#rausmitderdickenEigentlich sind Sasha, Rose, Nell und Jodie ein ganz normales Freundinnen-Quartett. Doch ab diesem Sommer wird sich nicht nur ihr Leben schlagartig ändern, sondern auch ihre Freundschaft auf eine harte Probe gestellt.

Am Ende der Sommerferien sehen sich die vier Mädchen zum ersten Mal seit Wochen wieder. Dabei entsteht spontan ein Song, den sie später – in Popstar-Outfits verkleidet – auf Video festhalten. Das Video soll nur eine spaßige Erinnerung sein, doch wenige Tage später wird Sashas Handy geklaut und das dort gespeicherte Musikvideo landet im Netz: Plötzlich finden sich Sasha, Rose, Nell und Jodie als Kandidaten für einen Musikwettbewerb des größten sozialen Netzwerkes „Interface“ wieder. Zur Überraschung der Freundinnen kommt ihr Song bei der Netzgemeinde sehr gut an: Die Klick- und Fanzahlen schnellen in die Höhe und die Manic Pixie Dream Girls – wie die vier Mädels ihre Band nennen – schaffen es bis vor eine professionelle Jury. Dort wird ihnen eiskalt gesagt, dass Rose die Band verlassen muss, wobei unterschwellig klar gemacht wird, dass die Jury sie für zu dick hält. Um den guten Ruf der Show zu wahren, wird der TV-Ausschnitt über die Manic Pixie Dream Girls so zusammengeschnitten, dass es wirkt, als wäre Rose von ihren eigenen Freundinnen aus der Band geworfen worden. Im Netz wird Rose‘ Rausschmiss zu DEM Thema. Unter Hashtags wie „#rausmitderdicken“ oder „#egohexen“ entbrennt ein riesiger Shitstorm gegen Sasha, Nell und Jodie. Sie werden beleidigt, man wünscht ihnen sogar den Tod. Rose hingegen erhält online viele Komplimente – was die Macher des Musikwettbewerbs ausnutzen: Kurzerhand holen sie Rose als Solo-Act zurück in die Castingshow. Als Rose später schließlich als Siegerin des Contests hervorgeht, beginnt für sie eine große Karriere: Sie reist durch die Welt, ist per Du mit musikalischen Größen und landet einen Nummer-1-Hit. Währenddessen leben ihre drei (ehemaligen) Freundinnen, zu denen sie keinen Kontakt mehr hat, ihre alten, gewöhnlichen Leben weiter – oder besser gesagt: Sie versuchen es. Denn für Sasha, Jodie und Nell ist ein normales Leben kaum möglich. Im Internet werden sie weiter gemobbt, an der Schule von allen ausgegrenzt und Sasha erhält sogar Morddrohungen …

Autorin Sophia Bennett geizt in „#rausmitderdicken“ nicht mit schwierigen Themen: Cybermobbing, Manipulation in den Medien, inszenierte Realitäten, der Druck durch die Öffentlichkeit – all das sind Themen, die vor allem Eltern, Pädagogen und Jugendschützern immer wieder Bauchschmerzen bereiten. Insbesondere wenn es um Cybermobbing geht, fühlen sich Eltern allzu oft hilflos – in meiner eigenen medienpädagogischen Arbeit habe ich immer wieder erlebt, dass sie auf DIE EINE WAHRE Lösung hoffen, mit der sie ihre Kinder vor Cybermobbing schützen können. Tatsächlich lässt sich Cybermobbing jedoch – ebenso wie das Mobbing in der Offline-Welt – nicht verhindern, weshalb sich die Arbeit der Sozial- und Medienpädagogen oder auch der Lehrer quasi nur auf Aufklärung beschränken kann. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund entstanden in den vergangenen Jahren etliche Bücher, Filme und Videoclips über Cybermobbing. In der Regel lässt sich hier eine klare Schwarz-Weiß-Darstellung von Gut vs. Böse erkennen und der Umgang mit dem Cybermobbing wird auf zwei Möglichkeiten reduziert: 1) das Mobbingopfer konfrontiert seine Bullies (so der Fachbegriff für Mobber) mit dem Mobbing, oftmals in dem es Lehrer oder Polizei einschaltet, und das Mobbing endet; oder 2) das Mobbingopfer begeht Selbstmord. In der Realität ist weder das eine noch das andere ein Normalfall. Zudem haben Untersuchungen gezeigt, dass viele Mobbingopfer auch selbst mobben – es gibt also deutlich mehr Schattierungen als Schwarz und Weiß, Gut und Böse. Sophia Bennett trägt dieser Vielschichtigkeit und Komplexität des Cybermobbings glücklicherweise vollends Rechnung. Sie zeigt auf, wie schnell in den (Online-)Medien ein falsches Bild über jemanden entsteht und wie leichtfertig Beleidigungen in der Anonymität des Internets ausgesprochen werden. Dabei lässt die Autorin ihre Leser(innen) mit den vier Mädchen mitleiden, lässt sie wütend werden – nicht nur auf die Bullies, sondern gelegentlich sogar auf die Protagonistinnen, beispielsweise wenn Nell und Jodie sich von ihrer Freundin Sasha distanzieren. Aber Sophia Bennett macht auch Hoffnung und schenkt Mut, indem sie zeigt, dass auf jeden Bully mindestens eine Person kommt, der man etwas bedeutet. Auf diese Weise entsteht ein sehr authentisches Bild über Cybermobbing und Inszenierung in Massenmedien.

Zugleich gelingt es Sophia Bennett, ihre Leser nicht unter der Fülle und Schwere der Themen zu erdrücken. Das liegt zum einen an den unvergesslichen, überwiegend liebenswerten Haupt- und Nebencharakteren, die ich gerne noch länger begleitet hätte, zum anderen an Bennetts lockerem Schreibstil und einer ordentlichen Prise Humor. Das macht „#rausmitderdicken“ zu einem Buch, das sich nicht nur als ideale Lektüre für Jugendliche erweist, sondern auch perfekt für die pädagogische Arbeit geeignet ist. Doch „#rausmitderdicken“ sei auch jedem anderen ans Herz gelegt, der vielschichtige Jugendbücher und Geschichten über Freundschaft zu schätzen weiß.

Fazit:

Sophia Bennetts „#rausmitderdicken“ ist die authentischste und vielschichtigste Auseinandersetzung mit Cybermobbing, die mir je in Literatur, Film, Fernsehen und pädagogischen Angeboten begegnet ist. Zugleich ist es eine großartige Geschichte über Freundschaft, weshalb „#rausmitderdicken“ an dieser Stelle eine dreifache Leseempfehlung erhält – von mir als Leserin, als Medienpädagogin und nicht zuletzt von dem einstigen Teenager in mir, der beim Lesen wiedererweckt wurde.

Ein großes Dankeschön für die Bereitstellung des digitalen Rezensionsexemplares geht an das Team von Chicken House!