Kirke verwandelt Odysseus' Männer in Schweine (Bildquelle: Jacob Jordaens [Public domain], via Wikimedia Commons)

Kirke verwandelt Odysseus‘ Männer in Schweine (Bildquelle: Jacob Jordaens [Public domain], via Wikimedia Commons)

Der zweite Teil meiner Weltreise führt mich nach Griechenland zu Homer. Dort angekommen verweist dieser mich an Odysseus und seine Mannschaft, die ich eine Zeit lang begleiten werde – wie lange, das ahne ich in diesem Moment ebenso wenig wie die Gefahren, die uns erwarten. Unsere erste gemeinsame Station – Odysseus und seine Männer sind nämlich schon länger unterwegs – ist die Insel Aiolia, wo Aiolos, der Gott der Wind, mit seiner Familie lebt. Einen ganzen Monaten verweilen wir dort, bis wir wieder in See stechen. Odysseus zieht es nach Hause, doch das Glück ist uns nicht hold. Durch den Fehler missgünstiger Seemänner an Bord geraten wir in einen heftigen Sturm, der unsere Flotte zurück zur Insel Aiolia treibt. Aiolos, der uns bei dem ersten Besuch so wohlgesonnen war, verwehrt uns nun jegliche Hilfe und befiehlt uns, schleunigst die Insel zu verlassen – wir hätten den Zorn der Götter auf uns gezogen, die sich nun rächen wollen. Es bleibt uns also keine andere Wahl, als Aiolia sofort zu verlassen. Nach sechs Tagen erreichen wir die Hafenstadt Telepylos, wo sich alsbald eine Katastrophe abspielt: Die Laistrygonen, die Bewohner Telepylos‘, entpuppen sich nicht nur als Riesen, sondern auch als gnadenlose Menschenfresser, die sich sofort auf unsere Mannschaft stürzen. Von unserer gesamten Flotte gelingt lediglich Odysseus, mir und den Männern auf Odysseus‘ Schiff die Flucht – die Männer der anderen Schiffe lassen allesamt ihr Leben.

Auch nach diesem tragischen Erlebnis wendet sich für uns noch nicht alles zum Guten. Auf der Insel Aiaia lockt die dort lebende Kirke – eine Tochter des Helios – einen Teil unserer noch verbliebenen Mannschaft in eine Falle und verwandelt sie in Schweine. Als Odysseus sich zur Rettung der Männer aufmacht, droht ihm das gleiche Schicksal. Doch unterwegs begegnet er Hermeias, den Schutzgott der Reisenden. Dank seiner Hilfe gelingt es Odysseus, Kirkes Zauber zu entgehen und sogar ihre Gunst zu gewinnen. Kirke erlöst daraufhin nicht nur die Mannschaft von ihrem Zauber, sondern lässt uns fortan bei sich wohnen. Ein ganzes Jahr verweilen wir auf Aiaia, dann erwacht unter den Männern zunehmend das Verlangen, nach Hause zurückzukehren. Kirke gewährt uns den Wunsch, ihre Insel zu verlassen, bittet Odysseus jedoch, zunächst in Aides‘ (also Hades‘) Reich zu reisen. Während Odysseus und seine Mannschaft zu ebenjenen Ort aufbrechen, verabschiede ich mich von ihnen, um auch andere Orte Europas sehen zu können.

Meine weitere Reise absolviere ich ebenfalls auf dem Seeweg. Ich bin Teil einer sogenannten „Vergnügungsreise“, die von New York aus startet und an der nur ausgewählte Personen teilnehmen dürfen. Einer dieser Teilnehmer ist Mark Twain, mit dem ich die Tage an Bord verbringe. Leider stellt sich die Reise für mich jedoch als Enttäuschung heraus: Ursprünglich geplante Reiseziele sind unter anderem Paris, Marseilles, Verona, Rom, Genua, Athen und die Krim, aber auch Orte außerhalb Europas wie Kairo, Alexandria, Beirut, Jerusalem, Bethlehem und Nazareth – vielerorts können wir allerdings nicht an Land gehen, da die Einwohner sich vor der Cholera fürchten. Dies ist zum Beispiel in Cagliari auf Sardinien der Fall. So bleibt uns häufig nur der Blick vom Schiff aus und ich kann nur wenige Eindrücke mit nach Hause nehmen. Als wäre dies nicht enttäuschend genug, erweisen sich auch die Tage an Bord als sehr eintönig. Twain und andere Reisende vertreiben sich die Zeit nahezu ununterbrochen mit Domino – obwohl sich an Bord auch eine Bücherei und Musikinstrumente befinden. Während Twain es sich also tagtäglich in seiner Domino-Monotie gemütlich macht, schleiche ich mich immer wieder davon, um die Bibliothek aufzusuchen oder den Blick übers Meer schweifen zu lassen und mich dabei zu fragen, wie es wohl in all den Orten, die wir nicht erkunden durften, aussieht. Vielleicht hätte ich weiter mit Odysseus reisen sollen?

Über die literarische Weltreise: Ab Juli 2014 möchte ich mittels des Fischer Klassik-Titels „Weltreisende und Entdecker: Ein Lesebuch“ die ganze Welt bereisen. Geschichten, Aufsätze, Briefe und Tagebucheinträge von Entdeckern, Forschern und Schriftstellern sollen mir dabei Land und Leute nahe bringen. Was ich mit den berühmten Reisegefährten erlebe, lasse ich euch jede Woche per digitaler Flaschenpost wissen.

Literarische Weltreise

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