In „Into the Wild“ erzählt Jon Krakauer die Geschichte von Christopher Johnson McCandless. Eine wahre Geschichte von einem jungen Mann, der auf allen Komfort der Zivilisation verzichtete, um nur von und mit dem zu leben, das ihm die Natur schenkt. Chris McCandless stammte aus einer wohlhabenden Familie, war ausgesprochen clever, wissbegierig und tiefsinnig. Er machte einen tadellosen Uni-Abschluss, alle Türen standen ihm offen. Doch 1990, nach Ende seines Studiums, kehrt er seinem Zuhause den Rücken zu. Er spendet sein gesamtes Erspartes und reist fortan unter dem Pseudonym Alexander Supertramp durch die USA. Er lebt von dem, was er finden kann, verzichtet auf jeglichen Luxus und Bequemlichkeit, hält sich mit Nebenjobs über Wasser. Ohne klar definiertes Ziel trampt er umher, lässt seine Familie in Unwissenheit und Sorge, genießt jeden Augenblick und sinniert über die Natur und die Gesellschaft. Unterwegs trifft er auf verschiedenste Leute, die ihn dabei unterstützen, seinen Traum vom Leben in der Wildnis zu verwirklichen. Doch auch er hinterlässt starken Eindruck auf sie, einer von Ihnen ändert nach seiner Begegnung mit dem jungen Chris sogar sein ganzes Leben.

1992 schließlich wandert Chris in sein größtes und letztes Abenteuer: Für einige Monate möchte er allein und vollkommen von der Zivilisation abgeschottet in der Wildnis Alaskas überleben. Als Nahrung dienen ihm Pflanzen, Beeren und eigens erlegte Tiere. Doch von diesem Trip wird Christopher McCandless nie zurückkehren: Die gesammelte und gejagte Nahrung kann den Energiebedarf nicht decken, Chris magert zunehmends ab und wird schwächer. Eine Vergiftung nach dem Verzehr von Samen raubt ihm schließlich auch die letzten Kräfte. Im August 1992 stirbt der junge Abenteurer. Im Alter von nur 24 Jahren. Seine Leiche wurde wenige Wochen später von Jägern entdeckt. Chris‘ Geschichte veröffentlichte der Journalist Jon Krakauer kurz darauf im Magazin „Outside“. Fasziniert von dem Schicksal des jungen Aussteigers schrieb Krakauer schließlich ein Buch über den Tramper. Skizzen von McCandless Reise sowie Zitate von dessen Lieblingsautoren (u.a. Lew Tolstoi, Henry David Thoreau und Jack London) unterstreichen dabei Aussagen und dienen zum besseren Verständnis.

Krakauers Erzählstil ist stellenweise sehr gewöhnungsbedürftig. Nicht immer folgt er dem chronologischen Verlauf, im Fokus stehen die meiste Zeit Personen, die Chris kannten oder trafen und wie diese ihn erlebten. Erst im zweiten Teil des Buches wird intensiver auf Christopher McCandless als Person eingegangen – was ihn bewegte, welche Ansichten er vertrat, warum er tat, was er tat, was ihm seine Familie bedeutete, was er erlebte und wie es ihm erging. Doch um an diese interessanten Stellen zu kommen, muss sich der Leser gelegentlich durchkämpfen: Gerade die ersten 30 der insgesamt 200 Seiten ziehen sich sehr in die Länge und fordern die Geduld heraus, zeigt sich doch in diesen, dass Krakauer in erster Linie Journalist bei einem Magazin ist. Möchte er etwas bestimmtes thematisieren, fängt er zunächst im sprichwörtlichen Urschleim an und liefert Unmengen an Fakten und Hintergrundinformationen, die zwar nicht uninteressant, aber nicht unbedingt relevant sind, um Chris‘ Geschichte zu verstehen. So beschreibt Krakauer über mehrere Seiten, wie es dazu kam, dass der Bus, auf den McCandless in Alaska stieß, gerade an dieser verlassenen Stelle des Landes landete und zu welchem Zweck er diente. Diesem Muster folgen alle Kapitel der ersten 30 Seiten und spätestens nach dem dritten Mal hat dieses Stilmittel seinen Effekt verloren. Diese Erzählweise funktioniert zwar stets hervorragend in Reportagen qualitativ hochwertiger Magazine, nimmt in einem Buch jedoch schnell die Spannung aus der Geschichte. Ähnliches Durchhaltevermögen wird dem Leser auch in der zweiten Hälfte von „Into the Wild“ noch einmal abverlangt. 20 Seiten lang berichtet Krakauer hier von einem eigenen Bergsteigererlebnis in Alaska, um dem Leser zu verdeutlichen, warum es unwahrscheinlich ist, dass McCandless in Alaska Suizidgedanken hegte. Nun hat Krakauer selbst ein sehr interessantes Bergsteigerleben hinter sich – entkam er doch 1996 nur knapp selbst dem Tod auf dem Mount Everest. Doch nehmen seine Erfahrungen in „Into the Wild“ Überhand – wenn 10 Prozent eines Buches nicht von der eigentlich thematisierten Person handeln, sondern von einem einzigen Erlebnis des Autors selbst, ist das einfach zu viel. Denn was Krakauer letztenendes aussagen wollte, hätte er auch in 20 Sätzen statt 20 Seiten darlegen können und die Botschaft hätte den Leser ebenso gut erreicht. Wer an diesen herausfordernden Stellen jedoch durchhält und sich von langatmigen Abschweifungen und Fakten nicht abschrecken lässt, lernt bald, Christopher McCandless Denkweise und Beweggründe zu verstehen. Wie man hinterher zu ihnen steht, ist natürlich jedem selbst überlassen. So gibt es eine Vielzahl an Menschen, die den jungen Tramper für seinen Mut bewundern, ihn in vielerlei Hinsicht zustimmen, aber es gibt ebenso viele, die McCandless Handeln als naiv, dumm und leichtsinnig erachten. Dies wird schnell aus Leserbriefen deutlich, die Krakauer nach seinem Artikel in „Outside“ erhielt und stellenweise in „Into the Wild“ zitiert. Es mag sein, dass Chris sein Leben zu leicht aufs Spiel gesetzt hat, doch er lebte seinen Traum und wagte etwas, das wohl nur die wenigstens Menschen weltweit wagen würden. Dass Menschen, die gegen dem Strom schwimmen, etwas riskieren und nicht dem Durchschnitt entsprechen, immer wieder auf Widerstand und Kritik stoßen, ist nichts Neues. Und die Leserbriefe machen mehr als deutlich, wie wenig Toleranz viele in unserer Gesellschaft aufbringen, wenn jemand „anders“ ist oder etwas Außergewöhnliches tut. Ob man zu den Befürwortern oder Gegnern McCandless gehört – in jedem Fall sorgt seine Geschichte für Staunen und regt zum Nachdenken an über unsere Lebensweisen, die Welt und das, worum es im Leben geht.

Positiv zu erwähnen ist Krakauers intensive Recherche. Selbst wanderte er auf McCandless Spuren, folgte dem Weg, den der Tramper 1992 in Alaska ging, besah den Bus, in dem Chris den Tod fand und führte ausgiebige Gespräche mit Chris‘ Familie, ehemaligen Freunden und Mitschülern und Personen, die ihn auf seinem Weg durch die USA begegneten. Diese Gespräche fließen immer wieder in die Geschichte ein und als Leser hat man das Gefühl, den Personen in ihren Wohnzimmern gegenüber zu sitzen.

Fazit:

Jon Krakauer gibt dem Leser in „Into the Wild“ einen guten Einblick in Chris‘ Leben und Gedanken. Stilistisch geschieht dies zwar nicht immer auf einfachen oder angenehmen Weg – etliche Längen und trockenen Fakten müssen hin und wieder ertragen werden. Manches Mal wünscht man sich stattdessen, noch mehr davon zu erfahren, was Chris sah und erlebte. Dennoch ist das Buch empfehlenswert für all diejenigen, die mehr über den zu jung verstorbenen Tramper erfahren möchten. Wer hingegen nur einen kleinen Überblick über bzw. einen Einblick in Christopher Johnsons McCandless‘ Leben haben möchte, dem sei die gleichnamige Verfilmung aus dem Jahr 2007 unter Regie von Sean Penn zu empfehlen. Gespielt wird Chris hervorragend authentisch von Emile Hirsch und der ganze Film überzeugt durch ausdrucksstarke Bilder und dichte Atmosphäre. Ganz zu schweigen von der fantastischen Musik, die Eddie Vedder für den Film beigesteuert hat.

Im Sommer 2011 erschien nun unter dem Titel „Back to the Wild“ ein Buch mit Fotos und Aufzeichnungen von Chris McCandless und ermöglicht dem Interessenten so einen neuen, persönlicheren Einblick in die Erfahrungen von „Alexander Supertramp“. „Back to the Wild“ ist zeitgleich auch als DVD veröffentlicht worden. Auf Amazon.de und .co.uk ist beides leider nicht erhältlich, auf Amazon.com nur noch über private Händler.