In den letzten Monaten habe ich mich in den Social Media, wie angekündigt, rar gemacht. Ich brauchte Zeit für anderes und Abstand von all dem Netzgeschehen. Und ich musste das Lesen für mich neu entdecken. Seit der Pandemie verhält sich mein Lesen wie Ebbe und Flut. In den letzten 2 Monaten habe ich mir daher vermehrt Lesezeit geschaffen. Da nun auch die privaten Unternehmungen und beruflichen Überstunden weniger werden und dank unserer im August geborenen Kitten mehr Zeit zu Hause angesagt ist, werden Herbst und Winter hoffentlich hinreichend Stimmung und Gelegenheiten für Lesen und Bloggen bereithalten.
Auf jeden Fall kann ich das Lesen inzwischen mehr genießen als zum Jahresbeginn. Ich kann mich endlich wieder für mehrere Stunden oder Tage in eine Geschichte fallen lassen. Ja, ich glaub, die Welt der Geschichten hat mich zurück. Ich bin wieder in Phantásien.
Ein Wegbereiter, den ich mir dafür bewusst auswählte, war der Re-Read von „Die Unendliche Geschichte“. Wobei es „Re-Read“ nicht ganz trifft: Ich habe nicht zum gedruckten Exemplar gegriffen, sondern zur Hörbuchversion, gelesen von Gert Heidenreich. Das Hörbuch bot mir die Möglichkeit, die schon ein Dutzend Mal gelesene Geschichte um das alles zerstörende Nichts, die Kindliche Kaiserin, Atréju, Bastian, Fuchur, Urgl, Engywuck und Co. neu zu erleben – aber mich gleichzeitig in vertrauten Gefilden zu bewegen.
Und wie gut hat das getan! Schon bei den ersten Worten habe ich mich wieder angekommen und zu Hause gefühlt. Zum wiederholten Male habe ich mich mit Atréju durch die Sümpfe der Traurigkeit gekämpft, um Artax getrauert, die Gefahr von Gmork im Nacken gespürt, über Bastian geschimpft, es mir bei Urgl und Engywuck gemütlich gemacht und so vieles mehr.
Dennoch erforderte das Hörbuch zu Beginn ein deutliches Umstellen. Es war merkwürdig, eine Geschichte, die ich jahrzehntelang wieder und wieder auf meine Weise gelesen habe, jetzt von jemand anderem in ganz anderem Tempo und mit anderer Betonung vorgelesen zu bekommen. Mitunter entstand bei manchen Szenen und Figuren so eine ganz andere Wirkung auf mich. Und natürlich verlieh Gert Heidenreich den Figuren Michael Endes oft eine völlig andere Stimmlage und Sprechweise, als die Figuren mein Leben lang in meinem Kopf hatten. Seine Adaption von dem Kentaur Caíron war die erste Situation, in der ich von meinen etablierten Stimmen und Bildern loslassen musste. Ganz und gar nicht konnte ich mich jedoch an Gert Heidenreichs Vertonung von Ygramul, die Viele, gewöhnen. Diese Adaption war einfach zu weit weg davon, wie ich mir Ygramul stets vorgestellt habe. Sehr gelungen und beklemmend fand ich aber, wie er Gmork Leben einhauchte. Die Szene zwischen Gmork und Atréju habe ich schon immer als eine der bedrohlichsten und unheimlichsten Stellen des Buches empfunden – Gert Heidenreichs Vertonung hat das nicht nur gekonnt eingefangen, sondern noch einmal verstärkt.
Was ich beim Hören von „Die Unendliche Geschichte“ auch erstaunlich fand, war das veränderte Zeitempfinden im Vergleich zum Selbst-Lesen: Szenen, die mir beim Lesen des Buches sehr eindrücklich im Kopf blieben und lang vorkamen, erschienen mir in der Hörbuchversion viel kürzer; umgekehrt kamen mir einige Stellen viel länger (und zäher) vor als in der gedruckten Version. Habt ihr so etwas auch schon mal erfahren?
Was sich hingegen beim Hören gegenüber dem Lesen nicht verändert hat: der Zauber und die Faszination der ersten Buchhälfte – und die Ernüchterung, wenn im zweiten Teil des Buches, nach Bastians Ankunft in Phantásien, die Handlung und Atmosphäre deutlich an Flair, Einzigartigkeit und Spannung verlieren.
Am Ende bleibt die neuentdeckte Freude am Lesen und am Wiederentdecken bekannter Geschichten. Wenn dann noch Freund*innen durch dein Bücherregal stöbern, sich in den Anblick des gedruckten Exemplares von „Die Unendliche Geschichte“ verlieben und/oder sich an ihre eigenen Reisen nach Phantásien erinnern, spüre ich wieder, warum gerade dieses Buch einen so besonderen Platz in meinem Leseleben errungen hat.
Michael Ende: „Die Unendliche Geschichte“, Hörbuch gelesen von Gert Heidenreich, Hörbuch Hamburg 2013, ISBN: 978-3-8449-0686-8
Freut mich, dass dir die Pause in den sozialen Netzen gut getan hat :) Mir tut währenddessen die Pause von Instagram gut … allerdings habe ich eben auch etwas das Gefühl nicht mehr besonders viel mitzubekommen. Als nächstes probiere ich meine Zeit dort einzuschränken. 10min max… mal gucken.
Dass du zu so einem Klassiker deines persönlichen Leselebens zurückgekehrt bist, scheint doch eine gute Wahl zu sein. PHANTÁSIEN revisited sozusagen. Dass aber das Hörbuch im Gegensatz zu der Druckvariante befremdet, hatte ich auch schon. Sogar gerade eben. Obwohl Benjamin Myers „The Offing“ letztes Jahr für mich eins der Bücher des Jahres war, konnte ich mit dem Hörbuch der deutschen Version wenig anfangen. Es war für meinen Geschmack irgendwie zu wunderlich gelesen. Passiert. Und ist ja auch nie Schuld des Sprechers, sondern von vielen Faktoren. Daneben sieht schließlich auch noch eine Regie usw usw..
Ich bin gespannt (und hoffe es auch ein bisschen ;) ) dass ich dich jetzt hier wieder öfter lese. Mal schauen was ich gleich in deinem nächsten Artikel lese
Hallo Steffi,
sorry für die späte Antwort – ich war wochenlang nicht am Rechner und am Handy überseh ich Kommentare zu leicht.
Wie du daran aber gemerkt hast, klappt es noch nicht ganz mit der Regelmäßigkeit. Immerhin lese und höre ich inzwischen aber wieder häufiger Bücher. Im Kopf sind auch immer wieder erste Sätze und Gedanken, was ich verbloggen könnte – aber mit dem heruntergetippten Ergebnis bin ich oft nicht zufrieden und lass die Entwürfe dann lange schlummmern.
Wie klappt deine Insta-Pause bzw. deine reduzierte Nutzungszeit? Ich habe bei Insta seit Jahren immer „Wellen“: Es gibt Phasen, da schau sehr oft rein, interagiere – und dann folgen mehrere Wochen, in denen ich nur 2, 3 Minuten am Tag oberflächlich reinschau.
Bei deinen Sätzen zu „The Offing“ war ich überrascht. Immer wenn ich das Buch im Handel sehe, erinner ich mich an deine Begeisterung. Und ich stand schon mehrfach kurz davor, mir die Hörbuchvariante zu holen – dein Eindruck dazu hat mich aber ein wenig ernüchtert :D Woran genau hast das das „Wunderliche“ denn fest gemacht? Übertriebene Betonung oder Stimmveränderungen? Komischer Einsatz von Pausen?