Die „Mouse Guard“-Reihe von David Petersen ist innerhalb der Comicszene längst kein Geheimtipp mehr. Sie wurde gleich zweimal mit dem renommierten Eisner Award ausgezeichnet und sollte sogar von Wes Ball und 20th Century Fox u.a. mit Idris Elba verfilmt werden, bis Disney 2019 20th Century Fox kaufte und das Projekt gecancelt wurde.

Trotzdem sind die Comics sowohl in der deutschsprachigen Blogosphäre als auch im Feuilleton kaum sichtbar. Nur aller Jubeljahre taucht mal eine Besprechung auf. Diese seltenen Beiträge sind dann aber stets voller Lob und Begeisterung für die Reihe, so wie bei Ariane von Nerd mit Nadel. Auch für mich war „Mouse Guard“ damals eher eine Zufallsentdeckung, die ich dem ehemaligen Erfurter Stamm-Comicladen zu verdanken habe.

„Mouse Guard“ sticht schon optisch aus dem gängigen Comicmarkt hervor. Sowohl das Buchformat als auch David Petersens Zeichenstil und Koloration erinnern eher an illustrierte Kinderbücher. Hinzu kommen die Protagonisten: Mäuse. Heißt das automatisch, dass der Comic sich an Kinder richtet? Nein, natürlich nicht. Cross Cult spricht zwar eine Leseempfehlung für Kinder ab 8 Jahren aus. Tatsächlich würde ich die Reihe aber eher einem erwachsenen Publikum oder zumindest älteren Kindern empfehlen, jedoch keinem Kind im Grundschulalter. Denn in „Mouse Guard“ geht es durchaus auch mal etwas brutaler zu, wenngleich die Bilder kein explizites Blutvergießen zeigen.

Die Handlung der Serie spielt in einem mittelalterlichen Setting und unsere Hauptfiguren sind als Mitglieder der Mäusewache für den Schutz ihrer Mitmäuse verantwortlich. Nach dem Ende des Krieges sind die Wächter zwar keine Soldaten mehr, sondern vorrangig Begleitschutz, Späher oder Fährtensucher. Dennoch bleiben gefährliche Situationen nicht aus. Außerhalb der Mäusestädte und -dörfer warten Schlangen, Eulen und andere Tiere, für die die kleinen Mäuse eine gern gesehene Beute darstellen. Und im Herbst des Jahres 1152, in dem der erste Band der Reihe angesiedelt ist, kommt zusätzliche Gefahr aus den eigenen Reihen: Es gibt einen Verräter, der einige Verbündete um sich geschart hat. Nun droht ein Angriff auf Lockhaven, die Heimstatt der Mäusewache und Sitz der Oberin der Wache. Können die Wachen Lieam, Kenzie, Saxon und Sadie Lockhaven noch rechtzeitig warnen und ihre Mitmäuse vor den Verrätern schützen?

In kurzen Episoden begleiten wir die verschiedenen Mäusehelden und -heldinnen während ihrer Aufträge, Reisen, Kämpfe. Wir verfolgen gemeinsam mit ihnen die Spuren und entspinnen Intrigen. Die grundlegenden Muster, Themen und Motive des Comics sind hierbei zwar nichts Neues oder sonderlich innovativ, sind aber durch die tierischen Figuren und das Setting in der Natur durchaus spannend und reizvoll. Außerdem sind die Geschichten kurzweilig und unterhaltsam erzählt.

David Petersen hält sich im ersten „Mouse Guard“-Band „Herbst 1152“ nicht damit auf, uns zunächst in die Welt der Mäuse einzuführen. Stattdessen wirft er uns direkt hinein ins Geschehen. Alles, was wir wissen müssen, erfahren wir beiläufig und erst dann, wenn es auch relevant wird. So gelingt ein einfacher, natürlicher Einstieg in die Welt der Mäuse – wenngleich ich mir an der ein oder anderen Stelle aber durchaus noch ein wenig mehr Informationen oder vertiefende Auseinandersetzung gewünscht hätte.

Die größte Stärke der Reihe liegt ganz klar in der visuellen Umsetzung, obwohl wir in „Mouse Guard“ nur die klassische Panel-Anordnung vorfinden. Denn die Hintergründe, Farbwahl und Darstellung der Mäuse beeindrucken dafür umso mehr. Auch ohne Worte oder Kenntnis über die Charaktere ist an der ausdrucksstarken Mimik immer sofort abzulesen, wie sich die Mäuse gerade fühlen und was sie bewegt. Abgerundet werden die Bilder durch ihre starke Atmosphäre, die Petersen mit seinen naturnahen Farbtönen und den mal gröberen, mal detailreicheren Darstellungen heraufbeschwört. Wenn die Mäuse die ganze Nacht durch den strömenden Regen laufen, meint man, die Kälte in den Knochen zu spüren, die schweren Regentropfen und das Schmatzen der Füße durch den Matsch zu hören. Und ein Brand in einer Mäuseunterkunft löst sofort Beklemmung aus, konfrontiert kurz, aber intensiv mit Hitze und Lebensbedrohung und verströmt das Knacken des brennenden Holzes. Ein Gefühl von Kino!

Fazit:

David Petersens „Mouse Guard“-Reihe ist außerhalb der Comicszene ein Geheimtipp, innerhalb aber schon so etwas wie ein moderner Klassiker. Zu Recht! Die kurzweiligen, liebevoll gezeichneten und atmosphärisch dichten Abenteuer der Mäusewache sind – nicht nur für Fans fantastischer oder historischer Geschichten – die ideale Lektüre für gemütliche Abende, insbesondere während der nasskalten, dunklen Monate.

David Petersen: „Mouse Guard 1: Herbst 1152”, aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Stefan Pannor, Cross Cult 2008, ISBN: 978-3-936480-55-9