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Inhaltswarnungen / Content Notes

Der Roman behandelt:

  • Depressionen
  • Suizid
  • (nicht offen angesprochene, aber angedeutete) sexualisierte Gewalt gegen Frauen

Seit ich „Kirschblüten und rote Bohnen“ gesehen und gelesen hatte, war für mich klar, dass ich mehr von Durian Sukegawa lesen möchte. Bis es soweit war, vergingen allerdings ein paar Jahre – Jahre, in denen „Die Insel der Freundschaft“ ungelesen im Schrank lag. Einerseits bereue ich, dass ich nicht früher zu diesem Roman griff, andererseits kam dieses ruhige, entschleunigende Buch für mich jetzt zum passenden Zeitpunkt. Anfangs zog „Die Insel der Freundschaft“ mich zwar nicht so sehr in den Bann wie „Kirschblüten und rote Bohnen“, in der zweiten Hälfte schlich sich die Geschichte aber so sehr in mein Herz, dass ich am liebsten sofort zurückkehren möchte.

Wie aber passen diese einleitenden Zeilen über eine ruhige Geschichte, die mich mit einem positiven, wärmenden Gefühl entließ, mit der oben aufgeführten Inhaltswarnung zusammen? Nun, wer schon einmal etwas von Durian Sukegawa gelesen hat, weiß, dass der Autor es wie nur sehr wenige versteht, ernste Themen und Leichtigkeit zu verbinden.

Sukegawa erzählt in „Die Insel der Freundschaft“ von Verlust, Selbstzweifeln, Depressionen, Suizid(versuchen), Einsamkeit, Ausgrenzung, fehlender Zugehörigkeit und Gewalt. Diese Themen webt er in das Setting einer entlegenen japanischen Insel mit eigensinnigen Bewohner*innen und einem einfachen, von der Außenwelt abgeschottetem Leben voller Traditionen. Wir lernen nebenbei etwas über die Herstellung von Ziegenkäse und schließen Freundschaft mit Ziegen – daher auch der japanische Buchtitel „Insel der Ziegen“ („ピンザ の 島“, „Pinza no shima“).

Die eigentliche Handlung ist dabei schnell zusammengefasst: Ryosuke, der seit seiner Kindheit versucht, den Suizid seines Vaters zu verarbeiten und selbst unter Depressionen leidet, nimmt einen Job auf der kleinen, entlegenen Insel Aburi-jima an. Um junge Leute in die schrumpfende Inselbevölkerung zu integrieren, lässt der Inselvorsteher regelmäßig junge Menschen vom Festland für verschiedene, temporäre Jobs holen. Ryosoke und seine beiden Mitarbeiter*innen heben sich durch ihr Verhalten und ihre Optik aber sehr von den Bewohner*innen der Insel ab und es kommt wiederholt zu Problemen. Dennoch tut die Zeit auf der Insel allen Dreien gut, sie schließen trotz ihrer großen Unterschiede Freundschaft und schließen Frieden mit sich selbst und ihren Vergangenheiten. Doch Ryosuke ist aus einem bestimmten Grund auf die Insel gekommen: Der beste Freund und ehemalige Geschäftspartner seines Vaters lebt hier und Ryosuke möchte ihm etwas sehr Persönliches übergeben. Gleichzeitig erhofft sich Ryosuke mehr Klarheit darüber, was die Wege der Freunde getrennt hat, warum ihr Traum, Ziegenkäse in Japan herzustellen, scheiterte, welche Art Mensch Ryosukes Vater eigentlich war und wieso er Selbstmord beging.

Die eigentlichen Hauptfiguren des Romans sind für mich jedoch die Ziegen, die auf der Insel „Pinza“ heißen. Durian Sukegawas schafft es, ihnen so viel Persönlichkeit zu verleihen, dass bestimmte Szenen im Roman viel berührender, herzzerreißender und lehrreicher sind als alles, was sich zwischen den Menschen abspielt. Auch habe ich dank Durian Sukegawa noch mehr Respekt gegenüber der Ziegenhaltung und der Herstellung von Ziegenmilchprodukten entwickelt.

Typisch für Sukegawa: Respekt und Achtsamkeit gegenüber Lebensmitteln spielen eine große Rolle, genauso wie die Freundschaft zwischen Figuren, die auf den ersten Blick nicht unterschiedlicher sein könnten und Fragen darüber, wie wir Menschen miteinander und mit der Welt um uns herum umgehen. Das meiste davon muss Sukegawa nicht einmal konkret ansprechen, sondern vermittelt es zwischen den Zeilen durch das, was nicht gesagt wird, durch Blicke, Gesten und Wortwahl.

Das Ende ist ein hoffnungsvolles, das mich aber neugierig gemacht hat, wie die Geschichte weitergehen würde. Da es keine Fortsetzung gibt, bleibt es der Fantasie der Leser*innen überlassen, was nach der letzten Seite folgen könnte.

Fazit:

So kitschig und einfallslos der deutsche Titel des Romans ist, die Geschichte ist es mitnichten. Wer auf der Suche nach einem ruhigen Roman mit vielen leisen Zwischentönen und einem ungewöhnlichen Setting ist, dabei aber nicht vor ernsten Themen zurückschreckt, findet mit Durian Sukegawas „Die Insel der Freundschaft“ die passende Lektüre.

Durian Sukegawa: „Die Insel der Freundschaft“, aus dem Japanischen übersetzt von Luise Steggewentz, DuMont 2017, ISBN: 978-3-8321-9861-9