Exakt einen Monat, nachdem ich mich erstmals mit Bill Bryson auf eine Wanderung entlang des Appalachian Trails begab, kehre ich nun zu ihm und seinem Wandergefährten Stephen Katz zurück. Ich hatte gehofft, früher wieder auf Wanderschaft gehen zu können, leider bot das Juli-Wetter bis heute nur zwei fürs Outdoor-Reading taugliche Wochenendtage – und an denen war ich auf Deutschlands Autobahnen unter. Darum freue ich mich umso mehr, heute wieder freiluftlesen zu können.
Im Laufe des Tages wird es an dieser Stelle immer wieder Updates zur Wanderlektüre geben. Wo ich die Wanderung im Juni unterbrochen habe, könnt ihr >hier< nachlesen.
Update 14.00 Uhr
Bryson und Katz haben inzwischen einen Part des Trails erreicht, an dem sie in einem Motel übernachten können. Sie genießen es, nach tagelanger Wanderung und viel Verzicht endlich ausgiebig zu essen (wenngleich das Essen zwar üppig, aber qualitativ bescheiden ist). Dieses Päuschen nutze auch ich für ein kleines Mittagessen – im Gegensatz zu Bryson und Katz gibt es für mich allerdings nichts, das mit Unmengen künstlicher Aroma- und Farbstoffe angereichert wurde, sondern Pasta á la Jamie Oliver.
Auf dem Weg zum Motel haben Bryson und Katz auch die nervige Mary Ellen abgehängt. Im Nachhinein holt sie jedoch das schlechte Gewissen ein: „Ja, Mary Ellen ist furchtbar anstrengend und penetrant, aber sie allein im Wald bei Bären und anderen Gefahren zurücklassen? Wenn ihr etwas passiert, ist es auch unsere Schuld“, so die Denkweise der beiden. Also brechen sie auf, um Mary Ellen zu suchen – nur um von anderen Wanderern zu erfahren, dass Mary Ellen froh sei, Bryson und Katz loszusein … Ach, diese Frau ist schon sehr speziell. :D Als Außenstehende kann ich über Mary Ellen, Katz und Bryson herzlich lachen, aber wäre ich an Brysons und Katz‘ Stelle, würde ich wohl wiederholt zwischen Wut und Mitleid gegenüber Mary Ellen schwanken.
Update 16.35 Uhr
Während ich hier mit einer dicken Schicht Sonnencreme bei 28ºC auf dem Balkon sitze, haben sich Bryson und Katz durch einen Schneesturm gekämpft, mit Ratten und Mäusen ein schäbiges Zimmer geteilt und sind nun im extrem touristischen Gatlinburg, Tennessee, gelandet. Vor dem Hintergrund dieser überkommerziellen Stadt, der Zurückgebliebenheit eines Teils der Bevölkerung Tennessees (aktuell wird diskutiert, ob man Schülern nicht länger die Evolutionstheorie vermitteln soll, sondern ausschließlich die christliche Schöpfungslehre) und der Inkompetenz der Taxibetriebe hat Bryson die Schnauze voll von den Südstaaten. Er will daher einen Teil des Trails auslassen und von Gatlinburg direkt nach Virginia. Katz, der eh wenig Gefallen am Wandern hat, ist mit diesem Vorschlag natürlich prompt einverstanden. Für 50 $ geht es nun also im Taxi weiter.
Update 20.30 Uhr
Wir sind in Virginia. Auf dem Weg dorthin bewies mir Bryson wieder einmal, warum ich ihn gerne lese und warum „A Walk in the Woods“ für Wanderlustige das tausendmal bessere Buch ist als Cheryl Strayeds „Wild“: Bryson fasst all das Zwischenmenschliche, das Psychische ind Physische, die Eindrücke der Natur und das Imposante der Wildnis zusammen in ein abwechslungsreiches, vielschichtiges Gesamtbild. Das alles tut er auf sehr unterhaltsame Weise und mit einer geballten, aber nie ermüdenden Ladung Wissen. Er erzählt von der Historie des Trails und der Nationalparks; ich lerne, dass in den US-Nationalparks der Naturschutz nicht immer im Vordergrund stand, dass ein nicht unerheblicher Teil der alten, gigantischen Amerikanischen Kastanien in weniger als vier Jahrzehnten durch einen aus Asien importierten Pilz dahingerafft wurde, aber ich erfahre auch von der Artenvielfalt, zum Beispiel dass im Great-Smoky-Mountains-Nationalpark die größte Vielfalt an Salamandern vorzufinden ist.
Aktuell befinden wir uns im Shenandoah Nationalpark, der weniger für Salamander als vielmehr für Bären bekannt ist. Kein Wunder also, dass Bryson beim nächtlichen Besuch eines großen Tieres mit einem Bären rechnet und panisch wird:
„‚I think I have a right to be a trifle alarmed, pardon me. I’m in the woods, in the middle of nowhere, in the dark, staring at a bear, with a guy who has nothing to defend himself with but a pair of nail clippers. Let me ask you this. If it is a bear and it comes for you, what are you going to do – give it a pedicure?'“ (S. 189)
Ob es nun ein Bär oder doch nur Wild war, haben wir nicht erfahren (zum Glück?). Trotzdem möchte ich Bryson nach dieser Nacht eine Pause gönnen. Wir lesen und wandern an einem anderen, sonnigen Sommertag weiter!
Bill Bryson: „A Walk in the Woods“, Black Swan 1998, ISBN: 0-552-99702-1
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