Eine Welt ohne Bäume – was für uns leider kein unwahrscheinliches Szenario mehr ist, ist für Olivia und alle Menschen um sie herum bereits normal. Die Menschheit zahlte längst den Preis für ihre Zerstörung von Umwelt und Klima: In Luke Adam Hawkers Bilderbuch „Der letzte Baum“ ist der Meeresspiegel hoch – so hoch, dass von Wolkenkratzern wie dem Chrysler Building nur noch die Spitze zu sehen ist. Menschen bewegen sich nicht in Autos oder Flugzeugen fort, sondern fahren mit Schiffen, Ballons und Zügen auf hoch verlegten Gleisen. Natur existiert nicht mehr. Schon viele Jahre ist es her, seit die letzten Bäume gefällt wurden oder gestorben sind.

Während eines Schulausflugs in das Museum der Bäume sieht Olivia zum ersten Mal den Stamm eines echten Baums. Am meisten fasziniert sie aber das Bild mit dem Titel „Der letzte Baum“. Und plötzlich steckt sie selbst mitten im Bild, mitten im Wald, umgeben von echter Natur, wie sie niemand aus ihrer Generation mehr kennt.

Wie Olivia die Welt der Wälder entdeckt und von dieser Reise Hoffnung für die Erde zurückbringt, hat Luke Adam Hawker in wunderschönen schwarz-weißen Zeichnungen festgehalten: mal als ganzseitige, detailreiche Bildwelt, mal als kleine, aufs Wesentliche fokussierte Illustrationen. Mit all den verschiedenen Schraffuren und überwiegend weichen Formen scheinen Hawkers Bilder immer in Bewegung, erinnern mich an handgefertigte Zeichentrickfilme. Sie wirken nostalgisch, ruhig und warm.

Die Bindung in Halbleinen und die Verwendung von sehr starkem Papier würdigt die Illustrationen noch einmal besonders und macht das Bilderbuch so definitiv zu einem schönen Geschenk.

So schön die Optik jedoch ist: Ich hätte mir noch etwas mehr Inhalt gewünscht, hätte das Leben in Olivias Zeitalter gerne näher kennengelernt. Denn Luke Adam Hawker gibt uns nur einen sehr kurzen Einblick in die Welt, die für Olivia Alltag ist, bevor der Ausflug ins Museum und den echten Wald folgt. Dadurch entstand noch zu wenig Kontrast zwischen beiden Welten, was auch die Wirkung der geschilderten Szenarien schmälerte.

Enttäuscht hat mich zudem, dass seitens des Pattloch Verlags keinerlei Angaben zur Übersetzung gemacht wurden. Auch wenn das keine 70-seiten umfassende Bilderbuch sehr wenig Text hat, darf es nicht an Transparenz über die Übersetzung und die damit verbundene Wertschätzung der Übersetzungsarbeit fehlen.

Fazit:

„Der letzte Baum: Ein Samen der Hoffnung“ ist optisch und haptisch wunderschönes Bilderbuch über unseren Umgang mit dem Planeten. Es ist gleichzeitig eine Liebeserklärung an die Bäume und ein Mahnmal für uns Menschen. Ich wäre gerne länger und tiefer in die Welt von Olivia eingetaucht. Luke Adam Hawker hat in mir aber definitiv einen neuen Fan seiner Kunst gefunden.

Luke Adam Hawker: „Der letzte Baum: Ein Samen der Hoffnung“, ohne Angabe zur Übersetzung, Pattloch Verlag 2023, ISBN: 978-3-629-00955-5