Unter dem Slogan „Introvert Happy Hour“ treffen sich Lesende in Cafés, Bars oder anderen Orten und lesen einfach das, worauf sie Lust haben. Es gibt keine feste Gruppenzusammensetzung, kein festgelegtes Buch und ob du mit anderen über dein Buch sprechen möchtest, entscheidest du selbst.
Obwohl es Silent Book Clubs schon so lange gibt, haben sie – zumindest außerhalb der USA – erst in den letzten Jahren an Bekanntheit gewonnen, was natürlich vor allem an Social Media liegt. Mittlerweile finden sich auch in Deutschland etliche Silent Book Clubs, u.a. seit diesem Jahr hier in Stuttgart. Am 5. Dezember fand der Silent Book Club Stuttgart erstmals in meinem Lieblingscafé, dem Café Luv, statt – für mich die perfekte Gelegenheit, das Konzept zu testen.
Der Ablauf eines Silent Book Clubs ist einfach und entspannt: Die erste halbe Stunde dient dem Ankommen und der Möglichkeit, sich Getränke zu besorgen. Wer mag, kann sich mit anderen über das jeweils mitgebrachte Buch austauschen. Anschließend wird eine Stunde lang konzentriert, ungestört und in angenehmer Ruhe gelesen. Dabei ist jedes Genre und jedes Format erlaubt – ja, auch Hörbücher oder Hörspiele kannst du mitbringen. Vorurteile und Kritik an der Buch- oder Formatauswahl anderer Lesenden haben bei Silent Book Clubs nichts zu suchen! Nach Ablauf dieser Stunde kannst du entweder mit anderen ins Gespräch kommen, weiterlesen oder auch einfach gehen.
Als ich an diesem Donnerstagabend pünktlich das Café betrat, hatten es sich die ersten Personen schon mit ihren Büchern und Getränken auf den Sesseln gemütlich gemacht. Nachdem auch ich mein Getränk bestellt hatte, machte ich es ihnen nach. Während ich begann, in das lettische Landleben von Edvarts Virzas „Straumēni“ einzutauchen, kamen nach und nach weitere Lesende hinzu. Gespräche gab es quasi keine – alle machten es sich schnell gemütlich und widmeten sich ihren Büchern. So lasen wir alle gemeinsam und doch jede*r für sich. Im Hintergrund lief leise Weihnachtsmusik, die – zusammen mit den bereitgestellten Lebkuchen und Spekulatius – zur wohligen Atmosphäre beitrug, aber leise genug war, um das Lesen nicht zu stören.
Wie viel Zeit verging, ließ sich während des Lesens nicht abschätzen: Es gab keine Uhr, keinen Timer, keine Worte nach Ablauf der definierten Stunde. Stattdessen löste sich die Runde ab einem bestimmten Zeitpunkt einfach sukzessive auf. Als ich das Café verließ, war es 21 Uhr – damit waren seit offiziellem Start des Silent Book Clubs zwei Stunden vergangen. Ich habe also intuitiv die vorgegebene Zeitspanne im Silent Book Club verbracht – die „innere Uhr“ funktioniert manchmal faszinierend gut.
Für mich war es definitiv nicht der letzte Besuch eines Silent Book Clubs! Ich hatte einen unglaublich angenehmen, gemütlichen Abend, der mir Erholung schenkte und mich – anders als andere Unternehmungen unter Menschen – nicht auslaugte. Tatsächlich war es auch das erste Mal in meinem Leben, dass ich in einem Café, einem Restaurant oder einem ähnlichen öffentlichen Ort lesen konnte – bei allen anderen Versuchen hat mich die Umgebung stets zu sehr abgelenkt. Auch konnte ich beim Silent Book Club länger konzentriert am Stück lesen, als mir das abends zu Hause gelingt, wo meine Gedanken nach einem Arbeitstag zu schnell von der Lektüre wegdriften.
Diese Reizarmut und Ruhe, die Freiheiten und die Toleranz stellen in meinen Augen DIE Vorzüge von Silent Book Clubs dar und machen sie zu einer wahren Bereicherung für das Freizeitangebot in jedem Ort, nicht zuletzt für introvertierte Menschen wie mich.
Ein Silent Book Club ist das Richtige für dich, wenn:
- du Zeit unter Menschen verbringen, aber nicht socializen möchtest.
- du ablenkungsfrei und in gemütlicher Atmosphäre lesen möchtest.
- du dich gerne mit anderen Lesenden umgibst, aber die Verbindlichkeiten klassischer Buchclubs für dich Stress und Druck bedeuten.
Ob es auch in deiner Nähe einen Social Book Club gibt, kannst du unter https://silentbook.club/ herausfinden.
„Silent Book Club“ ist eine eingetragene Marke. Möchtest du einen Silent Book Club starten, beachte das Vorgehen und die Hinweise unter https://silentbook.club/pages/how-to-start-a-silent-book-club-chapter.
Ein spannendes Konzept, davon habe ich zuvor noch nie gehört. Ich finde es spannend, dass du gerade dort in Ruhe lesen konntest, wo du ,,in Gefahr“ läufst, auf deine Lektüre angesprochen zu werden. Bei mir wäre es vermutlich genau andersherum, ich würde schauen, was alle um mich herum lesen und käme gar nicht zur Ruhe. Dafür kann ich aber in einem Café oder der Bahn mit einem Buch ganz schnell so sehr abschalten, dass ich die Zeit (und das Aussteigen) vergesse. Mal sehen, ob es sowas auch in meiner Nähe gibt, dann kann ich es mal ausprobieren.
PS: Wie schön, dass du Virza liest! Ich dürfte auf der letzten Leipziger Buchmesse eine Veranstaltung von „Latvian Literature“ begleiten und war freudig überrascht, wie viele schöne Bücher aus Lettland es gerade in die Übersetzung schaffen. Das Motto von Latvian Literature ist zufällig auch #Iamanintrovert; ihre Neuigkeiten veröffentlichen sie in der „Introvert Times“. :-)