„Die zwei Türme“ war immer der „Herr der Ringe“-Teil, der mich nie ganz überzeugen konnte. Er zeigte für mich die klassischen Schwachstellen bzw. Herausforderungen eines zweiten Bandes: Man ist noch lange nicht am Ziel oder Höhepunkt des Abenteuers angekommen, aber die Aufbruchsstimmung ist vorüber – der Ausbruch aus der Routine liegt hinter den Helden und das alte Leben scheint weit weg, gleichzeitig ist der Zauber des Neuen und Unbekannten verflogen. Auch dieses Mal empfand ich so während des Lesens und Hörens. Zwar gab es so manche Highlights und unvergesslichen Momente, wie z. B. die Szene mit Kankra / Shelob, aber dazwischen fanden sich Etappen, die sich für meinen Geschmack zu sehr in die Länge zogen oder meine Spannung aus anderen Gründen nicht aufrechterhalten konnten.

Zu diesen gehören die gesamten Ereignisse ab der Begegnung mit Eomer und seinen Reitern, über die Erlösung Théodens aus dem Bann Grímas bis hin zur Schlacht bei Helms Klamm. Hier kamen einfach zu viele Dinge zusammen, die ich in Geschichten grundsätzlich nicht mag: viele neue Namen in kurzer Zeit, Intrigen und diverse Schlachten.

Auch Frodos und Sams Weg nach Mordor forderte zunächst mit seiner anfänglichen Monotonie meine Aufmerksamkeit und Geduld heraus. Gleichzeitig spiegelte das aber auch sehr gut, wie es den beiden Hobbits auf ihrer Reise durch die karge, trostlose Landschaft ergehen musste.

Überhaupt schafft es Tolkien, sein Erzähltempo und seinen sprachlichen Stil immer an die jeweiligen Settings anzupassen. Während der Schlachten und in Théodens Hallen sind die Worte hart, kühl, weckten in mir den Klang aufeinanderprallender Schwerter. Während Pippins und Merrys Zeit mit den Ents klingt dagegen alles melodisch, friedlich, ruhig, langsam und mystisch. Wie gezielt Tolkien seine Worte wählte, hat mich stets aufs Neue fasziniert und zeigte sich auch manchmal in kleinen Details, die manchmal nur auffallen, wenn man den weiteren Verlauf der Geschichte kennt.

Was mich am zweiten Teil des „Herr der Ringe“ jedoch am meisten störte, war die Aufteilung des Buches in zwei Hälften: In der ersten Hälfte begleiten wir ausschließlich Merry, Pippin, Gandalf, Aragorn, Gimli und Legolas, ohne zu wissen, was sich parallel bei Frodo und Sam abspielt. Dann kommt der radikale Bruch und wir sind nur noch mit Sam, Frodo und Gollum unterwegs. Ich hätte einen regelmäßigen Perspektivwechsel bevorzugt, denn durch die Konzentration auf jeweils nur einen Teil der Gruppe über mehrere hundert Seiten hinweg verlor ich den Rest der Gefährten vollkommen aus dem Fokus. Ich vergaß sie regelrecht – und bekam dann ein schlechtes Gewissen, sobald ich mich an sie erinnerte, schließlich waren sie mir doch alle so ans Herz gewachsen: Frodo, der so sehr unter seiner Bürde leidet und trotzdem nie den Glauben an das Gute und seine Herzlichkeit verliert; Sam, den ich im ersten Band in seiner Verehrung Frodos eher anstrengend fand und dessen ganz eigene Stärke und Aufrichtigkeit ich erst jetzt richtig zu schätzen gelernt habe; Gimli und Legolas, die in ihrer Unterschiedlichkeit großartig harmonieren; Aragorn, der so unglaublich vielschichtig ist; Gandalf, der immer wieder über sich selbst hinauswächst und gefühlt niemals schläft oder rastet; und nicht zuletzt Merry und Pippin, die zuverlässig für den Comic Relief sorgen, ihre ganz eigene Cleverness besitzen und viel zu oft unterschätzt werden.

Sieht man von Frodos und Sams Weg nach Mordor ab, nachdem sie Gollum „gezähmt“ haben – insbesondere ihre Zeit bei Faramir und in Kankras Höhle – sind es vor allem die Szenen mit Merry und Pippin, die ich am meisten geliebt habe. Mit den beiden hätte ich so gerne noch so viel mehr Zeit verbracht! Seien es nun Pippins kluge Einfälle in der Gefangenschaft der Orks, das entspannte Feiern der beiden Hobbits in Isengard oder ihre neue Freundschaft mit den Ents – Merry und Pippin schaffen sich ihre ganz eigenen unvergesslichen Augenblicke und Geschichten, die sie später erzählen können. Die Ents sind übrigens trotz ihrer Langsamkeit ein Volk, das ich sehr mag und in deren Gegenwart ich mich immer sicher und entspannt fühlte – eine schöne Abwechslung zu den Verlusten, Entbehrungen, Gefahren und Kämpfen, die den Auftrag der Gefährten ansonsten prägen.

Wie schon beim ersten Band habe ich auch dieses Mal parallel zum Lesen der englischen Ausgabe das deutsche Hörbuch gehört. Nach dem Tod Achim Höppners übernahm Gert Heidenreich die Sprecherrolle für den zweiten und dritten Band von „Der Herr der Ringe“. Anfangs habe ich mich auch mit seiner Umsetzung sehr schwergetan. Die Betonung wirkte gestelzt, erinnerte mich an Kinder, die noch wenig Erfahrung im lauten Lesen haben und daher wie einstudiert betonen, ohne jedoch den Sinn der Worte wirklich zu erfassen, sodass die Betonung beliebig und nicht immer passend zur Textstelle wirkt. Mit zunehmender Stundenzahl wurde Heidenreichs Lesung aber immer natürlicher und lebendiger. Die meisten seiner Figureninterpretationen fand ich gelungen. Lediglich Aragorn las Heidenreich mit einer Kühle und Arroganz, die nicht zu dessen Charakter passte. Schwer gewöhnen konnte ich mich außerdem an Gollum bzw. Smeagol: Sobad Smeagols Seite Oberhand hatte, las Gert Heidenreich mit einer kindlichen Stimme, die zu aufgesetzt und übertrieben ist. Smeagol / Gollum konnte ich dadurch nie richtig ernst nehmen.

Beim Hörbuch wurde mir außerdem erneut bewusst, welche Rolle Übersetzungen spielen. An den deutschen „Klang“ von Kreges Übersetzung hatte ich mich inzwischen wieder gewohnt, manche Wortwahl empfand ich aber nach wie vor als wenig geglückt. Als Faramir Frodo über dessen Ziel und Auftrag befragt und wissen möchte, was es mit Isildurs Fluch auf sich hat, antwortet Frodo im Original: „That is hidden“. Wolfgang Krege übersetzte dies mit: „Das ist geheim“. Mal abgesehen davon, dass das eher plump und nicht so poetisch oder geheimnisvoll klingt, schwingt dabei auch ein anderer Unterton mit. Während der Unterhaltung können wieder Frodo noch Faramir 100-prozentig sicher sein, ob ihr Gegenüber Freund oder Feind ist. Unter diesen Umständen kann eine Antwort im Stil eines „Das verrate ich dir nicht“ fatal sein. Ein „Das liegt im Verborgenen“ signalisiert dagegen etwas gänzlich anderes und dürfte gegenüber einem potenziellen Feind eine weniger riskante Antwort sein.

Was gibt es sonst noch Neues zu meiner Reise durch Mittelerde zu berichten? Erst gestern habe ich einen Rewatch der Verfilmungen begonnen. Als ich Bilbos Höhle, das grüne Auenland, Sam, Frodo und Gandalf sah, fühlte sich das an wie die Rückkehr in das wohl gemütlichste, herzlichste Zuhause. Und ich staune, dass sich bei so viel „Der Herr der Ringe“ auch nach Monaten keine Müdigkeit einstellt, es mir nie zu viel wird.


J. R. R. Tolkien: „The Lord of the Rings“ (50th Anniversary Editon), Houghton Mifflin 2004, ISBN: 0-618-51765-0

J. R. R. Tolkien: „Der Herr der Ringe. Zweiter Teil: Die zwei Türme“ (Hörbuch, gelesen von Gert Heidenreich), aus dem Englischen übersetzt von Wolfgang Krege, Der Hörverlag 2006, ASIN: B000R210U0

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