SchönheitDie Protagonistin in Kerascoëts und Huberts Graphic Novel ist eigentlich keine Protagonistin im eigentlichen Sinne und hört noch dazu auf den bezeichnenden Namen „Morue“, „Stockfisch“. Zusammen mit ihrer Mutter ist sie in ihrem Heimatdorf dafür zuständig, Fische zu entschuppen, was zur Folge hat, dass sich der fischige Geruch derart in Kleidern, Haut und Haaren festgesetzt hat, dass Morue immer nach Fisch riecht, egal wie gründlich sie sich wäscht. Morues größtes Problem ist jedoch ihr Aussehen: Mit ihrer extrem dünnen Figur, der schlechten Haltung, den großen Augen, dem fliehenden Kinn und den riesigen Segelohren ist Morue nicht gerade ansehnlich und dem ständigen Gespött anderer ausgesetzt.

Als Morue eines Abends zum Holzholen in den Wald geht, begegnet ihr eine Kröte – in Morues Augen ein Lebewesen, das ihr Schicksal der Hässlichkeit teilt. Sie weint um sich und die Kröte und hebt damit unbewusst einen auf der Kröte liegenden Bann auf: Diese entpuppt sich als Fee und gewährt Morue zum Dank einen Wunsch. Natürlich sehnt sich das Mädchen nach nichts mehr, als schön zu sein, verspricht sie sich davon doch ein besseres Leben. Die Fee kann Morue jedoch nicht hübsch werden lassen, stattdessen belegt sie sie mit einem Zauber, der dafür sorgt, dass Morue in den Augen anderer Menschen die schönste Frau auf Erden ist.

Doch was Morue nicht weiß: Es handelt sich nicht um irgendeine Fee, sondern um die böse Feenkönigin Mab. Eben jene Mab, von deren Taten uns schon Mercutio in Shakespeares „Romeo und Julia“ berichtete:

„[…]
Bald kitzelt sie mit eines Zinshahns Federn
Des Pfarrers Nase, wenn er schlafend liegt:
Von einer bessern Pfründe träumt ihm dann.
Bald fährt sie über des Soldaten Nacken:
Der träumt sofort von Niedersäbeln, träumt
Von Breschen, Hinterhalten, Damaszenern,
Von manchem klaftertiefen Ehrentrunk;
Nun trommelt’s ihm ins Ohr; da fährt er auf
Und flucht in seinem Schreck ein paar Gebete
Und schläft von neuem. Eben diese Mab
Verwirrt der Pferde Mähnen in der Nacht
Und flicht in strupp’ges Haar die Weichselzöpfe,
Die, wiederum entwirrt, auf Unglück deuten.
Dies ist die Hexe, welche Mädchen drückt,
Die auf dem Rücken ruhn, und ihnen lehrt,
Als Weiber einst die Männer zu ertragen.
Dies ist sie – “ (I. Akt, IV. Szene)

Klar, dass sich Morues Traum von Schönheit nur zu einem Albtraum entwickeln kann! Aus ihrem Heimatdorf muss das Mädchen wegen zu vielen Verehrern fliehen. Dabei kommt auch ihre geliebte Mutter ums Leben. Doch kurz darauf scheint es das Schicksal gut mit Morue zu meinen: Ein Burgherr verliebt sich in die Schönheit und eine Zeit lang sind beide glücklich miteinander. Doch Mab taucht wieder auf und redet Morue ein, sich nicht mit einem Burgherren zufrieden zu geben, wenn sie doch auch einen König zum Mann haben könnte. Morue lässt sich blind beeinflussen und schafft es tatsächlich, Königin zu werden. Doch während sie ihr neues Leben genießt und vom ganzen Königreich verehrt wird, sorgt ihre Schönheit für einen Krieg. Mit jedem weiteren Jahr spitzt sich die Situation zu. Schließlich wird auch das Leben von Morue und ihrer Tochter zu einem Albtraum …

„Schönheit“ erschien ursprünglich in drei Einzelbänden und ist eine gelungene Parabel über Oberflächlichkeiten, über den berüchtigten schönen Schein, mit der Erkenntnis, dass Schönheit a) allein auch nicht glücklich macht und b) im Auge des Betrachters liegt. Grandios ist dabei vor allem die Pointe des Epilogs, in dem Kerascoët und Hubert die Leser ans „andere Ende der Welt“ entführen.

Wer mit unsympathischen Hauptfiguren allerdings nicht klar kommt, für den ist „Schönheit“ vermutlich keine leichte Lektüre: Denn Morue kann den Leser auf den insgesamt 152 Seiten durchaus auf die Nerven gehen mit ihrer Selbstverliebtheit sowie ihrer Blindheit gegenüber Mabs Intrigen und den Schattenseiten als einzigartige Schönheit. Auch ich ärgerte mich oft darüber, wie Morue denkt oder handelt. Eines muss man ihr jedoch hoch anrechnen: Trotz ihres Reichtums und all der Zuwendung durch alle Welt vergisst Morue nie ihren besten Freund aus Kindheitstagen – den einzigen Menschen, mit Ausnahme ihrer Mutter, der Morue trotz ihrer Hässlichkeit liebte. Sie lässt ihn im Schloss wohnen, wo er als ihr Freund und Diener stets an ihrer Seite ist.

Optisch fällt insbesondere auf, dass die Panels auf einer Seite zumeist in ähnlichen Farbtönen gehalten sind, wodurch auf jeder Seite eine spezielle Atmosphäre eingefangen wird und die Panels im Verhältnis zueinander sehr harmonisch wirken. Daneben stecken die Bilder voller Details – in dem ein oder anderen kann man dabei durchaus Amüsantes im Hintergrund entdecken!

Fazit:

Wer denkt, dass sich das Leben eines Aschenputtels zu einer Bilderbuchgeschichte entwickelt, sobald sie schön wird und über ein Königreich herrscht, der wird mit dieser Graphic Novel eines Besseren belehrt: Auch Schönheit kann eine Last, ja ein Fluch sein, das machen die französischen Künstler Kerascoët und Hubert in „Schönheit“ mehr als deutlich und mokieren das ewige Streben nach ebendieser Eigenschaft.