Achtung Spoiler!
Dieser Beitrag enthält Informationen zum Schicksal verschiedener Charaktere und zum Ausgang bedeutender Geschehnisse innerhalb des Romans.
Obwohl der fünfte und letzte Teil von Les Misérables mit seinen rund 200 Seiten ungefähr gleichlang war wie die vorangegangenen Teile, habe ich diesen Part binnen einer Handvoll Abende gelesen. Das Les-Mis-Fieber hatte mich wieder gepackt und ich wollte nichts anderes, als in dieser Geschichte versinken, Seite an Seite mit all den lieb gewonnenen Charakteren.
Für Hugos Verhältnisse ist dieser Part auch deutlich handlungs- und charakterorientierter als die vier anderen Teile – die Abschweifungen halten sich in Grenzen und die Wege und Entscheidungen der zentralen Figuren werden stärker in den Fokus genommen. So werden wir Zeugen von Marius‘ und Jean Valjeans‘ inneren Kämpfen, nachdem Valjean seinem Schwiegersohn Marius die Wahrheit über seine Vergangenheit als Sträfling offenbarte; und wir leiden mit, wenn wir ansehen müssen, wir sehr Valjean an dem daraufhin abgebrochenen Kontakt zu Cosette Stück für Stück zerbricht.
Victor Hugo führt uns von einem tragischen Ereignis zum nächsten, die sich allesamt durch ihre Intensität regelrecht visuell ins Gedächtnis einprägen: Enjolras, der als letzter Barrikadenkämpfer mit offenen Armen und klarem, stolzem Blick dem Tod entgegentritt und mit dieser bewussten, angstlosen Pose seine Gegner irritiert; Inspektor Javert, der sich in die Fluten der Seine stürzt, nachdem Valjean ihm das Leben schenkte und dadurch sein komplettes Weltbild und alles, woran er glaubte, zum Einstürzen brachte; Valjean, der den bewusstlosen Marius durch das gefährliche Labyrinth der Pariser Kanalisation trägt und dabei fast in einem Schlammloch versinkt; und nicht zuletzt die emotionale Szene an Valjeans Sterbebett … Hugo hält schmerzhafte Abschiede für uns bereit – jedoch nicht, ohne Hoffnung auf ein besseres Morgen zu geben. Valjean kann Frieden mit sich und der Welt schließen; Marius versöhnt sich mit seinem Großvater; Cosette wird das glückerfüllte Leben beschert, das sich ihre Mutter Fantine stets für sie erträumte und Javert hinterlässt eine Liste mit Anregungen zur Verbesserung sowohl der Arbeitsbedingungen von Gefängnismitarbeitern als auch der Haftbedingungen der Sträflinge.
All das Bangen, die Trennungen und die Momente des Glücks ließen mich das Buch ungern aus der Hand legen und nachdem ich heute morgen die letzten Zeilen las, überkam mich natürlich auch Wehmut. Ich verabschiede mich von etlichen lieb gewonnenen Charakteren, die mich über eine unglaublich lange Zeit begleiteten und daher so viel mehr für mich sind als nur Figuren in einem Roman. Doch ich tue es auch mit einem Lächeln auf den Lippen – ein Lächeln aus Dankbarkeit für die aufregende und emotionale Zeit, die Victor Hugo mir schenkte, sowie aus Vorfreude auf mehr als ein Wiedersehen in Buch-, Film- und Musicalform. Ich werde „Les Misérables“ in meinem Leben noch so manches Mal zur Hand nehmen, um die ein oder andere Szene erneut zu erleben, um mit Éponine um die Häuser zu ziehen, mich von den ABC-Jungs mitreißen zu lassen und mich an der Seite Jean Valjeans auf das Wesentliche und wirklich Wichtige zurückzubesinnen.
Besonders freue ich mich momentan darauf, demnächst mehr Zeit mit Éponine zu verbringen, denn die britische Autorin Susan Fletcher hat sich Éponines Geschichte angenommen und für ein junges Publikum aufbereitet. Der Buchtitel „A Little in Love“ ist dabei eine wunderbare Referenz zu Éponines Sterbeszene, als sie Marius gesteht: „I think I was a little bit in love with you.“ Im Original erschien der Roman bei Chicken House unter der Feder von J.K.-Rowling-Entdecker Barry Cunningham – meine Erwartungen an die Umsetzung von Éponines Geschichte sind daher entsprechend hoch und ich bin mehr als gespannt darauf, wie Susan Fletcher Éponine und ihre Welt darstellen wird. Bis es so weit ist, sage ich Adieu zu Jean Valjean, Éponine, Marius, Cosette, Gavroche, Fantine, Enjolras, Courfeyrac und dem Rest der ABC-Society, Javert und den Thénardies.
Fazit: Ein absolutes, ewiges Herzensbuch und zu Recht einer der größten Klassiker der Literatur!
Geplauder