Gefühlt kenne ich „Shining“ seit meiner Kindheit. Zumindest die Verfilmung war mir seit jeher ein Begriff, hat sie doch Kultstatus und wird oft genug referenziert. Gesehen habe ich sie allerdings nie und auch Stephen Kings Roman hatte ich nie gelesen. Warum? Zum einen, weil ich tatsächlich nicht neugierig genug darauf wurde, zum anderen, weil ich befürchtete, enttäuscht zu werden (so wie bei „Friedhof der Kuscheltiere“). Während irgendeiner Aktion landete das E-Book aber doch auf dem digitalen SUB und nach dem Ende meiner Leseflaute bekam ich nun riesige Lust auf King. Was soll ich sagen? Es war grandios und bei jedem Kapitel habe ich mich gefragt, warum ich nicht früher zu „Shining“ griff.

„Shining“ ist nicht nur Stephen King in seiner besten Form, sondern auch genau die Art Horror, die ich liebe: kein Dauersplatter, sondern sich leise anschleichender, übersinnlicher Horror, der seine Figuren und uns an der Wahrnehmung zweifeln lässt und die Grenzen zwischen fassbarer und nicht-fassbarer Welt verschwimmen lässt.

Was mich dabei besonders begeistert hat: Obwohl uns das Buch sehr früh wissen lässt, was der Familie Torrance im eingeschneiten Overlook Hotel passieren wird, wird die Geschichte nie langweilig. Es behält seine Spannung auf durchgehend hohem Niveau und machte es mir schwer, das Buch aus der Hand zu legen. Es geht in „Shining“ nicht darum, wie die Geschichte endet, sondern darum, warum sie so endet und was die Geister des Overlook Hotels mit dem Verstand der Gäste und Mitarbeitenden anstellen.

Der kleine Danny Torrance weiß von Anfang an, dass das Overlook Hotel ein gefährlicher Ort ist und Böses über seine Familie bringen wird, denn er verfügt über das „zweite Gesicht“ – das „Shining“: Er hat Visionen von Vergangenem, vor allem aber von Zukünftigem und kann „spüren“, was andere Menschen denken. Als sein Vater Jack Torrance den Hausmeisterjob im Overlook Hotel annimmt, zeigen ihm Dannys Visionen immer wieder das Wort DROM. Doch obwohl der Junge weiß, dass etwas Schlimmes passieren wird und seinen Eltern bewusst ist, dass er eine besondere Begabung hat, lassen sie sich auf das Overlook Hotel ein – wohlwissend, dass sie im Winter, außerhalb der Saison und hoch oben in den Bergen für ein halbes Jahr von der Außenwelt abgeschottet sein werden und im Ernstfall keine Hilfe holen können.

Anfangs sind es nur einzelne Vorfälle, die Danny Angst machen – Vorfälle, die vorübergehen, sobald er die Augen schließt. Doch je mehr der Herbst in den Winter übergeht, desto mehr spielt das Hotel mit seinen drei Bewohner*innen. Selbst Jack wird mehrfach Zeuge, wie der Geist des Hotels ihn und seine Familie bedroht. Doch während Danny und seine Mutter Wendy immer ängstlicher werden und hoffen, dem Hotel doch noch entfliehen zu können, ist Jack zwischen Furcht, Pflichtgefühl und Faszination hin und her gerissen: Ja, er will seinen Sohn schützen, aber er und die Familie sind auf diesen Job angewiesen, um zu überleben. Außerdem steckt das Hotel voller Geschichten über Glamour, Mord und unerklärliche Ereignisse. Jacks Schriftstellerehrgeiz ist geweckt und immer tiefer taucht er in die (Zwischen-)Welten des Hotels ein, das ihn schließlich zum Erfüllungsgehilfen seiner mörderischen Ziele macht.

Es ist nicht nur der Horror der übersinnlichen Erlebnisse und Gewaltszenen, der mich als Leserin beklemmt zurückließ, sondern auch die Entwicklung der Figuren und ihrer Beziehungen zueinander. Am stärksten sind die Veränderungen natürlich bei Jack zu beobachten, der immer häufiger Hass und Wut gegenüber Wendy empfindet und für den es plötzlich vollkommen logisch und richtig scheint, seine Frau und seinen Sohn ermorden zu wollen. Auch über die isolierte Familie hinaus ist häusliche Gewalt ein wiederkehrendes Thema des Romans – genauso wie Alkoholismus und Medikamentenmissbrauch. King hat also, wie in vielen seiner Werke, nicht nur die richtigen Zutaten für guten Horror verarbeitet, sondern ein Porträt über menschliche Fehler und Abgründe gezeichnet. Das ist der Grund, wieso ich Stephen Kings Bücher so gerne lese – und wieso „Shining“ zurecht zu seinen erfolgreichsten Werken gehört.

Hinzu kommen noch gekonnt eingeflochtene Referenzen zu Poes „Die Maske des roten Todes“, viel – aber gutes – Foreshadowing, und gewisse Symboliken bzw. Muster.

Das Einzige, das nicht immer überzeugt, ist die Übersetzung durch Harro Christensen: Abgesehen davon, dass vereinzelte Redewendungen oder Bezeichnungen 1:1 ins Deutsche übertragen wurden, obwohl es in der deutschen Sprache passendere Formulierungen gegeben hätte, finden sich in der Übersetzung noch einige -Ismen. So ist beispielsweise immer wieder von „Farbigen“ die Rede – nicht nur in den Dialogen, die die damaligen Ausdrucksweisen widerspiegeln, sondern auch im neutralen Erzähltext. Hier wäre – gerade angesichts der Ausgabe aus den 2010ern – eine kritische Überarbeitung erforderlich gewesen.

Fazit:

In „Shining“ hat Stephen King einfach alles richtig gemacht und eine Geschichte geschaffen, die jetzt zu meinen persönlichen Top 5 des Autors zählt.

Stephen King: „Shining“ (The Shining Band 1), aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Harro Christensen, Bastei Lübbe 2013, ISBN: 978-3-8387-5203-7, ASIN: B00FYPCNPQ


>> zur Besprechung von „Doctor Sleep“ (Band 2)