Wie soll man über ein Buch schreiben, das sich nur schwer in Worte fassen lässt? Stephen Kings Auftakt der Dark-Tower-Reihe war für mich ein Leseerlebnis der außergewöhnlichen Art und ich finde für dieses Buch keine treffendere Beschreibung als „anders“ oder „speziell“. King vermischt in „The Gunslinger“ diverse Genres auf so verrückte und gelungene Weise, wie ich es bislang selten (oder vielleicht auch nie?) zuvor gesehen habe. Während wir dem Revolvermann („Gunslinger“) Roland durch die karge Wüste und das an US-Western erinnernde Städtchen Tull begleiten, auf der Jagd nach dem Mann in Schwarz, begegnen wir einem Jungen aus dem New York des späten 20. Jahrhunderts, langsamen Mutanten, einem sonderbaren Orakel sowie diversen fantastischen Kräften und kontemporären Gegenständen. Die Gegensätze dieser einzelnen Elemente könnten unterschiedlicher kaum sein und doch ergibt alles ein stimmiges, wenngleich ungewöhnliches Gesamtbild.
„[…] new knowledge leads always to yet more awesome mysteries.“ [1]
Je mehr ich mit Roland und seiner Welt vertraut wurde, desto mehr Fragen tauchten für mich auf und immer wieder saß ich mit einem verwirrten oder überraschten „Was zur Hölle?“ vor dem Buch. Das war irritierend, manchmal auch ein wenig störend, weil ich Stellen neu las und regelmäßig das Dark Tower Wiki aufrief, um sicher zu gehen, dass ich alles richtig verstanden bzw. gedeutet habe und mir nichts entgangen ist. Gleichzeitig zog mich die Lektüre dadurch aber in ihren Bann – die Neugier wurde entfacht und durch ständig neue, ungeahnte Wendungen und Informationen kontinuierlich auf hohem Level gehalten.
In gewohnter King-Manier kommt „The Gunslinger“ stellenweise ausgesprochen heftig und brutal daher, hält diverse Anspielungen und Verflechtungen zu weiteren King-Werken bereit und überzeugt durch eine gewaltige Atmosphäre: Das Karge, Düstere und Rohe dieser Welt, die Trockenheit der Wüste, das Misstrauen und die unterschwellig brodelnde Gewaltbereitschaft in Tull sind in jeder Zeile spürbar und erweckten in mir ein Kopfkino, das mich fragen ließ, warum die Dark-Tower-Reihe erst jetzt eine filmische Umsetzung erfahren hat.
Fasziniert haben mich auch die beiden zentralen Charaktere Roland und der Mann in Schwarz. Revolvermann Roland ist alles andere als ein klassischer Protagonist, aber auch weit mehr als nur ein Antiheld. Immer wieder handelt er auf unmoralische Weise, er ist ein Einzelgänger und verschlossen – auch gegenüber mir als Leserin. Dennoch empfinde ich alles andere als Antipathie ihm gegenüber, habe ihn in diesem Auftaktroman gerne begleitet und möchte mehr von ihm wissen. Das gilt auch für den Mann in Schwarz, der als Rolands Gegenspieler eingeführt wird und ihm so manche grausame Falle stellte, aber gleichzeitig etwas an sich hat, das es mir unmöglich macht, ihn zu hassen. Dieses totale Aushebeln des klassischen Gut-versus-Böse hat mir außerordentlich gut gefallen und wurde von King genial umgesetzt.
Allerdings merkt man „The Gunslinger“ an, dass es eines der früheren Werke Kings ist: Sprachlich hat dieser Roman nur wenig mit dem zu tun, was Fans von späteren Titeln gewohnt sind. Stephen King greift im ersten Dark-Tower-Band auf Unmengen überflüssiger Adjektive und Adverbien zurück sowie auf Wörter, die selbst in gehobenen Kreisen nur selten Anwendung finden dürften. Das wirkt nicht nur untypisch für King, sondern stellenweise auch gekünstelt und unangebracht – oder wie Stephen King es selbst im Vorwort formuliert: Man merkt dem Roman an, dass er von einem jungen, aufstrebenden Autor verfasst wurde, der zu viele Schreibseminare besuchte, in denen der Sprache eine höhere Bedeutung beigemessen wurde als der eigentlichen Geschichte.
Die Kombination aus dem für King ungewohnten Stil, dem besonderen Genre-Mix, einem Protagonisten, mit dem die Leser sich nur schwer identifizieren können, sowie einer Story, die mehr Fragen aufwirft, als sie klärt, hat jedoch zur Folge, dass „The Gunslinger“ nicht den leichtesten Einstieg bzw. Zugang ermöglicht und vielleicht sogar davon abhalten kann, sich den Folgebänden zu widmen. Ich selbst möchte zwar unbedingt tiefer in diese außergewöhnliche Story eintauchen, allerdings ist dies auch meiner grundsätzlichen Neugier, der Liebe zu Kings Werken, dem gelungenen Trailer zur Verfilmung sowie der ansteckenden Begeisterung anderer Leser zu verdanken. Würde ein Reihenauftakt eines unbekannten Autors mit derart vielen Unklarheiten und offenen Fragen enden, würde ich vermutlich zögern, zur Fortsetzung zu greifen.
[1] Stephen King: „The Gunslinger“ (The Dark Tower 1), Scribner 2016, S. 240
Weitere Eindrücke zum ersten Band der Dark-Tower-Reihe auf:
Mehr Informationen zum Projekt Dark Tower sowie eine Übersicht über Beiträge rund um die Serie findet ihr ebenfalls bei Lesen macht glücklich.
Ich glaube eher, dass sich andere King Werke auf diese Reihe beziehen, als umgekehrt. 😉 Ansonsten triffst du es ganz genau. Ich habe es damals, glaube ich, erst im dritten Anlauf geschafft, es zu beenden. 😉
LG
Damit hast du natürlich vollkommen Recht – den Punkt habe ich unglücklich formuliert. :)
Drei Anläufe – und trotzdem hast du weitergemacht. Wow, so eine Geduld und Motivation muss man erst einmal aufbringen! Ich bin ja gespannt, wie ich Band 2 empfinden werde – der soll ja deutlich besser sein.
Speziell trifft es ziemlich gut und stimmt so ziemlich mit meinem ersten Eindruck des ersten Bandes überein.
Dieser Genremix, die Figuren und auch die vielen Handlungsstränge, die irgendwie nicht ganz aufgelöst wurden, gerade seine Vergangenheit und den Mann in Schwarz betreffend.
Es war mein erstes Buch von King, daher habe ich Parallelen sicher nicht verstanden.
Mit der Brutalität hatte ich allerdings gerechnet :D.
Ich bin extrem gespannt auf die Verfilmung, da ich mir das auch super auf der Leinwand vorstellen kann! Und die beiden Hauptdarsteller habe ich beide in anderen Werken schon für extrem gut befunden.
Mit der Sprache hatte ich ab und an auch so meine Probleme und ich bin gespannt, ob sich das im Laufe der Reihe noch ändert.
Ich muss auch sagen, dass ich vor allem weiterlesen werde, weil mir die Reihe so angepriesen wurde und mich die Figuren neugierig machen, denn ich hatte auch so meine Probleme mit dem Auftakt.
Wenn ich den zweiten Teil lese, schreibe ich vielleicht auch mal einen Post für das Projekt :).
Würde mich über einen Beitrag von dir freuen.
Hallo Charlie,
wow, der erste King-Roman und dann ausgerechnet dieses Werk! Chapeau, dass du trotz der Schwierigkeiten, die dieses Buch mit sich bringt, weiter am Ball bleibst! Vor dem Hintergrund kann ich mich Marc erst recht anschließen und hoffe, du wirst deine Eindrücke in einem Beitrag verarbeiten. Ich kann mir vorstellen, dass „The Gunslinger“/ „Schwarz“ für einen King-Novizen noch einmal ein ganz anderes Leseerlebnis ist als für King-Fans.
Beste Grüße
Kathrin
Das Projekt muss ich mir gleich mal näher ansehen. Die Reihe habe ich begonnen, als ich noch in der Schule war, und vor 3 Jahren noch einmal den ersten Teil gelesen. Du hast recht, es ist definitiv kein leichter Reiheneinstieg und King-Neulinge dürften bestimmt eher abgeschreckt werden. Aber schon Teil 2 ist um einiges besser, da lohnt sich das Durchhalten. Und das Reihenende… boah, das ist mir immer noch nach all den Jahren so präsent im Kopf, weil es mich richtig umhauen konnte.
Bevor die Verfilmung rauskommt, will ich unbedingt noch einmal Teil 2 lesen.
Hallo Friederike :)
Momentan stecke ich noch am Anfang von Band 2, kann mich dir aber bereits anschließen, dass dieser Teil besser zu lesen ist und zugänglicher ist als Band 1. Hinsichtlich des Endes habe ich schon immer zwischen Zeilen anderer Leser mitbekommen, dass dieses wohl nicht ohne ist und heiß diskutiert werden kann. Ich bin schon gespannt darauf und werde immer neugieriger, wenn ich Eindrücke wie deine lese!
Liebe Grüße
Kathrin