Zehn Jahre verbrachte die autistische Tess Byrne in einer psychiatrischen Anstalt, weil sie des Mordes an ihrem Vater für schuldig befunden wurde. Zum Zeitpunkt dieses Geschehens war sie gerade mal elf Jahre alt! Nun, mit 21 Jahren, darf sie zurück zu ihrer Familie – oder besser gesagt: zu ihrer älteren Schwester Kate und ihren Brüdern Ben und Seán. Doch der Mord an dem brutalen und überall verhassten Alkoholikervater hat das Leben der ganzen irischen Farmerfamilie Byrne verändert. Kate wurde kurz nach dem Mord von ihrem Verlobten auf feigeste Art und Weise verlassen, hat die Mutterrolle in der kleinen Familie übernommen und in all den Jahren immer nur zurückgesteckt. Der älteste Bruder Seán – einst ein stiller, vorbildlicher Junge – kommt nun ganz nach dem Vater und macht den Byrne-Geschwistern das Leben zur Hölle. Und Ben, das Nesthäkchen, leidet an einer noch stärkeren Form des Autismus als seine Schwester Tess.

Und Tess – sie möchte nun endlich da weitermachen, wo sie vor zehn Jahren aufhören musste. Sie lernt fleißig, möchte arbeiten und sich bei ihren Geschwistern entschuldigen, ihnen ein glücklicheres Leben bereiten. Doch leider soll es nicht so sein …

Während die Byrne-Geschwister mehr oder weniger versuche, miteinander zu recht zu kommen und mit immer anderen Problemen kämpfen müssen, sieht Journalist Sam Moran seine Chance gekommen: Nach etlichen Jahren voller langweiliger Dorf-Berichte möchte er endlich eine sensationelle Geschichte liefern. Jede Minute des Tages recherchiert er zu dem Mord an Tess‘ Vater Michael. Warum sollte ein kleines Mädchen wie Tess jemanden umbringen? Und wenn die ganze Stadt Motive für den Mord an Michael Byrne hatte, warum hat man sich keine Mühe gemacht, wirklich nach einem Täter zu suchen? Kaum einer im Dorf hielt die kleine Tess für schuldig und doch widersprach keiner den Anschuldigungen. Für Moran ergibt die ganze Geschichte keinen Sinn – und auch seine Recherchen bringen ihm nicht den gewünschten Erfolg …

Immer abwechselnd erzählt Carol Coffey aus der Vergangenheit und Gegenwart. Der Leser erfährt schnell, dass Tess den Mord nicht verübt hat – aber bis zum Schluss lässt sich nicht erahnen, wer dann der Täter war – obwohl fast jeder ein Motiv hatte. Sehr gut wird dargestellt, wie das Leben vor dem Mord war und wie es sich direkt danach für alle veränderte. Vergleichend dazu stehen die Ereignisse der Gegenwart, wo sich die Wogen auch nach zehn Jahren nicht geglättet haben – im Gegenteil, die Situation der Byrnes scheint sich täglich zu verschlimmern und die Rückkehr Tess‘ aus der Anstalt tragen da ebenfalls nicht zu einer Besserung bei.

In weiteren Rückblenden, die bis in die Jugend von Tess‘ Eltern gehen, erfährt der Leser, warum die hübsche Maura damals den aggressiven und dauerbetrunkenen Michael Byrne heiratete und warum jeder Charakter ist, wie er ist. Die vielen Ereignisse und Schicksalsschläge haben jedes Familienmitglied unterschiedlich geprägt, aus fröhlichen Menschen trostlose Schatten ihrer selbst gemacht. Carol Coffey zeigt vielschichtige Charaktere auf und macht auf glaubhafte Weise die Wesensänderungen der Personen deutlich. Als Leser versteht man so gut die Wut und Verzweiflung, aber auch die Gleichgültigkeit der Byrnes. Sehr schön anzusehen sind die Verwandlungen der Schwestern: Tess, für die Empathie nie so leicht war wie für nichtautistische Menschen, lernt, an andere zu denken, sich um andere zu kümmern und für ihre Geschwister da zu sein. Kate hingegen beginnt – nicht zuletzt durch Tess -, auch wieder an ihr eigenes Wohl zu denken, zu lieben und zu leben.

Obwohl „Das Mädchen mit den Schmetterlingen“ in den Buchhandlungen unter der Rubrik „Krimis und Spannung“ zu finden ist, ist es doch eher ein Roman als ein Krimi. Es ist die Geschichte einer vom Schicksal gestraften Familie, bei der der Mord nur den roten Faden bildet – er ist das Element, das vieles ins Rollen brachte und einen bedeutenden Einschnitt im Leben der Byrnes markierte. Doch die Suche nach Tätern und Motiven, die Klärung des Mordes sind eher zweitrangig. Warum sollte das auch anders sein?: Das Leben der Byrnes hat sich schlagartig verändert, was sich nicht mehr ändern lässt – zehn Jahre hat sich niemand für den Fall Byrne interessiert und die Zeit, die Tess ungerechterweise in der Anstalt verbrachte, kann ihr niemand zurückgeben. Und Tess – sie nahm ihr Schicksal die ganze Zeit an und hat sich nie zu dem Mord geäußert, was anfangs für den Leser nicht nachvollziehbar ist: Jeder normale Mensch, der unschuldig des Mordes beschuldigt werden würde, würde seine Schilderung des Geschehens erzählen wollen, würde seine Unschuld beweisen wollen. Doch Tess schweigt und besiegelt damit ihr Schicksal und das ihrer Geschwister. Lediglich Reporter Sam Moran interessiert sich ernsthaft für die Klärung des Mordfalls – allerdings nur aus reinem Eigennutz. Als einziger Charakter im Buch bleibt Moran sehr klischeehaft: Die Ganze Zeit wird er nur als der selbstsüchtige, sensations- und karrieregeile Reporter dargestellt und vermittelt so das Bild des rücksichtslosen Skandaljournalisten im „BILD“-Stil. Auch sonst trägt diese Nebenhandlung nicht sonderlich zum Buch bei und hätte auch problemlos weggelassen werden können. Dies ist allerdings der einzig wirkliche Negativpunkt am Buch.

Fazit:

Carol Coffey erzählt eine tiefgehende Geschichte und liefert statt eines gewöhnlichen Krimis ein gelungenes, facettenreiches Familienportrait. Atmosphärisch, mal ruhig und bewegend, mal schnell und packend, abgerundet durch einen durchgehend flüssigen Schreib- und Erzählstil, der den Leser durch insgesamt vier Jahrzehnte trägt.

Sehr schön ist dabei auch das Cover. Der Clou daran: Die Weizenähren sind reliefartig hervorgehoben und machen den sonst völlig glatten Buchumschlag griffiger. Schade daran ist nur, dass sich diese wunderbare Struktur während der Nutzung abgreift und dadurch das raue Gefühl der Ähren verloren geht. Daher beim Lesen am besten einen Schutzumschlag (vorzugsweise aus Stoff), eine Leselotte oder ähnliches nutzen.