Es herrscht bitterhalter Winter und im Wartesaal eines indischen Bahnhofes sitzen vier junge Männer. Ihr Zug kann erst am nächsten Morgen weiterfahren. So sind sie dazu genötigt, die ganze Nacht am Bahnhof der Kleinstadt zu verweilen. Sie sind müde, frieren und könnten unterschiedlicher kaum sein: Da gibt es den kräftig gebauten Bauunternehmer, den eleganten Beamten, den hageren Schriftsteller und den angesehenen Arzt. Obwohl sie bereits einen großen Teil der Fahrt miteinander verbrachten, haben sie bisher kein Wort miteinander gewechselt. Plötzlich stürmt ein junges, frisch verliebtes Pärchen zur Tür des Warteraums hinein. Es blickt sich kurz um – und geht genauso plötzlich wieder. Doch dieser kurze Augenblick hat etwas in den vier Männern ausgelöst – Erinnerungen an eigene Lieben und die eigene Jugend. Anfangs zögerlich, später intensiv unterhalten sich die Männer über das Pärchen, spekulieren, diskutieren über das Verliebtsein und schließlich erzählen sie einander eigene Erfahrungen mit der Liebe.
Wer nun hollywoodreife Schnulzen erwartet oder Liebesgeschichten, die wie eine Lawine über die Protagonisten einstürzten, der muss eines Besseren belehrt werden. Die vier Geschichten der Männer unterscheiden sich – da gibt es die heimliche, unerwiderte Liebe, die aufopferungsvolle Liebe, die zufällige, aber dauerhafte Liebe und die erwiderte, aber zukunftslose Liebe. Ihnen allen gemein ist die eher ruhige Art und Weise, wie sie entstand und sich entwickelte. Still, vorsichtig und unsicher sind die Geschichten der ersten Verliebtheit – und damit authentisch. Ohne zu große Tragik, ohne zu viel Intensität und ohne Kitsch.
Buddhadeva Bose erzählt sehr beobachtend – als hätte er das Geschehen miterlebt und würde es nun einem Freund erzählen. Sehr präzise schildert er die Momente und Personen, ohne dabei zu sachlich zu werden. Genauso ruhig wie die Liebesgeschichten ist auch Boses Schreibstil – distanziert und nah zugleich. Er zeigt die jugendliche Verliebtheit im traditionellen Indien zu Beginn und Mitte des 20. Jahrhunderts auf. Heimliche Blicke, Zurückhaltung, vorsichtige Gesten der Zuneigung, Verletzbarkeit.
Ein Pro und Contra zugleich weist das Cover auf: In Anbetracht der Tatsache, dass die Handlung in Indien spielt, passt das Motiv mit dem eher westeuropäisch anmutendem Hintergrund und der blonden Frau nicht mal im Entferntesten zum Buch. Jedoch ist das Motiv in seinem Gemälde-Stil und seiner Schlichtheit wunderschön.
Fazit:
Boses „Das Mädchen meines Herzens“ ist keine Geschichte, die man einem schweren „Hach“-Seufzer beendet. Vielmehr erinnert sie an die eigene Zeit der unbeholfenen, nicht immer glücklichen, jugendlichen Verliebtheit. Keine unrealistischen Drehbuch-Romanzen, die die Erwartungen der Frauen an die Liebe unendlich hochschrauben. Stattdessen ehrliche, zutiefst aufrichtige und alltägliche Liebelein und Schwärmerein.
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