"Der Yark" von Bertrand Santini und Laurent GapaillardEigentlich möchte der Yark nichts weiter, als genüsslich Kinder verspeisen. Schließlich ist er ein Monster und Monster fressen nun einmal Kinder. Außerdem muss ja auch er irgendwie satt werden. Heutzutage Monster zu sein, ist allerdings nicht mehr das, was es einst war: Die Kinder lassen sich längst nicht so leicht verängstigen wie früher und sind zudem rotzfrech geworden. Der Yark kann jedoch nur artige Kinder fressen, denn auf Mädchen und Jungen, die lügen, fluchen, Streiche aushecken, Tiere quälen oder andere Dummheiten anstellen, reagiert der Yark allergisch. Dann wachsen ihm pilzartige Pusteln auf dem sechs Meter großen, haarigen Körper und sein Magen beginnt derart zu rebellieren, dass der Yark schlimme Blähungen bekommt und Feuer furzt.

Tag für Tag sucht der Yark aufs Neue mit knurrendem Magen nach den letzten braven Kindern und stiehlt in seiner Verzweiflung sogar dem Weihnachtsmann die Liste der artigen Kinder. Der Yark wähnt sich glücklich – jubelt jedoch zu früh! Das erste Kind, das er aufsucht, weiß über ihn Bescheid und beginnt, zu fluchen und Unsinn zu machen, sodass es für den Yark’schen Magen verdorben ist. Beim zweiten Kind passiert dem Yark eine verheerende Verwechslung, die ihm die schlimmste allergische Reaktion seit Langem bereitet. Entkräftet und panisch flieht der Yark ins Blaue. Seine winzigen Fledermausflügel, die jeder physikalischen Gesetzmäßigkeit trotzen, tragen ihn weit weg – bis er gegen einen verlassenen Leuchtturm kracht. Dort kümmert sich das Mädchen Madeleine um das kranke, zottelige Wesen – ohne Angst und ohne Scheu. Das erste Mal spürt der Yark, wie es ist, von jemandem gemocht zu werden und er bringt es nicht über sich, Madeleine zu fressen – dabei ist sie doch das unschuldigste und liebste Kind, das ihm je begegnet ist! Die aufkeimende Freundschaft zwischen den beiden stürzt den Yark in eine Krise: Das Verlangen nach einem artigen Kind ist groß, aber der Gedanke, Madeleine etwas antun zu müssen, bricht ihm das Herz. Ein scheinbar aussichtsloses Dilemma. Doch schließlich rettet die Liebe zu Madeleine nicht nur den Yark vorm Verhungern, sondern auch die Kinder der Welt vorm Gefressenwerden.

Mit „Der Yark“ haben Autor Bertrand Santini und Illustrator Laurent Gapaillard einen regelrechten Kinderbuchschatz kreiert. Die aufgegriffenen Themen der Macht der Liebe, der innerlichen Konflikte, der Frage danach, was uns letztlich ausmacht und ob unser Schicksal etwas ist, in das wir hineingeboren werden oder etwas, das wir selbst in der Hand haben, macht die gerade einmal 74 Seiten kurze Erzählung zu einer zeitlosen Geschichte, die märchenhaft und poetisch ist, zugleich aber schonungslos direkt, traurig, teilweise eklig und sogar lustig. Dabei steckt „Der Yark“ immer wieder voller Satire über Kindheit, Pubertät und das Aufwachsen in der heutigen Zeit, was das schmale Büchlein auch für Erwachsene mehr als lesenswert macht.

Bertrand Santinis Schreibstil – wunderbar ins Deutsche übertragen von Verleger Edmund Jacoby – ist dabei glücklicherweise nicht verkindlicht, sondern so gehalten, dass Leser unterschiedlichen Alters angesprochen werden. Santini greift hierbei durchaus das ein oder andere Wort auf, das die jüngsten Leser nicht auf Anhieb verstehen und motiviert sie so dazu, das Buch nicht mal eben schnell durchzulesen, sondern sich intensiver damit zu beschäftigen, nachzufragen, gemeinsam mit den Eltern, Großeltern oder größeren Geschwistern zu lesen. Kurzum: Santini traut der kindlichen Leserschaft etwas zu und nimmt sie so ernst wie ein erwachsenes Publikum. Dem ein oder anderen Pädagogen oder Elternteil mag das nicht gefallen. Doch blicke ich auf meine eigene Kindheit und meine pädagogischen Erfahrungen mit Grundschülern zurück, so bin ich dankbar, dass Santini die Lesekompetenz der Kinder nicht unterschätzt und die jungen Leser auf ein nicht anspruchsloses, unterhaltsames Abenteuer mitnimmt.

"Der Yark" - InnenansichtPerfektioniert wird die Geschichte des Yarks durch ausdrucksstarke, humorvoll-düstere Tintenzeichnungen von Laurent Gapaillard, die voller Liebe fürs Detail stecken und in denen sich die Verwandlung des Yarks vom furchteinflößenden Kinderfresser zum friedliebenden Freund Madeleines wunderbar widerspiegelt.

Fazit:

Menschenfresser hin oder her – den Yark muss man einfach lieben. Wer besondere Kinderbücher zu schätzen weiß, darf sich Bertrand Santinis und Laurent Gapaillards literarisches Kunstwerk nicht entgehen lassen!