Als ich „Bird Boy“ vor einiger Zeit im Comicladen entdeckte, war ich sofort begeistert vom Artwork. Die Story selbst versprach eine klassische Heldenreise mit einem liebenswerten kleinen Jungen. Also gönnte ich mir nicht nur den Auftakt der Reihe, sondern auch direkt Band 2. Beim Lesen wich diese anfängliche Euphorie nun jedoch einer Enttäuschung.
„Bird Boy“ erzählt die Geschichte der beiden Stämme Nuru und Saburi, die außerhalb des Grenzwaldes ansässig sind. Einst nannten sie auch den Wald ihr Zuhause und lebten dort in friedlicher Eintracht mit den Tieren. Doch dann kamen die sogenannten Krähenmänner und brachten Tod und Kälte über das Land. Niemand traute sich mehr in den Wald. Als ein Halbungeheuer auch noch sämtliches Licht verschluckte, brach der Held Mali Mani schließlich in den Wald auf. Dort bezwang er das Halbungeheuer und brachte den Menschen das Licht zurück. Mali Mani fiel jedoch unmittelbar den Krähenmännern zum Opfer.
Zu Ehren Mali Manis findet für die Männer des Nuru-Volkes jedes Jahr der sogenannte Rauchmarsch statt, der zugleich ein Initiationsritus ist. Der Junge Bali wäre in diesem Jahr alt genug, um am Marsch teilzunehmen und damit als Mann zu gelten. Doch Bali ist ungewöhnlich klein für sein Alter und sorgt nicht selten für Probleme. Als er in kurzer Zeit drei gefährliche Erlebnisse mit Tieren hat und dabei jedes Mal die Jagd stört, wird er von der Teilnahme am Rauchmarsch ausgeschlossen. Um zu beweisen, dass er alt und reif genug ist, als Mann und Jäger anerkannt zu werden, macht sich Bali auf den Weg in den Wald, wo er am Vortag das legendäre Schwert des Mali Mani entdeckte. Doch Bali wäre nicht Bali, wenn dieses Vorhaben nicht folgenlos bliebe. Kurz darauf steht nicht nur sein Leben auf dem Spiel, sondern das aller Nuru und Saburi.
Die Stärke des Comics liegt zweifellos in seiner visuellen Gestaltung. Anne Szabla orentiert sich sehr an der Kunst und Kultur nordamerikanischer Völker, greift vereinzelt aber auch auf Elemente anderer Kulturkreise, bspw. aus dem südostasiatischen Raum, zurück. Zur Erzählung ihrer Geschichte verlässt sich die Künstlerin vor allem auf das Gezeichnete – Dialoge oder erläuternde Texte finden sich nur gelegentlich. Ohne viele Worte gelingt es ihr, uns die Figuren des Comics nahe zu bringen und atmosphärisch dichte Settings zu kreieren. Als Leserin fiel es mir leicht, mich in den heimeligen Häusern der Nuru wohl zu fühlen oder die Strukturen und Werte ihrer Gesellschaft kennenzulernen. Ich spürte die eisige Kälte des Landes, die Verlockung und Unberechenbarkeit des Waldes. Die Highlights bilden jedoch die Tiere, Götter und Ungeheuer, deren Gesichter wie Masken wirken und deren Körper mit Steinen gefüllt sind.
Inhaltlich konnten mich die ersten beiden Bände der „Bird Boy“-Reihe jedoch kaum überzeugen. Die Geschichte verläuft langsam und die Handlung wäre locker in der Hälfte der Seiten erzählt. Zusätzlich stört die starke Vorhersehbarkeit der Story. Die Handlung vermag an keiner Stelle zu überraschen und Bali wird es auf seiner gefährlichen Reise immer wieder zu leicht gemacht. Tradierte Elemente wie das Waisenkind, das von seinem Umfeld als eine Art Sonderling betrachtet wird, hat Anne Szabla weder neuartig noch anderweitig spannend interpretiert. Allzu offensichtliche Zusammenhänge oder Querverweise wie das Schwert, das nur durch einen einzigen Menschen gezogen werden kann, oder die Namensähnlichkeit von Bali und Mali Mani tun ihr Übriges, um die Geschichte wenig einfallsreich wirken zu lassen. Dabei birgt die Welt in „Bird Boy“ grundsätzlich viel Potenzial für eine mystische, mythologische Story.
Zudem trüben in die nicht ganz durchdachte Welt und die Logikfehler den Lesegenuss. Das beginnt bei einfachen Dingen wie der Tatsache, dass Bali ein Schwert, das genauso groß und schwer ist wie er, nicht nur tragen, sondern auch mit diesem rennen kann. Hier hätte ich eventuell ein Auge zugedrückt und es mit seinem Auserwählten-Status und der kindlichen Zielgruppe des Comics begründet. Doch auch die Historie, die sich Anne Szabla für ihre Welt erdachte, steckt voller Ungereimtheiten. Es wird erzählt, dass die Nuru und Saburi aus ihren Häusern im Wald vertrieben wurden, als die Krähenmänner im Wald auftauchten. Im zweiten Band indes heißt es, dass die Krähenmänner ursprünglich außerhalb des Waldes ihr Unwesen trieben und erst von Mali Mani zum Schutz der Menschen in den Wald verbannt wurden.
Nicht schlüssig erscheint auch die Legende um Mali Manis Schwert. Sie berichtet, dass Mali Mani im Wald von den Krähenmännern getötet wurde und sein Schwert kurz vor seinem Tod gen Waldesrand warf. Dieses Schwert sei nie gefunden worden. Aber tada!: Unser kleiner Held Bali entdeckt es nach wenigen Minuten im Wald, wo es auf einem Schrein in einem alten Nuru-Tempel liegt. Besagter Schrein gedenkt Mali Mani, wie er das Licht zurückbrachte und dabei sein Leben verlor. Wie es sein kann, dass das Schwert als nie gefunden gilt und zugleich dieser Schrein entstand, wenn die Nuru seit Auftauchen der Krähenmänner niemals im Wald waren, bleibt ein Rätsel.
Interessant, aber ebenfalls undurchdacht erscheinen die beeindruckenden Kopfbedeckungen der Nuru in Form von Tierköpfen. Gerne hätte ich gewusst, was es mit diesen auf sich hat. Im Rahmen einer Jagd oder Zeremonie ließe sich die Bedeutung leicht erschließen. Die Nuru tragen die Kopfbedeckungen jedoch immer und überall, sodass ich einen besonderen mythologischen Hintergrund vermutete. Leider bleibt dieser Punkt nach dem zweiten Band weiterhin offen. Die Kopfbedeckungen wirken somit wie ein Detail, das Anne Szabla lediglich wegen des imposanten Aussehens eingearbeitet hat.
Fazit:
Anne Szablas Comic „Bird Boy“ ist auf rein künstlerischer Ebene zweifellos großartig geworden. Die inhaltliche Umsetzung der Geschichte wirkt jedoch unausgereift, nicht immer schlüssig und bietet wenig Neues. Verschenktes Potenzial!
Anne Szabla: „Bird Boy. Buch 1: Das Schwert des Mali Mani“, aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Elisabeth Schmalen, Popcom 2017, ISBN: 978-3-8420-3579-9
Anne Szabla: „Bird Boy. Buch 2: Der Grenzwald“, aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Elisabeth Schmalen, Popcom 2017, ISBN: 978-3-8420-3580-5
Meine Liebe,
Es ist immer wieder sehr beeindruckend für mich, wie viel Liebe und Zeit Du in Deine Rezensionen steckst. Selbst zu diesen doch zeitlich gesehen immer rasch „weggelesenen“ Mangas schaffst Du es, so wunderbar viel zu schreiben. Und nicht nur Worte „auf Papier“ zu bringen, sondern wirklich etwas dazu zu sagen haben. *wow*
Zu Deinen Aussagen:
Logikfehler finde ich auch immer etwas befremdlich. Noch mehr stört mich allerdings, wenn zu viele assoziative Sprünge in einem Roman auftauchen. Das war in der Version von „Honigtot“, die ich vor Jahren las, für mich der Fall. Ich hatte damals immer wieder im Buch den Eindruck, dass ich irgend etwas verpasst hatte, da der letzte Satz des vorangegangenen Absatzes nicht zu dem nächsten passte, es aber auch nicht ersichtlich war, ob dies absichtlich geschah….
Ich habe mich jedoch hier gefragt, ob es sich wirklich um Logikfehler oder Widersprüche handelte. Mir ist schon oft aufgefallen, dass für mich beispielsweise Animes zunächst überhaupt nicht stringent wirkend, sie mich verwirrten oder nicht nachvollziehbar waren (Beispiel Vertreibung in den Wald), musste dann aber durch meinen Mann lernen, dass Japan mit solchen Dingen ganz anders umgehen, und sie sich nicht widersprechen. Ein wenig erinnert es mich auch an alte Sagen aus dem europäischen Bereich. Dort stehen auch solche Aussagen mitunter nebeneinander.
Auf jeden Fall, danke für diese tolle Rezi!
Hab noch eine wunderschöne Rest-Woche!
Mina
PS: warum kann man eigentlich nicht mehr liken?
Liebe Mina,
wie schön, von dir zu lesen! :)
Und ganz herzlichen Dank für deine lieben Worte! Manchmal hab aber auch ich nichts oder wenig zu einem Buch oder Comic zu sagen – dann entsteht aber auch kein Blogbeitrag. ;) Auf Twitter hatte ich vor einigen Tagen gelesen, dass negative Rezensionen oft länger ausfallen als positive. Da ist etwas dran. Wenn ich zu einem Buch oder Comic keinen Zugang finde, hat das oft mehrere Gründe und bis ich die „sortiert“ und aufs digitale Papier gebracht habe, braucht es etwas Zeit und Platz.
Solche assoziativen Sprünge, wie du sie schilderst, sind mir zum Glück noch nicht zu oft untergekommen. Vor vielen Jahren hatte ich aber mal ein Buch, bei dem das extrem war und alles nur konfus und zusammenhangslos wirkte. Da das Buch über 1.000 Seiten hatte und nach rund 200 Seiten keine Besserung in Sicht war, hatte ich dann aufgegeben. Bei Mangas ist es tatsächlich so, dass oft vieles ungesagt bleibt und man zwischen den Zeilen (oder Blicken) lesen muss. Daran gewöhnt man sich aber meiner Erfahrung nach irgendwann – sofern dieses Ungesagte nicht überhand nimmt oder entscheidend für das Verständnis von Handlungen / Entwicklungen ist.
Was europäische Sagen betrifft, bin ich tatsächlich nicht so bewandert, wie ich es gern wäre. Empfehlungen nehme ich daher gerne an. ;) Ich habe mir vor Kurzem vorgenommen, mich demnächst einmal näher mit den griechischen Sagen/ Tragödien zu beschäftigen, da sich hier so vieles findet, dass in späteren internationalen Erzählungen aufgegriffen wird oder Parallelen aufweist.
Was das Liken betrifft: Im Zuge der DSGVO habe ich das Plugin Jetpack rausgeschmissen und damit verschwand leider auch die Möglichkeit, zu liken. Das fand/ finde ich selbst schade, da auch ich diese Funktion gern auf Blogs nutze (nicht immer hat man genug Worte für einen sinnvollen Kommentar, möchte aber trotzdem deutlich machen, dass man den Artikel gern gelesen hat). Rechtliche Sicherheit ist mir dann aber doch wichtiger gewesen.
Viele Grüße und auch dir einen wundervollen Sonntag!
Kathrin