„Du weißt, dass du der König der Verlierer bist, wenn du dich von einer hundert Meter hohen Klippe ins Meer fallen lässt, um Selbstmord zu begehen, und überlebst.“ (Kindle E-Book-Location 65)
Dennis Freys Fantasyroman „Fremdes Leben“ beginnt mit dem Ende. Nun ja, nicht ganz, aber mit einem Ende. Denn Cormac Flynn hat mit seinem Leben abgeschlossen. Wir treffen ihn an den Klippen, von denen aus er sich aus dieser Welt verabschieden möchte. Niemand ist da, der ihn aufhalten könnte und so lässt Cormac sich fallen. Doch was er sich als Ende seines misslungenen Lebens vorstellte, ist tatsächlich ein Anfang, denn Cormac erwacht in seinem alten Kinderzimmer, im Körper seines 15-jährigen Ichs, neben seinem Bett eine mysteriöse Gestalt ohne Namen und ohne Augen. Das fremde Wesen ist es auch, das Cormac zurück ins Leben und zurück in die Vergangenheit gebracht hat. Kurzerhand tauft Cormac die fremde Gestalt – passenderweise – auf den Namen Mephisto. Und wie der Faust’sche Mephisto so scheint auch dieser hier ein ominöser, etwas zwielichtiger Geselle zu sein, dessen wahre Absichten er gekonnt verbirgt. Doch mit seiner verschmitzten, charmant-sarkastischen Art hat dieser Mephisto auch etwas entwaffnend Sympathisches an sich – und so wird er für Cormac und den Leser zu einem Charakter, dem man zwar nicht blind vertraut, den man aber doch zu lieben und zu schätzen lernt. Cormac selbst dagegen ist zunächst kein Sympathieträger, weder in seiner Welt noch für den Leser. Zurück in seiner Jugend lässt Cormac schnell erahnen, warum er in seinem alten Leben nicht glücklich wurde: Als 15-Jähriger hat Cormac gerade die Schule gewechselt und findet dort keinen Anschluss; die Schulrowdies machen sich vom ersten Tag an einen Spaß daraus, ihn zu mobben und Cormac zieht sich von jeglichem sozialen Leben zurück, er verkriecht sich in einem Schneckenhaus und weist jeden zurück, der versucht, einen Schritt auf ihn zuzumachen. Kurz: Cormac sperrt jegliches Quäntchen Glück und Freude aus seinem Leben aus. Doch das Schicksal bzw. die übernatürlichen Mächte haben ihre eigenen Pläne. Durch eine Hinterlist stirbt Cormac – und wird anschließend erneut als 15-Jähriger wiedergeboren. Mephisto hat Cormac in einen Kreislauf aus Wiedergeburten gesteckt. Jeder Reboot ist eine Chance, alles anders, besser zu machen, aber jeder Reboot stellt Cormac auch vor neue Herausforderungen, denn mit jedem weiteren Leben scheinen sowohl Glück als auch Pech exponentiell zuzunehmen. Als Cormac eines Tages elementare Magie freisetzt, gerät das Gleichgewicht in der Welt schließlich völlig aus den Fugen und der Leser fragt sich, ob und wie Cormac dieses Gleichgewicht herstellen und den Kreislauf der Wiedergeburten beenden kann, aber auch was Mephisto mit all dem zu tun hat und auf wessen Seite er wirklich steht.
Interessant bei dieser Lektüre ist vor allem, zu sehen, wie unterschiedlich Cormacs Leben verlaufen und welch überraschende Wendungen sich immer wieder auftun. Obwohl Cormac jedes Mal zum selben Zeitpunkt in sein jugendliches Leben zurückkehrt, ist er doch nie derselbe – sein Charakter wird in jedem Leben beeinflusst und prägt so Cormacs Wesen und die zwischenmenschlichen Beziehungen im nächsten Leben. Cormac gewinnt Selbstvertrauen, verliert seine Schüchternheit gegenüber Mädchen und lernt, sich gegen Ungerechtigkeiten zu wehren. Manche Leben halten für Cormac dadurch viele positive Erlebnisse bereit, er gewinnt Freunde, Respekt und findet Liebe. Aber es gibt bestimmte Konstanten in Cormacs Leben, Fixpunkte seines über allen Leben schwebenden Schicksals – und eine dieser Konstanten hat es darauf abgesehen, Cormacs Leben zu zerstören. So beobachtet der Leser auch, wie aus einem inzwischen offenen und selbstbewussten Cormac wieder ein zynischer, verbitterter Cormac wird. Autor Dennis Frey ist damit eine komplexe Charakterentwicklung gelungen, die zugleich glaubhaft wie faszinierend das Verhältnis zwischen Identität, Umwelt und dem Verlauf des Lebens aufzeigt. Leben ist, was du draus machst! Diese Wandlungen in Cormacs Wesen sorgen aber auch dafür, dass der Leser immer wieder zwischen Sympathie und Antipathie gegenüber dem Protagonisten schwankt – mal strapaziert Cormac mit seinem Selbstmitleid, mal mit Groll und Hass die Geduld des Lesers. Über kurz oder lang kann der Leser Cormac aber nur Respekt zollen für seine Weiterentwicklung. Etwas einfacher machen es dem Leser andere Charaktere des Buches: Mephisto wird schnell zu einem besonderen Gefährten, der für Witz und Esprit sorgt; das Mädchen Alice hingegen stellt den Leser zwar wie Mephisto vor so manches Rätsel, hat aber eine so aufrichtige, liebenswerte Art an sich, dass man mit ihr gerne mehr Zeit verbringen würde.
Doch es sind nicht nur die Charaktere, die überzeugen, sondern auch die Story, die Themen wie Mobbing, Courage, Identität, Schicksal oder das Gleichgewicht bzw. den Kampf zwischen Gut und Böse aufgreift. Erzählt wird all das auf eine sehr abwechslungsreiche, spannungsgeladene Art und mit einem sehr visuellen Schreibstil, der es mir sogar möglich machte, im vollen Berufspendlerzug alles um mich herum auszublenden und die Szenen vom ersten Satz an filmgleich vor dem geistigen Auge zu erfahren – und das gelingt mir in der Regel bei maximal einem Buch pro Jahr!
Fazit:
Außergewöhnliche Charaktere, die schwer zu durchschauen oder keine typischen Sympathieträger sind, überraschende Wendungen, Ereignisse, die Rätsel aufgeben, eine zunehmende Komplexität der Geschichte, klassische literarische Themen, gesellschaftliche Fragestellungen, eine Prise Sarkasmus und so manche Parallele zum Faust-Stoff – all das vereint Dennis Frey in „Fremdes Leben“ auf sehr ausgewogene, unterhaltsame und packende Weise. Gerne mehr davon!
Dennis Frey: „Fremdes Leben“, Papierverzierer Verlag 2016, ISBN: 978-3959622981
Aaahhh … Kathrin, was machst Du mir mir? Kaufen wollen!!! Wie konnte ich die Rezension übersehen? Habe gerade Deine Review zu Magische Meriten gelesen und da sagst Du ja, an solle dieses Buch vorweg lesen … das werd ich dann direkt mal tun! *2 Minuten später* .. so dank Click-and buy schlummert das eBook jetzt auf meinem Kindle … *hüstel* … ich bin dann mal weg!
LG & einen schönen Sonntag noch!
Kati
Liebe Kati,
sollte ich ein schlechtes Gewissen bekommen? ;) Vielleicht, aber habe ich nicht, schließlich geht es mir mit dir und anderen Bloggern ja genauso (ich sag nur „Simon vs. the Homo Sapiens Agenda“ ;) ).
Ich bin gespannt, was du zu Dennis Freys Geschichten sagen wirst. Natürlich kann man die Magischen Meriten auch lesen, ohne „Fremdes Leben“ zu kennen, allerdings entgehen einem dann so ein paar schöne Insider.
Ich habe Dennis Frey vor ein paar Jahren erstmals durch die Anthologie „Diebesgeflüster“ kennengelernt und war ganz begeistert von seinem Schreibstil und seinen teils sehr ungewöhnlichen Figuren. Dennis Frey schreibt mit sehr viel Humor, der aber eher unterschwellig und nie platt oder aufdringlich daher kommt. Das mag ich persönlich sehr – ich liebe es, wenn sich bspw. Charaktere in Büchern oder auch Filmen selbst nicht zu ernst nehmen und nicht immer aus allem ein Drama machen. Vielleicht geht es dir ja auch so. Ich wünsche dir viel Spaß beim Lesen!
Liebe Grüße und dir ebenfalls einen schönen, lesereichen Sonntag!
Kathrin