Im Erwachsenenalter zu den Medienfavoriten der Kindheit zurückzugreifen, kann wohltuend nostalgisch sein und zurückführen in schöne Momente der eigenen Kindheit, so wie es mir bei „Die unendliche Geschichte“ ging. Das Wiedersehen mit früheren Kindheitsheld*innen kann aber auch sehr enttäuschen, ernüchtern oder sogar schockieren. Genau solch einen Fall hatte ich jetzt mit den „Famous Five“.
Enid Blytons „Fünf Freunde“ lernte ich zuerst durch die TV-Serie der 1970er kennen. Damals war das genau die Art von Geschichten, die ich liebte: Abenteuer – überwiegend in der Natur – und eine Welt, in der Kinder alles meistern können und unabhängig von Erwachsenen sind. Mit George, die offen gegen das vorherrschende Rollenbild rebellierte und nichts mit all dem anfangen konnte, was Mädchen mögen und tun sollten, konnte ich mich gut identifizieren. Nachdem die Fernsehserie also mein Interesse geweckt hatte, widmete ich mich den Büchern und der Hörspieladaption von Heikedine Körting für EUROPA. Die Hörspielkassetten begleiteten mich jahrelang abends beim Einschlafen, auf Klassenfahrten und Urlaubsreisen.
Vor einiger Zeit entdeckte ich, dass die EUROPA-Hörspiele mittlerweile bei Audible verfügbar sind und nutzte die Gelegenheit, die „Fünf Freunde“ noch einmal zu besuchen.
Langweilig, veraltet und enttäuschend
Sechs der alten Hörspielfolgen habe ich angehört – mehr Folgen wollte ich mir nicht antun, denn die Reihe hat mich in vielfacher Hinsicht enttäuscht, irritiert und wütend gemacht.
Dass die Musik und die Dialoge in den rund 45 Jahren nicht gut gealtert sind, ist wenig überraschend. Wenn zum Beispiel Anne erwähnt, dass der Bach „so schön herangegurgelt“ komme („Fünf Freunde im Zeltlager“), klingt das aber nicht nur veraltet, sondern lässt mich fragen, ob es tatsächlich Menschen gibt, die im Alltag solche Formulierungen verwendet haben.
Irritierend fand ich auch, dass die EUROPA-Produktion keine Einheitlichkeit bei den Namen der Figuren aufweist. George, deren vollständiger Name Georgina ist, wird mal mit einem dieser Namen angesprochen, mal mit Georgia oder Georgie. Ihr Cousin ist mal Julian und mal Julius. Es scheint, als hätten sich Heikedine Körting und ihr Team nicht entscheiden können, ob sie die Namen der englischen Originalversion oder die eingedeutschten Namen verwenden sollen. Diese Namensvariationen treten nicht nur über mehrere Bände hinweg auf, sondern auch innerhalb einer Geschichte, so zum Beispiel bei der Folge „Fünf Freunde im Zeltlager“.
Was mir jetzt als Erwachsene ebenfalls auffällt: wie unglaublich langweilig und repetitiv Enid Blyton die Abenteuer von Julian, Dick, Anne, George und Hund Timmy gestaltet hat. Fast immer geht es um Schmuggel und Diebstähle; die Fünf spüren sofort, wenn jemand zwielichtig wirkt und behalten damit immer Recht; den Kriminellen das Handwerk zu legen, gelingt ihnen auf Anhieb und auch die Polizei glaubt Kindern stets alles, selbst wenn diese nur eine vage Vermutung oder ein ungutes Bauchgefühl haben.
All das sind aber Aspekte, die nicht allzu schlimm sind. Sie zeugen von nicht allzu guter Arbeit, aber man kann über sie hinwegsehen. Wirklich problematisch sind dagegen die vermittelten Rollenbilder, Stereotype und Charaktereigenschaften.
Sexismus, toxische Männlichkeit, Xenophobie, Gewalt
Wenngleich George als Kritik am vorherrschenden Bild von Mädchen und Frauen präsentiert und von Enid Blytons eigener Kindheit geprägt wurde, denken die „Fünf Freunde“ – insbesondere die Brüder Julian und Dick – sehr in den Kategorien „typisch Junge“, „typisch Mädchen“. Im Gegensatz zu George erfüllt Anne nämlich jedes Klischee davon, wie ein Mädchen angeblich sein müsse. Sie ist häuslich und auf ihren Abenteuern ist sie diejenige, die alles putzt und aufräumt, während ihre Brüder und Cousine George auf Erkundungstouren gehen. Selbstverständlich macht Anne der Haushalt Spaß! Sie ist außerdem eher ängstlich und vorsichtig und muss sich deshalb von ihren Brüdern regelmäßig gemeine Sprüche anhören. In der Folge „Fünf Freunde und das Burgverlies“ geht es so weit, dass Dick seine Schwester dafür kritisiert, dass sie ihre üblicherweise offenen Haare an diesem Tag zu einem Pferdeschwanz trägt. Anne rechtfertigt sich prompt für ihre Frisur – und löst daraufhin ihren Zopf.
Die „Fünf Freunde“ sind voll von Szenen, in denen die Jungs diktieren, was zu tun ist, wer wohin darf und vor allem, wie die Mädchen Anne und George sein sollen. Obwohl Julian und Dick ihrer Cousine George bei den Abenteuern mehr zutrauen als ihrer Schwester Anne, passt ihnen Georges Art nicht wirklich. So empört sich Julian hinter Georges Rücken dafür, dass George keinen Spaß an Hausarbeit hat und fragt, warum sie nicht wie Anne und andere Mädchen sein könne.
Überhaupt ist Julian ein Paradebeispiel für toxische Männlichkeit. Neben seinen sexistischen Äußerungen fällt er in der Hörspielreihe immer wieder dadurch auf, dass er leicht Wutausbrüche bekommt und mit Gewalt droht. Anderen Kindern gegenüber, die sich frech verhalten und nicht tun, was die Famous Five wollen, erhebt er schnell die Hand und droht mit Prügel – und würde sicher so manches Mal auch zuschlagen, wenn ihn seine Geschwister und seine Cousine nicht zurückhalten würden. Auch gegenüber Erwachsenen haben er und George kaum Respekt. Sie misstrauen allen, sind hitzköpfig, beschuldigen und beleidigen sofort, wenn ihnen jemand unsympathisch ist. In „Fünf Freunde auf geheimnisvollen Spuren“ trifft Julian in der Küche von Georges Familie einen fremden Mann an. Ohne erst einmal zu fragen, wer der Mann ist und was er in der Küche tut, wird Julian direkt wütend und will den Mann rauswerfen. Selbst als der Fremde sich als Ehemann der Haushaltshilfe vorstellt, bleibt Julian zornig und aggressiv, sodass eine Szene, die in der Realität vollkommen harmlos wäre, direkt in einen lautstarken Konflikt eskaliert.
Befasst man sich daraufhin näher mit Enid Blytons Buchreihe stößt man auch immer wieder auf Xenophobie. Wer nicht der weißen, britischen Oberschicht angehört, ist immer in irgendwelche kriminellen Machenschaften verwickelt und potenziell verdächtig.
Das sollen nun Vorbilder für Kinder sein? Die „Fünf Freunde“, die ich immer mit Loyalität und Gerechtigkeitssinn assoziiert hatte, sind eigentlich gewaltige Arschlöcher? Puh.
Als Kind sind mir diese Aspekte nicht aufgefallen. Julian und Dick fand ich zwar schon damals anstrengend und unsympathisch, konnte aber im Grundschulalter nicht festmachen, woher meine Meinung rührt. Für mich standen vielmehr die Abenteuer und die Spannung im Fokus. Als Erwachsene sehe ich das jetzt anders und bin entsetzt, wie offen Sexismus, Klassismus, Rassismus, verbale und physische Gewalt in diesen Kindergeschichten vorgelebt werden. Ich hätte Bauchschmerzen damit, müsste ich diese Geschichten in dieser Form und ohne begleitende Gespräche in Kinderhände geben.
Hattet ihr schon ähnliche Erlebnisse mit Kinder- und Jugendbüchern? Wie geht ihr damit um?
Zum Weiterlesen:
Auf Wissenstagebuch warf Jana 2017 ebenfalls einen kritischen Rückblick auf Enid Blytons Kinderbücher und geht auf Blyton als Mutter und Mensch ein: [Meinung] Enid Blyton: Entzauberung einer Kindheitsheldin.
Liebe Kathrin,
das klingt schon sehr erschütternd, was Du da schreibst. Ich habe selbst die Fünf Freunde als Hörspiel gehört, allerdings nicht so wirklich intensiv.So kann ich mich auch nicht erinnern, ob ich Dick und Julian als Kind gut fand oder nicht. Ich mochte George, das weiß ich noch, aber mehr leider nicht.
Hm, und zu Deiner Frage, ob ich solche Erlebnisse kenne udn wie ich damit umgehe: ich hatte keine Re-Reads diesbezüglich. Ich habe vor einigen Wochen alte Kisten ausgeräumt und meine „Hanni und Nanni“-Bücher darin gefunden. Jetzt bin ich wirklich am überlegen, ob ich da noch einmal reinlesen soll. Einerseits würde es mich interessieren, wie Enid Blyton dort mit den genannten Themen umgeht, andererseits habe ich etwas Sorge, dass Kindheitserinnerungen richtig schaden nehmen könnten. Also stellt sich etwas die Frage: Wage ich mich an eine Überprüfung und decke auf, was ich da vielleicht schlummert, oder bleibe ich lieber in der Verdrängung?
Ganz herzliche Grüße,
Barbara
Liebe Barbara,
ich war tatsächlich auch sehr geschockt. Durch diverse Berichte hatte ich schon mitbekommen, dass Enid Blytons Kinderbücher einige kritische Aspekte in sich tragen. Die Fülle und auch die Dichte dieser Punkte auf recht wenig Länge der Geschichte war dann aber doch deutlich stärker als ich geahnt hatte. Dass alte Rollenklischees so fest verankert sind, obwohl mit George versucht wurde, ein Gegenbeispiel zu setzen und Blyton sich mit George selbst stark identifizierte, hat mich zusätzlich irritiert.
Deine Bedenken versteh ich sehr gut. Ein bisschen trauere ich meinen bis vor Kurzem ungetrübten Kindheitserinnerungen an Blytons Geschichten nach (auch wenn ich die meisten ihrer Geschichten nur als Verfilmungen und Hörspiele kenne). Für mich hat damit ein Stück meiner Kindheit wirklich schmerzhafte Risse bekommen. Andererseits bin ich froh, die Geschichten jetzt noch einmal neu erfahren zu haben – so kann ich jetzt verhindern, die darin vorkommenden -Ismen nicht noch mehr zu reproduzieren, indem ich bspw. die Bücher verschenke oder empfehle.
Am Ende musst du für dich abwägen, was für dich gewichtiger ist. Wenn dir die Kindheitserinnerungen so lieb sind und ein Zerstören dieser so schlimm wäre, dann behalte die Geschichten auch so in Erinnerung. Denn auch „Hanni und Nanni“ sind wohl nicht gerade harmlos. Wichtig ist nur, dass du dir bewusst bist, dass die Geschichten nicht unproblematisch sind und entsprechend reflektiert auf Blytons Gesamtwerk blickst. Das kannst du aber auch, indem du dich darüber informierst.
Viele Grüße
Kathrin
Oha, das ist ja ein spannendes Erlebnis. :D Ich hatte auch mal das eine oder andere nicht so glänzende Erlebnis, wenn ich Anime geschaut habe, die ich früher für genial hielt oder Serien, die ich früher mochte. An Buchreihen von früher wage ich mich seltener, weil ich immer denke „es gibt so viel Neues zu lesen“. Aber auch ich habe damals als Kind die „Fünf Freunde“ gelesen und war fasziniert von ihrer Spurensuche. George mochte ich auch am liebsten. Allerdings erinnere ich mich auch noch wie sehr es mich als Kind verwirrt hat, dass ihr Spitzname wie der eines Jungen klingt und warum man sich von allen Varianten gerade für die entschieden hatte.
Das hat einige Erinnerungen geweckt an die Buchreihe. Ich glaube ich hätte mich angesichts dessen, was du oben schilderst auch eher über die Reihe geärgert als in Nostalgie zu schwimmen. Das nahm ich mal als Anlass zu schauen, von wann die Reihe stammt. Krass. Die ist aus den 1950er Jahren. Mir war gar nicht klar, dass die so alt ist – ich meine, die hat mich in den 90ern Jahren erreicht. Gab es da nichts anderes? Und jetzt?
Schon spannend. Sehe ich auch so, dass man die nicht unkommentiert Kindern mitgeben kann. Die Eltern in meinem Umfeld sagen, dass sie in der Theorie auch immer jedes Kinderbuch erst lesen. Aber sobald das Ding eher etwas mehr Seiten als ein Bilderbuch hat, wird es schon schwierig. Ich weiß nicht wie ich das lösen würde und ob das in der Realität praktikabel ist Passagen vorzulesen und dann schon ein Gefühl zu haben „Yo, das Kind kann den Rest auch alleine lesen“.
Serien sind noch mal ein anderes Feld. Als Kind hab ich gern „Georgie“ geguckt – heute hab ich da einen anderen Blick auf die Serie. Gleichzeitig beruhigt es mich aber, dass man als Kind vieles davon zum Glück nicht so wahrnimmt und sich wirklich eher auf eine spannende Handlung, süße Tiere u.ä. konzentriert. Als Eltern ist es, wie du schreibst, nicht immer leicht im Blick zu behalten, was das Kind konsumiert und wie es die Inhalte aufnimmt. Bei Hörspielen, Serien und Filmen kriegt man das noch relativ leicht mit, wenn man sich nur im Raum aufhält. Aber ein Buch schließt dich als Elternteil aus, wenn du es nicht vorher selbst liest oder parallel mitliest/vorliest. Und wie du schreibst, das mit dem Vorlesen und dem Vorab-Lesen klappt bei den ersten Bilderbüchern oder dünnen Büchern noch gut, aber nicht mehr, wenn die Kinder alt genug sind, um 400-Seiten-Schmöker zu lesen. Da kann man sich zum Glück heute online ein wenig informieren oder versuchen durch Gespräche mit dem Kind etwas zu erfahren, aber mehr geht im Alltag dann einfach nicht.
Liebe Kathrin,
du bringst genau das auf den Punkt, was mich bei der nochmaligen Beschäftigung mit der Fünf-Freunde-Reihe und anderen Geschichten von Enid Blyton auch gestört hat. Ich lasse dir den Link zu meinem Beitrag da. Viel Freude auf der Buchmesse!
https://www.wissenstagebuch.com/2017/08/11/enid-blyton-entzauberung/
Jana
Liebe Jana,
danke für den Verweis auf deinen Beitrag – ich frage mich gerade, warum ich den damals nicht mitbekommen habe. Ich nehme ihn auch sehr gern als Weiterlesen-Empfehlung in meinen Beitrag auf.
Es ist wirklich traurig, wie Kinderliteratur dadurch im Nachhinein unerträglich wird und auch an Berechtigung verliert. Andererseits bin ich aber beruhigt, dass vieles davon im Kindheitsalter gar nicht wahrgenommen wurde und keinen Einfluss hatte. (Wobei sich da sicher nicht für alle Lesenden sprechen lässt und es sicher Kinder gibt, die von solchen schlechten „Vorbildern“ negativ geprägt werden.)
Viele Grüße
Kathrin
PS: Schade, dass wir uns auf der LBM verpasst haben – aber vielleicht klappt es 2025 mit einem Wiedersehen!
Liebe Kathrin,
ich muss wirklich mal darauf achten, Kommentare per Mail zu abonnieren! Sobald hier die letzten Bücherkisten ausgepackt sind, wollte ich bei Gelegenheit auch noch einmal in den „Trotzkopf“ und „Ilses Backfischjahre“ hineinlesen. Überhaupt habe ich viele „Mädchenromane“ geerbt, 70er, 80er Jahre. Vielleicht sollte ich die alle noch einmal durchblättern, bevor ich sie weitergebe und sie nachher als Empfehlung verstanden werden. Ich habe den Eindruck, dass die Sensibilität für diskriminierende oder anderweitig problematische Sprache in den letzten paar Jahren viel stärker zugenommen hat, als zuvor. Bücher, die jahrzehntelang weitergereicht und empfohlen wurden, erscheinen jetzt nach und nach in einem anderen Licht. Spannende Zeiten und in einigen Fällen bestimmt auch Gratwanderungen.
Ich würde mich sehr freuen, wenn es 2025 auf der Buchmesse klappt. Sobald ein Termin steht, wandert er in den Kalender!
Viele Grüße
Jana
Liebe Jana,
das stimmt, die Sensibilität ist gewachsen – zum Glück. Leider gibt es aber noch genug Menschen, die umso vehementer dabei vorgehen, ausgrenzende Sprache und Begriffe zu behalten. :(
„Trotzkopf“ kenne ich nur oberflächlich durch die Verfilmung, aber hier wäre ich auf die Sicht von heute gespannt. Ich kann mir vorstellen, dass gerade diesese Buch vieles beinhaltet, das aus heutiger Sicht anders betrachtet wird.