Zehn Jahre bloggen über Bücher bedeutet auch: nahezu 1.000 gelesene Bücher. Ein paar davon haben enttäuscht, gelangweilt, frustriert. Die meisten davon haben mir jedoch wundervolle Lesestunden beschert. Nachhaltig tief beeindruckt hat am Ende aber doch nur ein Bruchteil dieser. Das Blogjubiläum möchte ich daher heute nutzen, um euch zehn Bücher zu präsentieren, die sich zu den dauerhaften Lieblingen in meinem Regal entwickelt haben.

Die Reihenfolge stellt jedoch kein Ranking dar und ist vollkommen beliebig gewählt.

Edgar Allan Poe & Benjamin Lacombe: „Unheimliche Geschichten“

Benjamin Lacombes Werk begleitet mich nun fast genauso lange, wie es diesen Blog gibt. 2011 entdeckte ich zufällig die von ihm illustrierten Poe-Geschichten – das erste Buch des französischen Künstlers, das hier in Deutschland erschien und den Grundstein für eine große Liebe legte. Für mich ist es immer wieder spannend, zu verfolgen, wie Benjamin Lacombe seinen Stil und seine inhaltlichen Schwerpunkte weiterentwickelt und mit wie viel Leidenschaft und Begeisterung er an seine Arbeiten herangeht. Poes „Unheimliche Geschichten“ gewannen durch Lacombes Zeichnungen so viel schaurig-schöne Atmosphäre und trugen dazu bei, dass ich mich kurz darauf noch eingehender mit Edgar Allan Poe und seinen Geschichten beschäftigte.

Sébastien Perez & Benjamin Lacombe: „Das Elfen-Bestimmungsbuch“

„Das Elfen-Bestimmungsbuch“ wird gerne als Kinderbuch abgestempelt. Es ist jedoch keins – allein schon deshalb, weil der Aufbau der Geschichte recht ungewöhnlich ist und es kein klassisches Ende gibt. Perez und Lacombe präsentieren uns hier keine linear durcherzählte Geschichte. Vielmehr haben wir verschiedene Tagebucheinträge, Zeitungsausschnitte und Bilder, die puzzleartig zu einer Geschichte zusammengesetzt sind. Und das Ende lässt sich auf verschiedene Arten deuten. Wie Benjamin Lacombe vor Jahren bei einer Präsentation in Erfurt erzählte, haben sogar er und Perez ganz unterschiedliche Vorstellungen davon, was mit dem Protagonisten geschehen ist. Das übergroße Format, die märchenhaften Illustrationen, halbtransparente und Lasercut-Seiten machen das Buch außerdem auch optisch zu etwas Besonderem.

Jan Drees: „Sandbergs Liebe“

Vielleicht ist es voreilig, dass ich „Sandbergs Liebe“ in diese Liste aufnehme, denn ich habe dieses Buch erst in diesem Januar gelesen. Aber ich habe lange keinen Roman in den Händen gehalten, der derart intensiv ist. Jan Drees‘ Geschichte über Gaslighting ist keine 200 Seiten lang und doch habe ich fast einen Monat für dieses Buch gebraucht, weil ich es immer nur in kleinen Etappen lesen konnte. Auch nach der Lektüre ließ mich die Geschichte über Kristian Sandberg, der in die emotionale Abhängigkeit einer manipulativen Frau gerät, nicht los. Derzeit lese ich „Sandbergs Liebe“ bereits zum zweiten Mal – und damit hat Jan Drees etwas geschafft, was seit vielen Jahren keinem*keiner Autor*in gelungen ist.

Lew Tolstoi: „Krieg und Frieden“

Kommt die Sprache auf Tolstoi, geht es schnell um „Anna Karenina“. Der viel gefeierte Roman ist gefühlt für alle der Einstieg in Tolstois Werk. Mich konnte „Anna Karenina“ leider nicht gänzlich überzeugt. Ausnahmslos begeistert war ich jedoch von Tolstois epochalem „Krieg und Frieden“. Wie Tolstoi hier persönliche Schicksale mit Weltpolitik verknüpft, die Vielfalt der Themen, die er anschneidet, die zeitlosen Fragen, die er aufwirft, die Emotionen, die während des Lesens geweckt werden – all das hat mich tief beeindruckt. Dürfte ich nur eine Handvoll Bücher behalten, wäre „Krieg und Frieden“ darunter.

Victor Hugo: „Les Misérables“

Für sehr lange Zeit hat mich Victor Hugos „Les Misérables“ begleitet. Es ist eines jener Bücher, in denen ich pausenlos lesen könnte, bei denen ich aber gleichzeitig nie zum Ende kommen wollte. Was für ein riesiges Potpourri aus Politik, Moral, Gesellschaftskritik, Glaube, Liebe, Familie, Verlust und Schuld! Hugos Roman sensibilisiert hervorragend dafür, welch lange und komplexe Prozesse zu politischen Stimmungen führen, wie vorschnell wir urteilen und dass Recht und Gerechtigkeit nicht immer Hand in Hand gehen. Auch hier gilt: eines der Bücher meines Lebens!

Ted Chiang: „Stories of Your Life and Others”

Habt ihr „Arrival“ gesehen und gemocht? Dann lest unbedingt auch die Vorlage „Story of Your Life“! Wissenschaftler und Science Fiction-Autor Ted Chiang war für mich eine der Entdeckungen der letzten Jahre und ist in meinen Augen die größte Bereicherung für die Science Fiction seit Jules Verne. Seine Kurzgeschichten und Novellen erzählen jeweils für sich komplexere, dichtere Geschichten als das Gros der umfangreichen Romane. Dabei fasst er den Wissenschaftsbegriff so wohltuend offen, wie es nun mal tatsächlich ist: Wissenschaft begrenzt sich nicht auf Technologien oder Naturwissenschaften, sondern umfasst auch Linguistik, Kommunikationswissenschaft, Religionswissenschaft und mehr. Einziger Nachteil: Hat man Ted Chiangs Geschichten gelesen, erscheint einem danach die Mehrheit der Science Fiction als öde, einfallslos, einseitig.

Joey Goebel: „Irgendwann wird es gut“

Joey Goebel ist ein weiterer Autor, der noch viel zu wenig Aufmerksamkeit erhalten hat – vor allem in seinem Heimatland, wo kein Verlag bereit ist, seine Werke zu veröffentlichen! Im deutschsprachigen Raum spricht sich dagegen langsam herum, was für ein grandioser Erzähler Joey Goebel ist. „Irgendwann wird es gut“ ist seine erste Kurzgeschichtensammlung und hierin hat Goebel die Stärken seiner Texte zur Perfektion vollendet. Seine Geschichten lassen sich mit nichts vergleichen, drehen sich um die Außenseiter der Gesellschaft. Sie erzählen vom Scheitern, von Verlusten, Einsamkeit, der Diskrepanz zwischen Dazugehören und Sich-Selbst-Treu-Bleiben – und: den fehlenden Perspektiven der Kleinstädte. Das alles erzählt in einer sehr direkten Art und mit viel Tragikomik.

Durian Sukegawa: „Kirschblüten und rote Bohnen“

Hinter dem harmlosen Titel „Kirschblüten und rote Bohnen“ und dem pastelligen Cover verbirgt sich eine leise, poetische Geschichte über drei Außenseiter, deren Leben durch verschiedene Schwierigkeiten und Schicksalsschläge geprägt ist. Es geht um Verantwortung, geplatzte Träume, Stigmata – und die Hansen-Krankheit. Aber der Roman lenkt den Blick auch auf die Kostbarkeit des Lebens, die Schönheit kleiner Dinge, ein besseres Miteinander sowie auf die Tradition des An-Kochens und der perfekten Dorayaki.

Antonia Michaelis: „Solange die Nachtigall singt“

Antonia Michaelis „Solange die Nachtigall singt“ ist eines der wenigen Bücher, deren Lektüre viele Jahre zurückliegt, das mir aber noch heute immer wieder durch den Kopf geht. Die Geschichte von Jari, der sich nach seiner Lehre auf Wanderschaft begibt, aber schnell in den Bann dreier im Wald lebender Frauen gerät und in einem regelrecht Zustand aus Rausch und Manipulation mit seinem bisherigen Leben bricht, hat mich mit ihrer Intensität, ihrer düsteren Atmosphäre, den vielen Wendungen und Interpretationsspielräumen sehr fasziniert. Wie viele Thesen habe ich damals beim Lesen aufgestellt, verworfen, neu aufgestellt, wieder verworfen … und nun müsste ich das Buch mit dem Wissen der Wahrheit eigentlich noch einmal neu lesen, um alles neu deuten zu können.

Torben Kuhlmann: „Lindbergh“

Neben Benjamin Lacombe ist Torben Kuhlmann für mich die Künstlerentdeckung der vergangenen Jahre. Ich liebe seinen detailreichen Zeichenstil und was sich in seinen Bildern alles entdecken lässt: Stundenlang könnte ich seine Bilder betrachten und über all die Feinheiten staunen! Mit seinen klugen, visionären Mäusen aus „Lindbergh“, „Armstrong“ und „Edison“ hat Torben Kuhlmann zudem außergewöhnliche und liebenswerte Figuren geschaffen. Sein Erstling „Lindbergh“ kann inzwischen auch durchaus als moderner Klassiker der Kinderliteratur betrachtet werden.