Zehn Geschichten. Zehn Menschen. Sie alle sind auf ihre ganz eigene Art einsam, nicht gemacht für die Gewöhnlichkeit der Kleinstadt Moberly. Sie wurden oder haben sich selbst ausgegrenzt von den Menschen, die sie umgeben. Und immer wieder scheint es, als würde das Leben sich einen Spaß auf ihre Kosten erlauben. Doch am Ende wird alles gut. Oder? Zumindest verspricht dies der Titel von Joey Goebels erster Kurzgeschichtensammlung. Ob dem so ist, sollt ihr selbst herausfinden. Nur so viel sei verraten: Glück ist ein dehnbarer Begriff und ein gutes Ende sieht für alle anders aus.

Da ist zum Beispiel Anthony, der seine große Liebe nur auf dem Bildschirm sieht. Da sind die Bockelmans – Mutter und Sohn – die nach dem Tod des Ehemanns und Vaters in ein schier bodenloses Loch gefallen sind. Wir begegnen dem Jungen Luke, dem Punkrock und Humor helfen, seiner Depression und der Ödnis Moberlys zumindest für ein paar Augenblicke zu entkommen.

„Zwar spielte er gern den Unterhalter, dennoch verbrachte er den ganzen Tag in einem Zustand der Rebellion, was anstrengend war; wogegen er rebellierte, war sein wahres Ich. Doch Luke glaubte, dass es das wert war, denn wenn er das Gelächter hörte, das er verursacht hatte, oder sah, dass er jemanden zum Lachen bringen konnte, schienen die Leute einen Moment lang nicht mehr so weit weg zu sein.“ („Skanky Baby“, S. 77)

Auch Lukes Schwester Carly – ebenfalls eine Außenseiterin – lernen wir kennen. Carly ist kindlicher und hat andere Interessen als die übrigen Mädchen in ihrem Alter. Und sie ist viel zu still. Für ihre Mitschüler*innen sind das genug Gründe, Carly zu meiden und zu verspotten. Doch wenn sie nach der Schule den Antikmarkt ihrer Mutter betritt, erleben wir eine andere Carly. Die Händler*innen mögen sie und auch das Reden fällt der Zwölfjährigen hier ganz leicht. Am kostbarsten sind ihr immer die Momente mit dem eleganten Mr. Baynham. Er ist ein Gentleman aus einer längst vergangenen Zeit und arbeitete einst mit Carlys Lieblingsschauspieler James Dean zusammen. Nicht verwunderlich also, dass Mr. Baynham für Carly wie ein Großvater, Freund und Vertrauter wird. Doch in einem Kaff wie Moberly, in dem es absolut gar nichts gibt, sind Klatsch und Tratsch das tägliche Brot der Einwohner*innen – und eine Freundschaft zwischen einem alten Herrn und einem Mädchen ein gefundenes Fressen.

Wir erfahren außerdem von einem Vater, der sich nichts sehnlicher wünscht, als mehr Zeit mit seinem Sohn verbringen zu dürfen, tauchen in beide Seiten einer zerbrechenden Beziehung ein, irritieren uns an dem grenzwertigen Verhältnis einer Seniorin und ihrer Dogge und lernen eine Frau kennen, die alles zu haben scheint, sich aber einsam und verlassen fühlt. Und schließlich erwärmt uns „Der Mann, der sich selbst genügte“ das Herz, erfüllt uns mit Hoffnung und Urvertrauen in das Leben, als sich der von nahezu allen aufgegebene Protagonist auf seine eigene, stille und romantische Weise zurück ins Leben, in die Welt vor seinem Fenster, kämpft.

All diese Geschichten kommen im typischen Goebel-Sound daher. Bittersüß wandeln sie zwischen Tragik und Komik. Sie haben etwas Zerbrechliches, als würde ein falscher Schritt genügen, um ihre Figuren endgültig zu Fall zu bringen.

Und doch unterscheiden sich Joey Goebels Kurzgeschichten von seinen Romanen. Sie sind deutlich realistischer, weniger überspitzt – und gerade deshalb so erschütternd. Für mich ist „Irgendwann wird es gut“ daher auch das bisher beste Buch Goebels. In einem Interview mit Benedict Wells, das den Kurzgeschichten angehängt ist, begründet Joey Goebel den stärkeren Realismus mit den Entwicklungen unter Trumps Regierung: Wo die Realität grotesker ist als Fiktion, wird Satire ad absurdum geführt. Goebels Geschichten seien „geerdet und plausibel, weil das Leben in den USA das nicht mehr ist.“ (S. 312)

Doch nicht nur dieser Realismus ist es, der mir an „Irgendwann wird es gut“ so sehr gefällt. Das Setting in einem trostlosen Kaff ist mir nur allzu vertraut. Auch ich bin in einer Kleinstadt großgeworden. Seit ich denken kann, wusste ich, dass ich nicht bleiben würde und habe schließlich – im Gegensatz zu Goebel und seinen Figuren – meinen Heimatort verlassen. Wenn ich nun zu Besuch bin, erlebe ich eine scheinbar sterbende Stadt: Plätze, an denen sich einst das Leben abspielte, liegen still da; immer mehr Geschäfts- und Büroräume stehen leer; das Angebot an Kultur und Freizeitmöglichkeiten ist dürftig und oftmals überteuert; das Gros der Menschen ist unzufrieden und fühlt sich abgehängt.

Zu beobachten, wie die zehn Personen in „Irgendwann wird es gut“ tagtäglich mit der geistigen wie räumlichen Enge der Kleinstadt sowie ihren individuellen Problemen und Schicksalsschlägen kämpfen, hat mich berührt und oft wollte ich schützend die Arme um sie legen oder sie einfach wissen lassen, dass sie nicht allein sind. Denn auch wenn es ihnen nicht so erscheint, beweisen ihre Geschichten doch, dass es sogar in einem Kaff wie Moberly mehr als einen Menschen gibt, der genauso einsam ist und aus der Masse heraussticht wie man selbst. In „Irgendwann wird es gut“ sind ihre Geschichten immer wieder miteinander verwoben, Wege kreuzen sich, Leben berühren einander, wenn auch manchmal nur für einen kurzen Augenblick. Joey Goebels Kurzgeschichtenband liest sich daher eher wie ein Roman, der aus mehreren Episoden zusammengesetzt ist. Puzzle für Puzzle setzt sich ein Gesamtbild dieser kleinen Stadt und ihrer Bewohner*innen zusammen. Ein Kaleidoskop von Geschichten, gefangen in der Tristesse.

Fazit:

An die Außenseiter*innen, Underdogs, Einsamen, Nach-mehr-Strebenden, Fans des Tragikomischen und alle, die einen Einstieg in Joey Goebels Werk suchen oder die bislang nichts mit Kurzgeschichten anfangen konnten: „Irgendwann wird es gut“ ist euer Buch.

Joey Goebel: „Irgendwann wird es gut“, aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Hans M. Herzog, Diogenes 2019, ISBN: 978-3-257-07059-0