Mit der einstigen französischen Königin Marie-Antoinette verbinden die meisten in erster Linie einen exzessiven Lebensstil, das Schlemmen von Törtchen, während das Volk Hunger leidet, die extravaganten Turmfrisuren, das lange nicht-existente Intimleben zwischen ihr und ihrem Gatten Ludwig XVI. sowie das tragische Ende des Königspaares im Zuge der Französischen Revolution. All dies findet sich auch in Benjamin Lacombes Auseinandersetzung mit Marie-Antoinette wieder, doch macht der französische Künstler und Autor diese Dinge nicht zu den definierenden Eigenschaften der Königin. Vielmehr nähert er sich Marie-Antoinette als Mensch: als Mädchen, das mit 15 Jahren einen Mann heiratet, den es kaum kennt und der nicht so recht weiß, wie er mit ihm umgehen soll; als junge Frau, die lernen muss, sich am Königshof einer ihr fremden Nation zu behaupten; als Tochter, die trotz einer Distanz von mehreren Hundert Kilometern von der Mutter gemaßregelt und kritisch beäugt wird, die es ihrer Mutter stets recht zu machen versucht, aber gleichzeitig ihren eigenen Weg gehen möchte; und nicht zuletzt Marie-Antoinette als Ehefrau, Liebende und Mutter. Benjamin Lacombe verleiht der Königin dadurch trotz ihres Stolzes und ihrer Macht auch etwas sehr Sensibles und Zerbrechliches, das sich nicht nur im Text, sondern auch in seinen Bildern harmonisch widerspiegelt. Er holt sie vom Thron der Unantastbarkeit und hebt die Distanz zwischen Königin und Lesern auf, jedoch ohne die Königin ihres Anmuts oder Liebreizes zu berauben. Dadurch wird Marie-Antoinette zu einem wunderbar greifbaren Individuum mit liebenswerten Seiten, aber auch so manchem Fehler. Dazu hat Benjamin Lacombe auf visueller Ebene auf eine weiche, feine Darstellung der Königin und textlich auf ein fiktives Tagebuch zurückgegriffen. Was wir in „Marie-Antoinette: Das geheime Tagebuch einer Königin“ über die Frau Ludwigs XVI. erfahren, wird direkt durch sie oder durch die nicht-fiktiven, authentifizierten Briefe ihrer Mutter und ihres engen Vertrauten Graf von Fersen an uns herangetragen. Und wie im wahren Leben auch gibt es zwischen zwei Tagebucheinträgen oder Briefen Lücken; es fehlen zuweilen Informationen, was in dieser Zeit passierte. Doch diese Lücken können wir Leser immer selbst füllen, entweder durch bereits vorhandenes Grundwissen über Marie-Antoinette oder indem wir zwischen den Zeilen lesen – beziehungsweise die Bilder deuten, denn viele Details in den Illustrationen stecken voller Symbolik: ein Totenkopf als Haaraccessoire und Omen der Hinrichtung; ein Blumengarten unter Marie-Antoinettes Reifrock und die auf einem Schloss reitende Königin als sexuelle Metapher. Lacombe ist auf diese Weise der Balanceakt gelungen, uns alles Wesentliche in Text und Bild mitzuteilen, ohne uns dabei jedoch mit Informationen zu erschlagen. Er bringt uns das Leben der Königin dadurch auf eine Weise nahe, wie es ein vor Zahlen und Namen strotzendes Sachbuch kaum vermag.
Abgerundet wird das Bild, das wir Leser uns über Marie-Antoinette und ihre Zeit machen, durch die Lieblingsrezepte der Königin, ihr Repertoire an extravaganten Frisuren, Baupläne und satirische Plakate. Doch auch Elemente, die wir bereits aus Lacombes früheren Büchern kennen, haben sich in die diversen Buntstift-, Tusche-, Öl- und Gouachezeichnungen eingeschlichen: Da sind zum Beispiel die beiden Hunde des französischen Künstlers, ohne die keines seiner Bücher vollständig wäre, aber auch die Raben und Kaninchen, die uns beispielsweise in „Schneewittchen“ begegnen. Und weil jedes von Benjamin Lacombes Büchern ein kleines Meisterwerk ist, hat der Künstler den Einband passenderweise in den Rokokofarben Weiß und Grün gehalten, mit royal anmutendem Gold verziert und sich für eine an Stuck erinnernde Reliefoberfläche entscheiden. Beauté en perfection!
Fazit:
Wer eine ausführliche Biografie mit allen Eckdaten Marie-Antoinettes sucht, sollte weiterhin zu den Sachbüchern der Historiker greifen. Wer die Gattin Ludwigs XVI. hingegen als Mensch und vor allem als Frau kennenlernen möchte, der findet in Benjamin Lacombes „Marie-Antoinette: Das geheime Tagebuch einer Königin“ ein facettenreiches und sehr feinfühliges Portrait der französischen Königin.
*Die deutsche Fassung der Briefe von Maria Theresia entstammt zu Teilen Stefan Großmann; Marie-Antoinettes Abschiedsbrief entspricht im Wesentlichen Stefan Zweigs Übersetzung.
Liebe Kathrin,
vielen Dank für die Besprechung, die einen guten Eindruck davon vermittelt, was einen hier wohl erwartet. Ich muss sagen, dass das Buch schon lockt. Sowohl das Thema, als auch die Aufmachung scheinen schon sehr gelungen. Vielen Dank für diese Rezension.
Liebe Grüße
Tobi
Hallo Tobi,
ich freue mich sehr, dass dir mein Beitrag gefallen hat und deine Neugier aufs Buch geweckt wurde. Optisch sind Lacombes Bücher immer regelrechte Kleinode. Ich bin dadurch vielleicht auch etwas voreingenommen und gehe an seine Bücher immer schon mit einer positiven Grundstimmung heran – dennoch denke und hoffe ich, dass ich dir nicht zu viel versprochen habe ;) Ich bin gespannt, wie dein eigener Eindruck ausfallen wird. Vielleicht ergibt sich ja für dich in einer Buchhandlung die Möglichkeit, einmal ins Buch hineinzuschauen?!
Liebe Grüße
Kathrin
Das ist wieder einmal mehr atemberaubend schön!
Ich habe noch den Hexenalmanach auf dem HuB und jetzt richtig doll Lust darauf bekommen. :)
Oh ja, der Hexenalmanach ist auch sehr schön aufgemacht (darin findet sich auch die ein oder andere Figur aus anderen seiner Bücher wieder ;) ) und auch schnell gelesen – das mag ich immer sehr bei Lacombes Büchern: Da sie mehr durch Bilder als durch Text erzählen, kann man sie super zwischendurch einschieben und hängt nicht so lange daran fest wie an einem 500-Seiten-Roman.
Nimm den Almanach schnell runter vom HuB und lass dich verzaubern :)
Und wie immer hast du mein Interesse geweckt. Lacombes Zeichnungen faszinieren mich einfach immer wieder. Und auch die Geschichte klingt vielversprechend.
Hallo liebe Friederike!
Ich freu mich, dass ich dein Interesse wecken konnte. Lacombe macht es einem aber auch schwer, zu widerstehen! :D
Hallo Kathrin,
nach Deinen lieben Kommentar auf meiner Seite musste ich doch gleich mal einen „Gegenbesuch“ abstatten! Das Buch über Marie Antoinette hab ich auch bei Tobi schon in den Rezension gesehen – und finde es wahrlich wunderschön. Es gibt einfach Bücher, da macht alleine das Anschauen Spaß!
Auf Deiner „Über mich“ Seite konnte ich gar kein Kommentar hinterlassen… daher jetzt hier: mit GROSSER FREUDE habe ich vernommen, dass es Dich in die WUNDERSCHÖNE Stadt Erfurt verschlagen hat! Ja was soll man dazu sagen … außer: alles richtig gemacht ;-) Das sage ich als waschechte „Erfurter Puffbohne“ (oha, wenn man da heute so schreibt klingt es wahrlich anrüchtig, dabei heißen so tatsächlich jene, die in Erfurt geboren wurden ;-)). Nur dass ich inwzsichen leider nicht mehr da lebe. Aber ich hoffe, es gefällt Dir sehr … und ich hoffe, wir sehen/lesen und jetzt öfters online! Bin jedenfalls gleich mal als Leserin geblieben.
Lieben Gruß & schönen Abend
Kati
Hallo Kati,
da machst du mir gerade ein schlechtes Gewissen – scheinbar muss ich meine „Über mich“-Seite mal aktualisieren. Nach Erfurt bin ich 2009 gezogen und seit Sommer 2015 wohn ich nun in NRW (ich wäre aber nur zu gern im schönen Erfurt geblieben). Erfurt habe ich damals aber vom ersten Tag an ins Herz geschlossen und für mich ist die Stadt heute mehr Heimat als der Ort, in dem geboren und aufgewachsen bin. Erfurt hat einfach Charme und so viele wunderbare Menschen!
Trotzdem ist es schön, in der Blogosphäre mal auf jemanden aus Erfurt zu treffen – die meisten Blogger sind ja doch auf andere Regionen verteilt. Ich vermute, dich hat damals auch Studium/Beruf aus Erfurt wegziehen lassen? Ganz freiwillig verlässt man diese schönne Stadt doch nicht :D
Liebe Grüße
Kathrin