Nach Amerika und Europa führt mich meine literarische Weltreise in den Kaukasus und auf die Krim – eine Region, in der die politische Situation nicht nur im Jahr 2014 mehr als angespannt ist: Auch während des 19. Jahrhunderts, in das ich mich nun begebe, sind Kriege und Konflikte hier allgegenwärtig. In den Jahren 1828 bis 1829 wütet der Russisch-Türkische Krieg, von 1853 bis 1856 der Krimkrieg. Für Alexander Puschkin und Alexandre Dumas sind das jedoch keine Gründe, NICHT durch den Kaukasus zu fahren und so begebe ich mich mit ihnen auf die Reise.
Mit Puschkin breche ich von Moskau aus ins georgische Tiflis auf. Unterwegs besuchen wir General Aleksej Petrovič Ermolov in Orjol und treffen auf Kalmüken. Die Westmongolen laden uns in ihre Kibitka ein, wo Puschkin Tee mit Hammelfett und Salz probiert. Der typisch mongolische Tee kann den Geschmack meines Reisegefährten jedoch nicht treffen: „Ich denke, keine Küche eines anderen Volkes kann etwas Ekelhafteres hervorbringen.“ (Alexander Puschkin: „Der Übergang von Europa nach Asien“ In Patrick Hutsch (Hrsg.), “Weltreisende und Entdecker: Ein Lesebuch”, Fischer Taschenbuch Verlag 2012, S. 117)
Später unternehmen wir einen Ausflug zu den Quellen von Gorjačie Vody, der für Puschkin jedoch zur Enttäuschung wird, da sich der Badeort seit seinem letzten Besuch stark verändert hat: War der Ort einst simpel und sehr naturbelassen, finden sich hier nun pompöse Häuser, Brücken, Pavillons und ein Boulevard. „Zugegeben: die Bäder des Kaukasus bieten heute mehr Bequemlichkeit; doch mir tat es leid um ihren ehemaligen wilden Zustand; mir tat es leid um die steilen steinigen Pfade, das Gebüsch und die unumzäunten Abgründe, über die ich einst geklettert war“ (ebd. S. 118), bemerkt Puschkin voller Wehmut.
Ab Ekaterinograd reisen Puschkin und ich mit einer circa 500 Mann umfassenden Karawane weiter. Diese Art zu reisen erweist sich jedoch als recht anstrengend, da wir nur sehr langsam vorankommen. Zudem machen uns Hitze, unruhige Nachtlager, der geringe Lebensmittelvorrat und die Eintönigkeit der Straße zu schaffen. Doch als wir nach Tagen endlich in Georgien eintreffen, werden wir mit der Schönheit des Landes entschädigt, denn mit seinen hellen Tälern, grünen Bergen und früchtetragenden Bäumen stellt Georgien einen deutlichen Kontrast zum Kaukasus mit seinen dunklen Felsspalten dar.
Doch ich verweile nicht lange im georgischen Tiflis, sondern breche schon bald erneut in den Kaukasus auf – dieses Mal besuche ich mit Alexandre Dumas und dem Maler Jean-Pierre Moynet das weit östlich liegende Kasafiurte.
Lebensfreude und tödliche Bedrohung sind in Kasafiurte und seiner Umgebung ständig präsent. So kommen wir bei unseren Gastgebern in den Genuss des lesghischen Nationaltanzes sowie Unmengen Champagners, werden aber auch Zeuge der hiesigen Grausamkeiten, denn die kaukasischen Völker liegen seit etlichen Jahren im Zwist. Hier in Kasafiurte kämpfen Kabardiner gegen Tschetschenen – Kopfjäger sind jede Nacht unterwegs; pro abgeschlagenen Kopf bezahlt man ihnen 10 Rubel. Während ich fassungslos ob solcher Grausamkeit bin, zeigen sich Dumas und Moynet regelrecht fasziniert und bestehen darauf, die kabardischen Kopfjäger bei einem nächtlichen Streifzug zu begleiten. Tatsächlich gewährt man ihnen diesen Wunsch sogar. Erst als sie in der kalten Nacht am Flussufer lauern, wird Dumas bewusst, worauf er sich eingelassen hat: „Und lachend hatten wir dieses Wagnis unternommen, als ob es nichts wäre, sein Blut zu verlieren und fremdes Blut zu vergießen. […] Konnte ich wirklich Gott bitten, mich in seinen Schutz zu nehmen, wenn ich so zwecklos, so unbesonnen die Gefahr suchte?“ (Alexandre Dumas: „Gefährliche Reise durch den wilden Kaukasus“ In Patrick Hutsch (Hrsg.), “Weltreisende und Entdecker: Ein Lesebuch”, Fischer Taschenbuch Verlag 2012, S. 138-139)
Dumas und Moneyt haben Glück – sie überleben und gehen unverletzt aus dem Streifzug hervor. Für einen Tschetschen jedoch hat sich diese Nacht als die letzte seines Lebens erwiesen und sogar eine Mutter ist – gemeinsam mit ihrem Kind – zwischenzeitlich in Gefahr gewesen. Nein, Kasafiurte und seine Umgebung sind wahrlich kein Ort, an dem ich bleiben möchte und so bin ich froh, dass ich hier nur einen Tag und eine Nacht verweilen muss. Doch frage ich mich, ob mich auf meiner nächsten Reise, die mich in den Nahen Osten führt, ähnliches erwartet …
Über die literarische Weltreise: Ab Juli 2014 möchte ich mittels des Fischer Klassik-Titels „Weltreisende und Entdecker: Ein Lesebuch“ die ganze Welt bereisen. Geschichten, Aufsätze, Briefe und Tagebucheinträge von Entdeckern, Forschern und Schriftstellern sollen mir dabei Land und Leute nahe bringen. Was ich mit den berühmten Reisegefährten erlebe, lasse ich euch jede Woche per digitaler Flaschenpost wissen.
Geplauder