Auf den ersten Blick scheint Nando Baldini nicht wie jemand, der sich eines Tages gegen höhere Mächte behaupten könnte: Neben der Schule arbeitet er als Tellerwäscher, kümmert sich um die Obdachlosen Roms und ist ein ruhiger, in sich gekehrter Junge, der sich nie verziehen hat, dass er seine Eltern nicht aus dem brennenden Auto retten konnte. An seinem Geburtstag wird sein Leben jedoch gänzlich auf den Kopf gestellt: Der Engel Antonio offenbart ihm, dass er ein Nephilim sei – also halb Engel, halb Mensch. Noch dazu ist Nando nicht irgendein Nephilim, sondern der Sohn Luzifers. Ohne sich von seiner Tante Mara, bei der er lebt, und seinem besten Freund verabschieden zu können, muss Nando sein bisheriges Leben hinter sich lassen und in die unterirdische Stadt Bantoryn ziehen, wo er mit anderen Nephilim ausgebildet werden soll. Fortan muss sich Nando nicht nur an das Leben eines Halbengels gewöhnen, sondern sich auch gegen die feindlichen Engel und Luzifers obersten Krieger, den Dämon Bhrorok, wappnen. Immer wieder führt ihn der Teufel in Versuchung, will ihn auf seine Seite locken. Als wäre diese Bürde nicht schwer genug, schlägt Nando von fast jedem Bewohner Bantoryns nur Hass entgegen, erinnern sich die Nephilim doch noch gut genug an die Katastrophe, die der letzte Teufelssohn in der Stadt anrichtete. Für sie steht fest, dass auch Nando nur den Tod nach Bantoryn bringen wird.
Ich muss gestehen, dass (Halb-)Engel nicht gerade Wesen sind, die mich euphorisch zu einer Geschichte greifen lassen. Doch Gesa Schwartz hat Engel jenseits der Klischees und unberührbaren Heiligkeit kreiert: In „Nephilim“ sind auch die Engel eine Bedrohung – wenn auch nicht fürs uns Menschen. Bisweilen fragt man sich daher, wie sehr sich ihr Handeln eigentlich noch von dem Luzifers und seiner Dämonen unterscheidet – sie beschützen die Menschen, gehen dafür aber auch über Leichen. Gesa Schwartz beweist mit dem ersten Teil der „Chroniken der Schattenwelt“ jedoch vor allem, wie intensiv sie sich mit der Engelsthematik beschäftigt hat. „Nephilim“ beruht auf einer sehr detaillierten Recherche: Christliche Elemente fließen in „Nephilim“ ebenso ein wie Fabelwesen und Mythen der Antike. Neben Bantoryn sind die historischen Stätten Roms zentrale Handlungsorte der übernatürlichen Geschehnisse. Durch all diese Legenden und Hintergründe ensteht eine solide Basis für eine äußerst komplexe, authentische Welt. Gesa Schwartz präsentiert uns die Schattenwelt detail- und bildreich und nimmt sich viel Zeit, um den Leser in die unterirdischen Orte hineinzuführen. All das überwältigt und zwischendurch musste ich öfters für mehrere Tage Abstand zum Buch nehmen, weil ich all die Eindrücke erst einmal in Ruhe verarbeiten musste.
Gepackt hat mich dann vor allem die Ausbildung von Nando und den anderen Nephilim. Einerseits sind die mystischen Wesen und geheimnisvollen Orte für die Trainingseinheiten sehr interessant und eine willkommene Abwechslung zu den üblichen überirdischen Elementen der gegenwärtigen Fantasytrends, andererseits fiebert man mit jeder Aufgabe mit, da die auszubildenden Nephilim in realitätsgetreue Gefahren geschickt werden, in denen sie immer wieder verwundet werden und teilweise sogar um ihr Leben fürchten müssen.
Neben der facettenreichen Welt überzeugen insbesondere die Charaktere in „Die Chroniken der Schattenwelt. 01: Nephilim“. Zwar ist schnell absehbar, wie sich die Nephilim Noemi verändern wird, doch zählt sie neben ihrem Bruder Silas, Nandos Mentor Antonio, dem Dämon Drengur und dem Dämonenjäger Yphramar zu den bestgezeichneten Figuren. Leider muss der Leser von manchen Charakteren, die er ins Herz geschlossen hat, auch Abschied nehmen – im Hinblick darauf, dass sie im Rest der Trilogie fehlen, ist das bei dem ein oder anderen ein herber Verlust, allerdings macht es die Geschichte nur um so glaubwürdiger und die Gefahr durch Teufel und Engel noch bedrohlicher.
Nando war mir als Protagonist jedoch zu melodramatisch – ja, er hat ein äußert schweres Los zu tragen, doch er zerfließt viel zu häufig in Selbstmitleid, fühlt sich für jedes Unglück verantwortlich und hegt die immer gleichen Zweifel. Ich hätte mir gewünscht, dass dies etwas weniger stark betont worden wäre, da man sich Nandos inneren Zwiespalts sehr schnell und gut bewusst wird – die immer wiederkehrende Fokussierung überstrapaziert dies leider.
Fazit:
Gesa Schwartz hat mit „Die Chroniken der Schattenwelt. 01: Nephilim“ einen fesselnden und ausgefeilten Trilogieauftakt geschaffen, der sich genug Zeit nimmt, um die komplexe Welt vorzustellen, gut gezeichnete, sich weiterentwickelnde Charaktere präsentiert und zugleich eine ereignisreiche Handlung aufweist. Obwohl Teil einer Reihe ist „Nephilim“ in sich ausreichend genug abgeschlossen, um die Leser nicht mit unzähligen Fragen in der Luft hängen zu lassen.
Das Buch liegt auf noch auf unserem SUB. Klingt gut, was du schreibst, vor allem, dass nicht zu viele Fragen am Ende vom ersten Teil übrig blieben, so was macht mich immer ganz kirre. Schade finde ich allerdings, dass der Hauptcharakter so in Selbstmitleid versinkt, das ist irgendwann sehr ermüdend!
LG
Bei mir lag es auch lange auf dem SUB, da ich nicht wusste, ob es überhaupt etwas für mich ist – die Fantasy-Challenge von Philip war da genau die richtige Motivation ;) Und letztlich hat mich „Nephilim“ sehr positiv überrascht.
Man kann „Nephilim“ wirklich auch gut als eigenständiges Buch lesen. Zwar wartet am Ende natürlich noch eine Aufgabe auf Nando, aber der Abschluss des Bandes ist nicht so offen, dass man sich „hängen gelassen“ fühlt. Mich ärgert es ja immer, wenn ein Teil einer Serie mit vielen Fragen und einem Cliffhanger endet und man die Fortsetzung nicht parat hat – bis zum nächsten Band habe ich meist viel zu viel vergessen ;)
Vielleicht kam mir das mit dem Selbstmitleid auch nur so extrem vor, weil er ja eigentlich jemand ist, der sich gegen die härtesten Gegner behaupten muss – da hätte ich ihm manchmal gerne den Kopf gewaschen, dass er doch eigentlich so schwach und schlecht nicht sein könne. Seine Gedanken an sich sind ja durchaus nachvollziehbar. Ich hätte mir nur gewünscht, dass er etwas weniger streng mit sich ins Gericht gegangen wäre – dadurch hat er dann leider ein paar Sympathiepunkte bei mir verloren.
Leider gehört dieses Buch zu meinen (sehr, sehr wenigen) abgebrochenen. Obwohl ich den Anfang wirklich spannend fand, konnte ich den Schreibstil der Autorin auf Dauer nicht ertragen. Ich hab mich irgendwie „tot beschrieben“ gefühlt, was mich total gelangweilt hat. Und Nandos Geheule … *seufz* Schade eigentlich. Aber ich glaube, selbst wenn ich mich durchgekämpft hätte, noch 2 Bücher davon? Oh Gott, nein danke.
Aber wer weiß? Vielleicht der falsche Ort, die falschen Zeit und irgendwann versuche ichs vielleicht noch mal.
Liebe Grüße aus dem Tintenmeer,
Sandy
Ich erinnere mich gerade, dass ich sogar einen verzweifelten Blogbeitrag dazu verfasst habe! =) https://tintenmeer.wordpress.com/2012/05/04/sos/
Zeitweise waren die Beschreibungen wirklich ausführlich,weshalb ich im ersten Drittel auch für ein paar Wochen unterbrochen hatte, um alles erst einmal „sacken“ zu lassen. Nach der Pause habe ich dann aber gut rein gefunden und ich finde, dass die ausführlichen Beschreibungen nur zu Beginn so extrem sind. Zwar bleibt der Stil weiterhin bildlich und vieles wird detailliert beschrieben, aber nicht „erdrückend“ – zu Beginn ging es ja doch darum, die Welt, die Nando betritt, genau kennenzulernen – das war dann einfach recht viel. Vielleicht war vor meiner Pause auch einfach nicht der richtige Zeitpunkt zum Lesen. Möglicherweise ergeht es dir ja ähnlich? Ich hoffe, du gibst dem Buch dennoch eine zweite Chance, da es nach den vielen Infos zu Bantoryn wirklich spannende Momente hat.
Es ist jedoch interessant zu lesen, dass auch dir Nandos starkes Selbstmitleid aufgefallen ist – ich war mir nämlich nicht ganz sicher, ob diese Wehleidigkeit nur mir so störte oder wirklich so extrem ist.