The AbsolutistHomosexualität zur Zeit des Ersten Weltkriegs ist kein oft zu findendes Thema in Literatur oder auch Film. Was es bedeutet, homosexuell zu sein in einer Zeit, in der gleichgeschlechtliche Liebe noch weniger akzeptiert wurde als heute, noch dazu wenn man Angehöriger des Militärs ist, hierin gibt uns John Boyne in „The Absolutist“ einen Einblick – und das auf traurige, gefühlvolle Weise, ohne dabei mit allzu präsenter Dramatik zu erdrücken. Protagonist Tristan Sadler ist dabei kein unfehlbarer Mensch, auch nicht sein Kamerad Will, in den er sich während seiner militärischen Ausbildung in Aldershot verliebt. Während Tristan schon vor längerem erkannt hat, dass er sich zu Männern hingezogen fühlt, ist Will mit einer Frau verlobt und mit den aufkeimenden Gefühlen für Tristan überfordert. Zwischen Tristan und Will entwickelt sich ein Verhältnis, das von Anziehung und Leidenschaft geprägt ist, aber auch von wiederkehrender Zurückweisung. Dem Leser ist dabei nur allzu bewusst, dass es für beide – so sehr man es sich auch wünscht – kein gemeinsames Ende geben kann. Doch Tristan kann Will nicht vergessen und so reist er ein Jahr nach Kriegsende nach Norwich, um Wills Schwester aufzusuchen. Während John Boyne uns erzählt, wie Tristan mit dem Kennenlernen von Wills Schwester umgeht und mit welchen Problemen er seit seiner Zeit als Soldat jeden Tag aufs Neue zu kämpfen hat, gibt es regelmäßige Rückblenden in die Jahre 1916 und 1917, als Tristans Militärdienst begann und er Will kennenlernte, mit dem ihn anfänglich eine tiefe Freundschaft, später mehr verband.

Dabei ist es John Boyne gelungen, keine Liebesgeschichte zu schreiben, sondern vielmehr ein Portrait über eine historisch bedeutsame Zeit, über das Leben an der Front und darüber, was es bedeutet, homosexuell zu sein in einer Zeit, in der man dafür von der Gesellschaft verstoßen wird. Wir erfahren vom Alltag und Drill der Soldaten, sind auf dem Schlachtfeld dabei, erleben, wie immer mehr Mitglieder aus Tristans und Wills Einheit fallen, aber auch wie mit Kriegsdienstverweigeren umgegangen wird und wir erleben die psychischen Spätfolgen des Krieges, die man erst viele Jahrzehnte später unter dem Namen Posttraumatische Belastungsstörung wirklich anerkannte. Da die Geschichte aus der Ich-Perspektive von Tristan erzählt wird, erhalten wir zudem Einblicke in Tristans Gefühle und Vergangenheit. Er teilt mit uns die Erinnerung an den Abschied von seiner Familie, bei dem sein Vater wünschte, dass Tristan auf dem Schlachtfeld sterben möge, da er der Familie nur Schande bereite. Und Stück für Stück nähern wir uns Tristans großem Geheimnis an, das man während der Lektüre des Lesens zwar immer wieder vermutet, das aber so abwegig erscheint, dass man nicht daran glaubt – und es einen schockt, zu erfahren, dass die Ahnung sich bewahrheitet. Wahrlich, John Boyne weiß, wie man gute Geschichten erzählt und dramatische Wendungen oder Offenbarungen sind wir Leser ja bereits aus seinen anderen Büchern gewohnt. So ist auch „The Absolutist“ wieder ein kleines Meisterwerk, das man – einmal angefangen – nicht mehr aus der Hand legen möchte und das einen auch nach dem Lesen noch lange begleiten wird: Ich selbst habe es nun vor fast einem Jahr gelesen und noch immer ist der Eindruck an diese Lektüre so stark wie unmittelbar danach. John Boyne hat mir mit „The Absolutist“ folglich erneut gezeigt, warum er einer meiner Lieblingsautoren ist und hätte ich nicht zu viele andere ungelesene Bücher hier stehen, würde ich dieses Buch sofort erneut lesen.

In Deutschland erschien „The Absolutist“ übrigens als „Das späte Geständnis des Tristan Sadler“ – ein ebenfalls passender Titel, doch ist der Originaltitel deutlich zutreffender, da er auch im Buch aufgegriffen wird. Das gilt ebenso für die auf dem UK-Cover abgebildete Feder, die sich leider nicht auf den deutschen Hardcover- und Taschenbuchausgaben wiederfindet, obwohl sie in der Geschichte ein bedeutendes Symbol ist.

Fazit:

Mit „The Absolutist“ hat John Boyne wieder einmal sein Talent als Geschichtenerzähler bewiesen – atmosphärisch dicht und mit authentischen Charakteren reist der irische Autor mit uns zurück in den Ersten Weltkrieg, holt uns direkt an die Front und lässt uns teilhaben an einer Beziehung, die es zu dieser Zeit nicht geben durfte. Ein Buch, das noch lange nachwirkt.

“ ‘Curious, isn´t it, Tristan’, asked Marian, ‘how we consider the death of a soldier to be a source of pride rather than a source of national shame? […]‘ ”

(John Boyne: “The Absolutist”, Doubleday 2011, Seite 229)