„Das wandelnde Schloss“ (ハウルの動く城, „Howl’s Moving Castle“) zählt zu meinen liebsten Filmen des Studio Ghibli. Daher wollte ich auch die literarische Vorlage von Diana Wynne Jones seit Jahren lesen. Leider war die einzige deutsche Ausgabe („Sophie im Schloss des Zauberers“, Carlsen Verlag 2005) längst vergriffen und gebraucht nur zu Preisen von 50 bis 200 € erhältlich. Dem Knaur Verlag ist es nun zu verdanken, dass die Serie um den Zauberer Howl, die verzauberten Sophie und das wandelnde Schloss endlich wieder auf Deutsch vorliegt.

Im Wesentlichen erzählen Diana Wynne Jones und das Studio Ghibli eine ähnliche Geschichte: Die junge Hutmacherin Sophie zieht den Zorn der gefürchteten bösen Hexe der Wüste auf sich. Diese verwandelt das Mädchen daraufhin in eine alte Frau. Das Fieseste an dem Fluch: Es ist Sophie nicht möglich, anderen davon zu erzählen. Doch wie soll sie jemals von dem Zauber erlöst werden, wenn niemand erfahren kann, was ihr zugestoßen ist? Sophie, die bis dato recht eintönig und zurückgezogen vor sich hingelebt hat, fügt sich jedoch schnell in ihr neues Schicksal und läuft einfach los. Schließlich landet sie im wandelnden Schloss des Zauberers Howl. Dank eines heimlichen Pakts mit dessen Feuerdämon Calcifer und einer gewaltigen Portion störrischer Beharrlichkeit darf Sophie bleiben. Schon bald sind sie, Howl, Calcifer und Zauberlehrling Michael trotz mancher Differenzen ein eingespieltes Team – und die vermutlich ungewöhnlichste Wohngemeinschaft aller Zeiten.

Der weitere Handlungsverlauf, die Motive der Figuren und zum Teil auch deren Namen unterscheiden sich dann aber doch. Studio Ghibli hat aus Diana Wynne Jones‘ Vorlage etwas ganz Eigenes kreiert, das auf seine Weise zauberhaft ist. Dadurch hielt das Buch für mich viel Neues und etliche spannende Details bereit. Gleichzeitig fühlte sich die Lektüre aber auch wie die Rückkehr in ein gemütliches Zuhause an.

Die größte Stärke von Diana Wynne Jones‘ Roman liegt dabei ganz klar in dem besonderen Setting. Howls Schloss, dessen Eingangstür an vier verschiedene Orte führt, ist ein wahres Faszinosum. Es lädt dazu ein, jeden Winkel zu erkunden, zu staunen und sich darin wohl zu fühlen. Es überrascht auf mehrfache Weise und hat zugleich etwas Stetiges, Vertrautes. Nicht minder außergewöhnlich und liebenswert sind seine Bewohner. Bereits jeder einzelne davon bringt genug Eigenheiten mit, um darauf eine eigene Geschichte aufzubauen. Die Kombination aus dem eitlen Womanizer Howl, der resoluten Sophie, dem strebsamen und frisch verliebten Michael und dem cleveren Calcifer sorgt schließlich dafür, dass „Das wandelnde Schloss“ eine Geschichte voller magischer und zwischenmenschlicher Verstrickungen bereithält.

Zugegeben: Die Hauptfiguren sind zum Teil überspitzt gezeichnet, sorgen aber genau dadurch für Dynamik. Gleichzeitig sind sie so voller Lebendigkeit, dass es einfach Spaß macht, ihnen zuzusehen und zuzuhören. Wenn Howl mal wieder überdramatisch über seine misslungene Haarfarbe oder die Zurückweisung einer Angebeteten klagt und Sophie dafür nur ein verächtliches Schnauben übrig hat, sah ich die beiden vor mir, als säße ich bei ihnen im Schloss; selbst Calcifer konnte ich im Hintergrund knistern hören. Die kleinen Streitigkeiten und Wortgefechte zwischen Howl, Sophie und Calcifer habe ich daher ebenso gern verfolgt wie die charakterliche Weiterentwicklung von Sophie und Howl.

Trotz all der Skurrilität, (Situations-)Komik und gelegentlicher Zwischen-Abenteuer verliert Diana Wynne Jones die Haupthandlung nie aus dem Blick. Sie spickt sie hier und da mit kleinen Details, die uns Lesende manche Puzzleteile früher zusammenfügen lassen als Sophie, und greift am Ende erneut verschiedene Fäden vom Beginn des Buches auf. Dennoch wirkt der Schluss des Romans ziemlich gehetzt. Das große, lange gefürchtete Ereignis ist überraschend schnell und einfach überstanden und zwischen allen herrscht beste Friede-Freude-Eierkuchen-Harmonie. Dabei driftet Diana Wynne Jones leider in starken Kitsch ab, was absolut nicht zum Grundton und Charakteraufbau des restlichen Romans passt.

Fazit:

Sieht man von dem kitschigen und überstürzten Ende ab, bietet „Das wandelnde Schloss“ beste unterhaltsame und atmosphärisch dichte Fantasy voller Skurrilität, liebenswerter Figuren und einem der ungewöhnlichsten Schauplätze innerhalb der Literatur. Ein Buch, das zu lesen einfach verdammt viel Spaß macht und das in jedes Fantasy-Regal gehört.

Diana Wynne Jones: „Das wandelnde Schloss“, aus dem Englischen von Gabriele Haefs, Knaur Verlag 2019, ISBN: 978-3-426-52538-8