Als ich gerade mein Blogarchiv durchstöberte, war ich etwas geschockt: Genau ein Jahr ist es her, seit ich den zweiten Band von Stephen Kings „Dark Tower“-Reihe beendete und doch kann ich euch erst jetzt meine Gedanken zum dritten Band mitteilen. Zwar habe ich nicht direkt im November 2017 mit der Lektüre von „The Waste Lands“ begonnen, dennoch habe ich viele Monate (mit vielen Pausen) für diesen Teil gebraucht. Das lag an den gleichen Dingen, die mich schon bei den Vorgängern störten, nämlich die selbst für King extremen Längen. Aber mein Durchhalten wurde belohnt und so konnte ich „The Waste Lands“ in der zweiten Hälfte kaum noch aus der Hand legen.
Nachdem Gunslinger Roland im zweiten Band in den beiden New Yorkern Susannah (ehemals Odetta) und Eddie seine Gefährten gefunden hat, bildet er sie zu Gunslingern aus. Außerdem gibt es ein Wiedersehen mit dem Jungen Jake Chambers, den wir bereits im Auftakt der Reihe kennenlernten. In wechselnder Perspektive verfolgen wir Jakes Leben in New York und den Weg von Roland, Eddie und Susannah durch Mittwelt. Anfangs fand ich es spannend, mehr über Jake zu erfahren und insbesondere auch über Eddie, der schon jetzt zu meiner Lieblingsfigur der Reihe geworden ist und in dessen Gedanken und Vergangenheit wir verstärkt eintauchen. Darüber hinaus überzeugen in „The Waste Lands“ die Querverbindungen zu „ES“ in Form der Schildkröte Maturin, fast schon schräge Schöpfungen wie die animalischen Cyborgs, die vielen Verbindungen zwischen unserer Welt und Mittwelt, bspw. in Form popkultureller Referenzen („Shardik“, „Hey Jude“, ZZ Top) oder wiederkehrender Symbole sowie gelegentliche Liebesbekundungen an Bücher.
„Instead, he came to the bookstore.
THE MANHATTAN RESTAURANT OF THE MIND, the sign painted in the window read.”[1]
Allerdings können diese Ideen nicht dauerhaft bei Laune halten und über die Langatmigkeit der Handlung hinwegtäuschen. Die Erzählzeit entspricht gefühlt dem Zehnfachen der tatsächlich erzählten Zeit und immer wieder erwischte ich mich dabei, wie meine Gedanken abschweiften oder ich angesichts des trägen Fortschritts nachsah, wann das Kapitel endet und ich eine Pause einlegen kann. Der „Dunkler Turm“-Zyklus zeugt zwar immer wieder von den genialen und ungewöhnlichen Ideen Stephen Kings, doch zumindest den Inhalt der ersten drei Bände hätte man deutlich straffen können. So sehr ich Abschweifungen und Ausführlichkeit in Büchern liebe – hier war selbst mir es zu viel.
Dennoch sollte man sich von dem zähen Verlauf nicht abschrecken lassen und die Lektüre fortsetzen, denn in der zweiten Hälfte nimmt die Handlung rasant an Fahrt auf und es herrscht eine permanente Spannung. Jake hat den Übergang von New York nach Mittwelt geschafft und begleitet Rolands Ka-tet auf dem Weg zum Dunklen Turm. Ebenfalls angeschlossen hat sich der Billy-Bumbler Oy. Das Tier, das an eine Mischung aus Dackel, Waschbär und Murmeltier erinnert und über rudimentäre Sprachfertigkeiten verfügt, ist nicht nur äußerst goldig, sondern sorgt in den Momenten der Gefahr und Ungewissheit für den passenden Comic Relief. Und derlei Bedrohungen warten auf das Ka-tet ab der Buchmitte wahrlich genug. Nach Wochen stoßen sie wieder auf Zivilisation – oder besser gesagt: das, was davon noch übrig ist. Selbstverständlich sind sie nicht überall willkommen. In der Stadt Lud spitzt sich die Handlung schließlich zu und gipfelt am Ende in einem Spiel um Leben und Tod, als sich das Ka-tet auf einen Rätsel-Wettbewerb mit der Einschienenbahn Blaine einlässt – und Stephen King uns mit einem Cliff Hanger aus den Wüsten Landen entlässt …
Für den Cliff Hanger wurde King wohl stark kritisiert. Heute, wo Serien wie am Fließband erscheinen, dürfte das wohl niemanden mehr stören. Abgesehen davon ist auch im dritten Band schnell klar, dass der „Dunkle Turm“-Zyklus noch lange nicht zu Ende erzählt sein wird. Ob da nun ein Teil der Handlung abgeschlossen ist oder offen bleibt, spielt also eh keine Rolle, weshalb ich die Kritik am Cliff Hanger absolut nicht nachvollziehen kann. Außerdem hat King mich mit den Rätseln derart angefixt, dass ich davon unbedingt mehr möchte. Also auf in Band 4!
[1] Stephen King: „The Waste Lands“ (The Dark Tower 3), Scribner 2016, S. 155
Weitere Eindrücke zur Dark-Tower-Reihe:
- Besprechung zu „The Gunslinger“ auf Lesen macht glücklich
- Lesenotizen zu „The Gunslinger“ auf Laberladen
- Besprechung zu „The Gunslinger“ auf Laberladen
- Besprechung zu „The Gunslinger“ auf Phantásienreisen
- Gastbeitrag von Sven Fischer zum Einstieg in die Dark-Tower-Reihe auf Lesen macht glücklich
- Besprechung zu „The Drawing of the Three“ auf Lesen macht glücklich
- Besprechung zur Verfilmung von „Der Dunkle Turm“ auf Lesen macht glücklich
Mehr Informationen zum Projekt Dark Tower sowie weitere Beiträge rund um die Reihe findet ihr auf Lesen macht glücklich.
Hallo Kathrin,
Jetzt komme ich mal dazu, dir ein paar Worte zu deiner Besprechung zu schreiben.
Erst einmal Chapeau für die Tapferkeit und das Durchhaltevermögen. Ich habe ja auch eine Pause eingelegt, aber vielmehr aus der Enttäuschung über die Verfilmung heraus. Ich kann aber deine Gedanken absolut nachvollziehen und soll ich dir was verraten? Mir erging es beim ersten Mal ähnlich. Gerade das zweite Drittel, bis Jake und Roland von ihrem Leiden befreit werden, zieht sich ganz schön. Mittlerweile aber zählt dieser Teil fast mit zu den Besten der ganzen Reihe, eben weil King hier anfängt die Welten zu vermischen und etwas großes, universelles aufbaut. Ich merke es vor allem daran, dass ich das Buch wochenlang liegen lassen kann und bei Wiederaufnahme sofort drin bin in der Geschichte.
Mittlerweile lese ich den dritten Band weiter, so dass ich mich neben dem anderen Sachen auch mal wieder mit der Dark Tower Reihe beschäftigen kann. Vielleicht schaffe ich noch in diesem Jahr eine Besprechung.
Liebe Grüße und einen schönen Wochenstart.
Hi Marc!
Die Verfilmung habe ich noch immer nicht gesehen, möchte es aber auf jeden Fall nachholen, um mir selbst ein Bild zu machen (auch wenn ich jetzt schon ein wenig ernüchtert bin ;) ).
Du triffst den „Tempo-Bruch“ perfekt auf den Punkt. Mit der inhaltlichen Wende hin zur Konzentration aufs Geschehen in Mittwelt kam dann auch eine Wende in der Spannung. Dabei kann ich nicht mal sagen, woran das konkret lag: ob an der plötzlichen Interaktion/ Konfrontation mit mehr Menschen oder rein an der rascheren Abfolge der Ereignisse. Die Idee mit den Rätseln – sowohl bei Blaine als auch in der Tradition der Gunslinger – gefiel mir aber extrem gut. Hier hat sich für mich auch wieder der typische King gezeigt, der es schafft, mit einfachen Mitteln etwas in mir zu wecken bzw. etwas zu schaffen, das für mich dann fast schon symbolisch für das gesamte Buch steht (bei „Der Anschlag“ / „11.22.63“ war dieses Element z.B. der Song „In the Mood“).
Wie oft hast du mittlerweile eigentlich schon die Reihe gelesen? Ich staune immer, wie viel Detailwissen du aus den Büchern behalten hast – ich fühl mich da manchmal noch etwas erschlagen und merke, dass ich manche Dinge schnell wieder vergesse (bis sie dann später in der Geschichte erneut aufgegriffen werden).
Viele Grüße und einen wunderbaren 1. Advent!
Kathrin
Das ist mittlerweile mein vierter Durchlauf dieser Reihe. Und es ist jedesmal ein neues Erlebnis. 😉 Daher auch das detaillierte Wissen 😊
Liebe Grüße
Hallo Kathrin!
Die Dark Tower-Reihe – Respekt! Ich habe vor viiielen Jahren mal aus Versehen mittendrin einen Band gelesen (Wizard and Glass) und war ebenso verwirrt wie fasziniert. Eigentlich wollte ich die alle mal lesen, aber die Zeit fehlt, und bei den Hörbüchern gefällt mir der Sprecher nicht.
Die Langatmigkeit gehört ja immer zu King, scheint aber hier besonders ausgeprägt zu sein? Oder stört dich das immer bei seinen Büchern?
LG,
Ute
Hallo Ute,
wow, mittendrin loslegen … Das stell ich mir sehr verwirrend vor! Ich mein, auch wenn man Band 1 kennt, tauchen beim Lesen noch oft Fragezeichen auf, aber ganz ohne Wissen um den Anfang muss kaum etwas Sinn ergeben.
Ich persönlich finde die Langatmigkeit hier extrem. Mich stört das sonst bei King gar nicht – im Gegenteil: Ich liebe ja Ausschweifungen a la King oder Tolstoi, aber hier wurden mit etliche Handlungen und Gedankengänge zu lang und detailliert geschildert. Meine Gedanken sind dann doch zu oft abgedriftet und das machte es mir wiederum gelegentlich schwer, in der Story zu bleiben/ den Faden nicht zu verlieren. Andere Autoren würden die Handlung der ersten drei Bände vermutlich problemlos auf 500 Seiten packen. ;)
Liebe Grüße und dir einen wunderbaren ersten Advent!
Kathrin