In einem Anflug von Nostalgie liest unser zamonischer Lieblingsschriftsteller Hildegunst von Mythenmetz den alten Briefwechsel zwischen sich und seinem langjährigen Freund Hachmed Ben Kibitzer. Dabei zieht ihn ein Bündel Briefe besonders in den Bann: Es handelt sich um die Briefe, die Mythenmetz einst während seines Kuraufenthalts auf der Insel Eydernorn verfasste. Gemeinsam mit dem Lindwurm blicken wir nun zurück auf diese ungewöhnlichen Wochen.
„Die Insel der Tausend Leuchttürme“ ist damit kein klassischer Zamonien-Roman – weder dramaturgisch noch visuell: Die Ereignisse auf Eydernorn erleben wir ausschließlich durch die Briefe von Mythenmetz und statt Walter Moers‘ zahl- und kontrastreicher Illustrationen gibt es nur gelegentliche Bleistiftzeichnungen, die von Mythenmetz zur Veranschaulichung erstellt wurden. Das fand ich anfangs gewöhnungsbedürftig, fügt sich aber sehr gut in das veränderte Erzählen des Briefromans ein. Und es gelingt, was ich nie erwartet hätte: „Die Insel der Tausend Leuchttürme“ würde auch ohne die Zeichnungen überzeugen, denn Hildegunst von Mythenmetz hat alles so detailreich und anschaulich beschrieben, dass die Fantasie der Lesenden keinen weiteren Input nötig hätte.
Was Mythenmetz in seinen Briefen berichtet, sprudelt über vor außergewöhnlichen Ereignissen, ungewöhnlichen Wesen und skurrilen Orten. Mein persönliches Highlight des Buches sind die halluzinogen Land- und Wasserkarten, mit denen mentale – aber nicht ungefährliche – Reisen in eben jene abgebildeten Gefilde möglich sind. Ungefähr so stelle ich mir einen Orm-Rausch vor! Aber auch Lebensformen wie Frostfratten und Quaquappa sowie mythenumrankte Orte wie die Stadt ohne Türen und natürlich die Leuchttürme wirken wie eine Explosion voller Ideen.
Bereits Mythenmetz Anreise zur Insel Eydernorn steckt voller Zufälle und Glück im Unglück – ein kleiner Vorgeschmack darauf, was den Lindwurm in der kommenden Zeit erwarten wird. Während seines Kuraufenthalts auf Eydernorn, das wegen der hohen Dichte an Leuchttürmen als „Insel der Tausend Leuchttürme“ bekannt ist, muss Mythenmetz natürlich einige medizinische Behandlungen über sich ergehen lassen, die für ihn mehr Folter als Erholung darstellen. Die Kur als eigentlicher Grund für die Reise gerät aber schnell in den Hintergrund, als Mythenmetz sein sportliches Talent fürs Kraakenfieken entdeckt, von den unzähligen Legenden und gefährlichen Wesen in und um Eydernorn erfährt, sein Herz an eine rasant wachsende (und durchaus niedliche!) Hummdudel-Familie verliert und sich zum Ziel setzt, alle Leuchttürme der Insel zu besuchen.
Die Leuchttürme sind dabei aus gleich zwei Gründen legendär: Zum einen ist jeder Turm ein Unikat – von schlicht bis absurd ist alles Erdenkliche unter den Bauwerken zu finden; zum anderen sind die Leuchtturmwärter*innen selbst so etwas wie eine Legende der Insel – sie gelten als einsiedlerisch, exzentrisch und reden angeblich mit niemandem, nicht einmal miteinander. Mythenmetz‘ Ehrgeiz ist geweckt: Er will es schaffen, IN einen Leuchtturm zu kommen und mit Wärter*innen zu sprechen.
Anhand seiner Briefe erfahren wir nun quasi tagesaktuell, welche Fortschritte Mythenmetz beim Entdecken der Insel und der Leuchttürme macht, was er sieht und wem er begegnet. Die Briefe sind lang. An der ein oder anderen Stelle waren sie mir ein wenig zu lang und ausschweifend. Langweilig sind sie indes nie und jeder Tag auf Eydernorn fühlt sich wie eine ganze Woche an in Anbetracht dessen, was Mythenmetz erlebt.
Durch die Briefform folgt „Die Insel der Tausend Leuchttürme“ keiner üblichen Dramaturgie, sondern hat eher episodenartigen Charakter – wie eine Fernsehserie, bei der jede Folge für sich alleinsteht, aber trotzdem in einen größeren Kontext eingeordnet ist. Ich persönlich fand dieses Episodenhafte angenehm, da auch bei längeren Lesepausen immer ein leichter Wiedereinstieg möglich ist. Beim Lesen kann aber mitunter die Frage aufkommen, worauf alles hinausläuft, ob es überhaupt auf etwas hinausläuft. Zum Ende des Buches fügt sich jedoch alles bisher Gelesene zu einem Gesamtbild zusammen, Ereignisse spitzen sich zu und es kommt zu einem kinoreifen Showdown. So kann ich also sagen, dass ich – trotz anfänglicher Zweifel während der ersten Kapitel – „Die Insel der Tausend Leuchttürme“ geliebt habe.
Totalen Zamonien-Neulingen würde ich „Die Insel der Tausend Leuchttürme“ allerdings weniger empfehlen: Immer wieder fallen Namen und Begriffe aus bisherigen Zamonien-Büchern und es gibt etliche Verweise zu „Die Stadt der Träumenden Bücher“. Man kann der Geschichte zwar auch ohne diese Kenntnisse folgen, wie ich während der Lesung im November feststellte, allerdings versteht man das ein oder andere besser, wenn man zunächst „Die Stadt der Träumenden Bücher“ liest, bevor man sich mit Mythenmetz nach Eydernorn begibt.
Fazit:
Der Episodencharakter von „Die Insel der Tausend Leuchttürme“ mag manche Lesenden nach einer Weile herausfordern, aber wer am Ball bleibt, erlebt ein dramatisches, actiongeladenes Ende – und vor allem viele ormgetränkte, fantastische und originelle Ideen des Duos Mythenmetz und Moers.
Walter Moers: „Die Insel der Tausend Leuchttürme“, Penguin Random House 2023, ISBN: 978-3-328-60006-0
Geplauder