Gestern war ich zur Premiere eines Musicals. Als Vertreterin der Presse. Und obwohl ich weniger Berufserfahrung aufweise als die meisten der dort anwesenden Journalisten, kam ich nicht umhin, mich zu fragen, wer wohl mehr Professionalität aufweist: Die festangstellten Redakteure oder ich als Studentin?! Grund hierfür war keine große Missetat, jedoch ein Verhalten, dass ich inzwischen bei mehreren Inszenierungen beobachten konnte: In der Pause nach dem ersten Akt verschwinden einige der Journalisten einfach – und schreiben hinterher eine Rezension auf Basis ihrer nur 50 Prozent des Stückes umfassenden Kenntnisse. Warum ich das so kritisiere? Weil ein journalistischer Text fundiert sein muss – aber wer die Hälfte einer Aufführung verpasst, kann NICHT fundiert berichten. Ja, ich weiß: Die Redakteure müssen derartige Termine i. d. R. in ihrer Freizeit wahrnehmen, eventuell werden nicht einmal Fahrtkosten übernommen. ABER: Dafür können sich die Pressevertreter das Stück für lau ansehen. Und letztlich werden sie für ihren Artikel bezahlt. Ich als Studentin habe weit weniger finanzielle Mittel zur Verfügung als die festangestellten Redakteure – und pendle für Inszenierungen dennoch öfters über 200 km durch drei Bundesländer. Da meine Tätigkeit auf Ehrenamtsbasis beruht, werde ich auch für die Artikel nicht bezahlt. Ich tue dies einfach aus Freude am Schreiben, aus der Liebe zum Musical und um praktische Erfahrung zu sammeln. Im Gegensatz zu etlichen „professionellen“ Journalisten der (zumeist) Tagespresse bleibe ich jedoch bis nach dem Schlussapplaus – und kann folglich auch eine umfangreiche Rezension zum GANZEN Stück schreiben. Bei den hauptberuflichen Journalisten ist dies nicht der Fall.

Das betrifft im Übrigen nicht nur Theater- und Musicalinszenierungen, sondern auch Artikel über Literatur: Wie oft hörte und las ich von Autoren, welche sich über Journalisten beschwerten, die sie zu einem Buch interviewten oder das neuste Werk rezensierten, ohne dieses jedoch gelesen zu haben! So etwas ist kein Qualitätsjournalismus! Das wäre genauso wie einen Film nach seinem Trailer zu beurteilen oder ein Unternehmen zu loben, dessen Produkte man nicht kennt, dessen Ruf aber gut ist. Wie soll man daher als Leser entsprechender Artikel noch Vertrauen in die geschilderten Eindrücke haben, wenn diese nicht auf Vollständigkeit beruhen? Wenn es einem Redakteur zu viel ist, einen Abend lang eine (in diesem Fall großartige) Inszenierung zu genießen oder sich vor einem Interview näher mit dem Werk des Gesprächspartners zu beschäftigen, sollte man vielleicht vom Feuilleton in einen anderen redaktionellen Bereich wechseln. Ja, Journalismus ist oftmals eine undankbare Branche – aber es ist eine Berufung und kein Nine-to-Five-Job. Dessen ist man sich eigentlich bewusst, bevor man diesen Beruf erwählt. Wer darin nur eine Pflicht zum Verdienen des Lebensunterhalts sieht, der sollte eventuell über eine andere Tätigkeit nachdenken, denn es gibt genug Nachwuchsjournalisten, die ihren Job mit mehr Leidenschaft und Engagement übernehmen würden!

Was das Ganze nun mit Bloggern zu tun hat, fragt ihr euch? So lange für den professionellen Kulturjournalismus eine derart begrenzte Verlässlichkeit gilt, so lange es Rezensionen gibt, die auf einem so geringen Kenntnisstand beruhen, geht es ohne Blogger einfach nicht. Blogger verfassen keine Rezensionen zu Büchern oder Stücken, die sie nicht oder nur teilweise kennen. Gut, manche legen ihre Leseeindrücke zu einem abgebrochenen Buch dar, allerdings wird hier auch darauf verwiesen, dass nicht das komplette Buch gelesen wurde – Texte der Zeitungen und Magazine werden dagegen unter der Prämisse der Vollständigkeit präsentiert! Es kommt nicht von ungefähr, dass ich bei Buchbeurteilungen Bloggern mehr vertraue als dem professionellen Journalismus, basieren die Rezensionen der Hobby-Schreiber doch wenigstens auf Kenntnis des vollständigen Werkes. In diesem Sinne: Bloggt weiter und verdeutlicht denjenigen Journalisten, die ihren Job nicht ernst genug nehmen, dass Kulturjournalismus mehr bedeutet als hübsch klingende Phrasen im Text unterzubringen.