Sie handeln von Eifersucht, Verrat, Gier, Rache, Mord, Rassismus, Vergewaltigung und all den zeitlosen menschlichen Abgründen: Murder Ballads sind Teil der amerikanischen Folklore und werden von Generation zu Generation weitergetragen und neu interpretiert. Das Repertoire macht dabei aber nicht bei den Erzählungen aus dem 19. Jahrhundert halt, sondern wird auch heute noch um neue Balladen ergänzt. Zu den bekanntesten Liedern gehört wohl das 1995 erschienene „Where the Wild Roses Grow“ von Nick Cave und Kylie Minogue. Aber auch „The Hanging Tree“ aus der „Tribute von Panem“-Trilogie reiht sich bei den Murder Ballads ein.

Fünf Murder Ballads hat der niederländische Künstler Erik Kriek 2016 als Comics adaptiert. Neben der bereits erwähnten Geschichte um Wild Rose erzählt er in „Pretty Polly and the Ship’s Carpenter“ von einem aus Eifersucht herrührenden Mord und einem verfluchten Schiff. „The Long Black Veil“ handelt von einem Mann, dem die Ehre seiner Geliebten wichtiger ist als sein eigenes Leben. Die recht junge Murder Ballad „Taneytown“ thematisiert Ausgrenzung und Diskriminierung und in „Caleb Meyer“ besteht ein grausamer Zusammenhang zwischen der schwangeren Nellie Kane und dem plötzlich verschwundenen, titelgebenden Arbeiter.

Erik Kriek hat dabei nicht einfach die bekannten Balladen nacherzählt, sondern sie für sich neu gedeutet, hat nach den Gründen für die darin geschilderten Taten gesucht und mancher Geschichte einen moderneren Twist gegeben. Vereinzelt waren mir die Geschichten zu kurz und ich wäre gerne noch tiefer in die Figuren und Settings eingestiegen. Gleichzeitig bin ich neugieriger auf Murder Ballads im Allgemeinen geworden und möchte mehr von diesen düsteren Geschichten hören, lesen, sehen.

Visuell sind die Murder Ballads grandios und atmosphärisch dicht umgesetzt. Erik Kriek konzentriert sich auf Zeichnungen in Weiß, Schwarz und jeweils einer Farbe pro Geschichte. Seine Bilder sind dadurch äußerst kontrast- und ausdrucksstark. Sie stecken voller Dynamik und Tiefe und erwecken den Eindruck, dass irgendwo im Dunkel etwas lauert. Ich hätte mich stundenlang in diesen Bildern verlieren können.

Dabei arten die Bilder und Geschichten nie in Splatter aus. Zwar werden die Morde, Vergewaltigungen und Schlägereien dargestellt, doch stehen diese Taten nicht im Fokus. Erik Kriek widmet sich vielmehr den Ursachen, den Ereignissen, die einer Tat  vorausgingen, und wie es den Figuren mit der zu schulternden Last geht.

Ergänzt werden die schaurig-schönen Comics um eine CD mit sechs Murder Ballads, die die Bluegrass Boogiemen aufgenommen haben. In drei Liedern ist Erik Kriek übrigens selbst zu hören („Taneytown“, „Pretty Polly“ und „Where The Wild Roses Grow“).

Fazit:

Ein visuell beeindruckendes Werk, das mit seinem außergewöhnlichen Ansatz die Tradition der Murder Ballads auf neue Weise fortsetzt. Wunderbar düster und damit perfekt für die dunkelsten Tage des Jahres.

Erik Kriek: „In the Pines – 5 Murder Ballads“, aus dem Englischen übersetzt von Benjamin Mildner, Nachwort von Jan Donkers aus dem Niederländischen übersetzt von Katrin Herzberg, Musik von den Bluegrass Boogiemen, avant-verlag 2016, ISBN: 978-3-945034-37-8