Diejenigen von euch, die wie ich in den ’90ern aufgewachsen sind, kennen die Zeichentrickserie „Als die Tiere den Wald verließen“. Als Kind habe ich die Geschichte um eine Gruppe Waldtiere, die auf der Suche nach einem neuen Zuhause sind, geliebt. Ich mochte die dahinterstehenden Botschaften rund um die Lebensraumzerstörung durch die Menschheit, Natur- und Umweltschutz, denen insbesondere in der zugehörigen Zeitschrift „Die Tiere aus dem Talerwald“ mehr Aufmerksamkeit gegeben wurde.

Es sollte jedoch fast 20 Jahre dauern, bis ich mich der literarischen Vorlage für die Kinderserie widmete. Nach einem anfänglichen, wohligen Gefühl des „Zurückkehrens“ machte sich jedoch mit jedem weiteren Kapitel mehr Ernüchterung breit. Denn während die Themen heute noch aktueller als damals sind, ist das Kinderbuch auf Ebene der Figuren und Muster weniger gut gealtert.

Lange bildete der Talerwald einer Vielzahl an Tieren ein sicheres Zuhause. Doch die Menschen zerstören dieses Idyll zunehmend. Sie roden den Wald, um Platz für eigene Häuser, Geschäfte, Parkplätze zu schaffen. Als in Folge dessen auch die letzte natürliche Wasserquelle der Tiere versiegt, kommen sie zusammen, machen sie sich auf eine weite Reise zu einem neuen Wald. Eine Reise, während derer sie immer wieder lebensgefährlichen Situationen in der Welt der Menschen und in den Revieren anderer Tiere ausgesetzt sind.

Autor Colin Dann verknüpft damit gleich mehrere ethisch wichtige Themen: Zusammenhalt, Hilfsbereitschaft, Mut, Nachhaltigkeit, natürliche Ressourcen, Tier- und Umweltschutz. Es ist ein schönes Bild, dass Kreuzotter, Fuchs und Falke Seite an Seite stehen mit Mäusen, Kaninchen und einer Kröte – Tiere, die sonst füreinander Beute bzw. Feinde darstellen, überwinden ihre Instinkte und helfen einander, sicher ans Ziel zu kommen. Dass es ausgerechnet eine Kröte und keines der großen Tiere ist, die die rettende Idee hat und als einzige den Weg zu dem neuen Wald kennt, bildet ein weiteres lobenswertes Element. Zumindest anfänglich.

Leider verfällt Colin Dann nach einem Start voller positiver und wichtiger Botschaften an sein junges Publikum in altbekannte Muster, die rund 40 Jahre nach Erscheinen des Buches mehr als antiquiert sind. So werden zu den Helden eben nicht die Kröte, ohne die die ganze Gruppe verloren wäre, sondern der Fuchs und der Dachs, die zu den Anführern der Gruppe gewählt werden. Zwei große Tiere, denen alle anderen blind folgen. Der Dachs kommt dabei leider auch allzu oft sehr lehrerhaft daher. Was der Dachs sagt und tut, ist immer das Richtige, weise und vernünftig. Er schlichtet jeden Streit, macht selbst quasi nie Fehler, handelt stets überlegt, fair und mit dem richtigen Verhältnis an Sachlichkeit und Feingefühl. Und wer etwas nicht versteht, dem erklärt er es geduldig. Damit wirkt der Dachs wie ein weiser Großvater, zu dem die Enkelkinder voller Staunen aufblicken. Anfangs wirkt diese Stimme der Vernunft sympathisch, im weiteren Verlauf langweilt sie nur noch und ich wünschte mir etwas mehr Ecken und Kanten. Auch Held*innen können müssen Ecken und Kanten haben, Fehler machen, unsicher oder ängstlich sein. Doch das gesteht Colin Dann seinen beiden Helden Dachs und Fuchs nicht zu – sie sind die perfekten, strahlenden Helden.

Daneben verkommen fast alle anderen Tiere zu Statisten. Kröte, Kreuzotter, Maulwurf und fliegende Tiere dürfen sich zwar noch über häufigere und wichtigere Auftritte freuen, alle anderen, kleineren Tiere werden jedoch nur dann ins Rampenlicht gerückt, wenn auf sie ein Ereignis wartet, das für sie oder die Gruppe ernste Folgen bereithält. Und natürlich sind nahezu alle Tiere männlich. Weibliche Tiere sind sozusagen unsichtbar. Sie tauchen nur als Gefährtin der Männchen oder als Mutter der Jungtiere auf. Eine Ausnahme bildet hier zunächst die Füchsin, die sich der Gruppe unterwegs anschließt: Sie lernen wir als clevere, selbstbewusste, unabhängige Einzelgängerin kennen. Doch nachdem sie sich der Gruppe angeschlossen und in den Fuchs verliebt hat, verkommt auch sie zum Stereotyp der Gefährtin und tritt nicht mehr als Individuum in Erscheinung.

Neben all diesen veralteten, klischeehaften Mustern in seinem Figuren-Portfolio kommt „Als die Tiere den Wald verließen“ konstruiert, schablonenhaft und belehrend daher. Die Themen Umweltschutz und Lebensraumzerstörung treten schon früh in den Hintergrund und es folgen episodenhafte Aneinanderreihungen von Hindernissen und Gefahren, denen sich die Gruppe stellen muss und die sie nur durch Zusammenhalt überwinden können. Das Gros dieser Gefahren geht dabei von den Menschen aus, die Colin Dann ausnahmslos als Feinde der Tiere abbildet. Ja, der Tierwelt und der Natur als Ganzes würde es ohne uns Menschen besser gehen. Dass aber ausnahmslos alle Menschen die Tiergruppe jagen, sie verscheuchen oder einfangen möchten, ist zu schwarz und weiß gedacht. Gerade für die kindlichen Leser*innen wäre es wichtig gewesen, auch ein paar positive Beispiele einzubauen, die als Vorbilder dienen, um zu zeigen, dass es kein „Mensch ODER Natur“ gibt, sondern anzuregen, wie Mensch und Tier besser nebeneinander leben können.

Darüber hinaus scheint Colin Dann nicht viel Vertrauen in die Kompetenzen seiner Leser*innen zu haben. Alles wird ausgiebig erklärt. Insbesondere durch die Figur des Dachses erläutert Dann regelmäßig, warum welches Tier wie gehandelt hat, wieso etwas richtig oder falsch ist, weshalb welche Entscheidungen getroffen werden. Eigene Schlüsse lässt der Autor sein Publikum nicht ziehen.

Was mich trotzdem dazu brachte, „Als die Tiere den Wald verließen“ zu beenden, war die Hörbuchversion, die von Uve Teschner eingelesen wurde. Teschner verleiht jedem Tier eine ganze eigene Stimme, die sofort gewisse Charakterzüge suggeriert. Ob die jugendliche Lebendigkeit des Fuches, die bedächtige, langsame Art des Fuches, die wiederkehrende Scheinheiligkeit der Kreuzotter oder die Schlauheit und distanziert Kühle des Falken – Uve Teschner wechselt gekonnt und authentisch zwischen verschiedenen Altersgruppen, Stimmlagen, Größen und Emotionen. Dabei gelingt es ihm, allein durch die Stimme zu vermitteln, was ein Tier gerade beschäftigt, wie es sich bewegt oder welche Vorgeschichte es mitbringt. Das macht das Hören nicht nur abwechslungsreich und die ansonsten recht blassen Tiere facettenreicher, sondern verleiht dem Hörbuch etwas Vielstimmiges, Ensemblehaftes. Immer wieder musste ich mir bewusst machen, dass ich keiner mehrköpfigen Besetzung lausche, sondern einem einzigen Menschen. Wer noch nie etwas von Uve Teschner gehört hat, sollte das unbedingt nachholen.

Fazit:

Ein Kinderbuchklassiker mit einer brandaktuellen Thematik, der aber voller Oberflächlichkeiten und Stereotypen steckt, weibliche Lebewesen nahezu ausklammert oder zu unmündigen „Anhängseln“ degradiert und seine Botschaften mit einer platten Holzhammermethode vermittelt. Allein Uve Teschners Lesung kann durchgehend begeistern.

Colin Dann: „Als die Tiere den Wald verließen“ (Hörbuch, gelesen von Uve Teschner), aus dem Englischen übersetzt von Ulla Neckenauer, Sauerländer Audio 2018, ISBN: 978-3-7324-4912-5 / ASIN: B07C3TT7CQ