule, an der Lernende einmal pro Woche in einem gemeinsamen Traum aufeinandertreffen, um sich ihren Ängsten und ihrem wahren Ich zu stellen. Im Mittelpunkt der Handlung steht Mashiro Ichijo, Mädchenschwarm und Einzelgänger zugleich. Für Mashiro bedeutet die Teilnahme an dieser besonderen Unterrichtseinheit die Offenlegung dessen, was Mashiro sein Leben lang vor allen geheim hielt: Mashiro ist Hermaphrodit.
Bei der Umsetzung dieser Geschichte macht Setona Mizushiro so ziemlich alles falsch. Die Figuren entsprechen nicht mehr als den gängigen Highschool-Klischees: Da ist zum Beispiel das Mädchen, das Bestnoten hat und sich in diversen schulischen AGs und Ämtern engagiert, allerdings nur, um die Erwartungen ihrer Eltern zu erfüllen, und da ist natürlich auch der Junge, der sich ständig mit einem anderen Mädchen vergnügt, aber damit lediglich seine innere Leere füllt und sich nach wahrer Liebe sehnt. Nicht nur charakterlich, auch optisch sind diese Abziehbilder oberflächlich gestaltet. Die Gesichtszüge der meisten Figuren gleichen sich 1:1, für Variation sorgt da höchstens einmal die Frisur oder Haarfarbe. Emotionen werden nur bei großer Mimik und Gestik transportiert, da die Gesichter ansonsten sehr nichtssagend gezeichnet wurden. So blass wie die Gesichter sind auch die Lebensläufe: Hobbies, Familien, Freundeskreise, Alltag – all das spielt keinerlei Rolle (abgesehen von der Kendo-AG, die Mashiro und Mitschüler Sou besuchen). Was die Figuren bewegt, interessiert oder anderweitig ausmacht, verrät Setona Mizushiro nicht. Die Identität aller begrenzt sich auf ihr jeweiliges zentrales Problem und das Love Triangle zwischen Mashiro, Sou und Mitschülerin Kureha. So überrascht es auch nicht, dass sämtliche Figuren und Handlungen extrem vorhersehbar sind.
Mizushiro hat es sich in „After School Nightmare“ zu oft zu einfach gemacht. So rührt beispielsweise Kurehas Hass gegen Jungs und Männer daher, dass sie als Fünfjährige vergewaltigt wurde. Als Kureha aber in der Traumwelt erfährt, dass Mashiro intersexuell ist, verliebt sie sich prompt in Mashiro, schließlich sei Mashiro ja entgegen der öffentlichen Wahrnehmung kein Mann (ihre Worte, nicht meine). Ein paar Tage teilt sie Mashiro wiederum mit: „Ich möchte, dass du ein Junge bleibst.“ (S. 127) Mitschüler Sou indes verliebt sich in Mashiro, als er erfährt, dass Mashiro eine Vulva und eine Vagina hat, wodurch Sou Mashiro plötzlich als Mädchen sieht. Liebe entsteht zwischen den Figuren nicht, weil sich Menschen aufgrund ihres Charakters zueinander hingezogen fühlen, sondern wird buchstäblich als Entscheidung auf Basis rein körperlicher Merkmale getroffen.
Auch sonst werden in „After School Nightmare“ ziemlich fragwürdige Werte vermittelt: Männer sind grundsätzlich stark, während Frauen immer wieder als schwach und weinerlich erachtet werden. Bereits auf der elften Seite erreicht der Manga seinen ersten Tiefpunkt mit der Aussage Sous: „Irgendwie … riecht es hier so nach Frau.“ Ernsthaft? Schon allein wegen dieses Satzes wollte ich den Manga sofort in den Müll schmeißen. Ich habe mich dann aber doch zum Weiterlesen aufgerafft, in der Hoffnung, dass Mizushiro solche Aussagen und weitere Klischees nutzt, um diese im Verlauf der Handlung kritisch zu hinterfragen – was natürlich nicht passierte. Erspart euch diese furchtbare Erfahrung und investiert eure Lesezeit in bessere Titel!
Fazit:
Katastrophal! Der erste Band von „After School Nightmare” zählt wohl mit zu dem Schlechtesten, das ich je in meinem Leben gelesen habe.
Setona Mizushiro: „After School Nightmare Band 1”, aus dem Japanischen übersetzt von Yohana Araki, Carlsen Manga 2009, ISBN: 978-3-551-78521-3
Woah, krass. Insbesondere die scheinbar rein aufs körperliche und Anziehung ausgelegte Art von „Liebe“ die hier suggeriert werden soll, klingt erstaunlich rückschrittig und lame für unser Zeitalter :-/ Sehr schade. Trotzdem motiviert es mich mal schauen zu gehen, was so in unserem offenen Bücherschrank rumsteht
„Krass“ trifft es sehr gut. Ich habe mich beim Lesen regelrecht vera****t gefühlt. Das Ganze wirkte, als wolle jemand bewusst alles falsch machen, um ein Negativexempel zu statuieren. Zunächst hatte ich gar nicht vor, über den Manga zu bloggen, weil etwas so Schlechtes keine Aufmerksamkeit verdient. Aber dann sah ich, dass der Manga auf Amazon, Lovelybooks und Co. nicht viele, aber ausnahmslos positive Bewertungen erhielt, in denen Rezensent*innen die Aufarbeitung des Themas und die Story lobten. Da konnte ich nicht anders, als meinen Frust rauszulassen und festzuhalten, warum dieser Manga auf mehreren Ebenen ein No-Go ist.