Wenn es Mitte März ist, sich der Himmel wolkenfrei in ein Schlumpfblau färbt und die Sonne schon fast sommerlich strahlt, dann kann das eigentlich nur eines bedeuten: Leipziger Buchmesse! Ich habe daher meine Masterarbeit mal für einen Tag aufs Eis gelegt und fuhr am Freitagmorgen mit meinem Freund der Sonne entgegen. Es war für mich inzwischen der fünfte oder sechste LBM-Besuch – doch zum ersten Mal blieb die euphorische Begeisterung bei mir aus. Warum, kann ich leider auch nicht erklären. Vielleicht setzt nach so vielen Jahren eine Art Immunität aus, da man alles schon einmal gesehen hat und es kaum noch Überraschungen gibt oder es war die Enttäuschung über die neue Manga-Comic-Convention (MCC)?! Denn nach der erdrückenden Enge der letzten Jahre, die bei mir stets die Frage aufwarf, warum die Leiziger Messe nur vier von fünf Halle nutzt, erhielt der Manga-Bereich in diesem Jahr endlich seine eigene Halle. Die Umsetzung fand ich aber alles andere gelungen: Die Halle 1, in der die MCC stattfand, erschien grau, leer und trist – wie das abgeschobene, unliebsame Stiefkind der LBM. Zierten die Hallen der Buchmesse bunte Teppiche und Banner, so beließ man die Halle der MCC kahl und undekoriert. Auch die allseits bekannten, vielfältigen Cosplayer, die dieses Jahr unter anderem als Predator, Pikachu, Phantom der Oper und „Die Schöne und das Biest“-Ensemble auftauchten, konnten die MCC nicht viel einladender machen. Das einzig Gute an der Auslagerung des Manga-Bereichs: Die Menschenmassen haben sich auf dem Messegelände stärker verteilt und man kam endlich einmal nicht nur im Schneckentempo durch die einzelnen Hallen.
Was die diesjährigen Veranstaltungen betrifft, so fiel die Planung in diesem Jahr schwerer als 2013. Es gab etliche Veranstaltungen, die ich bzw. wir gerne besucht hätte(n) – am Ende besuchten wir jedoch nur drei, da sich alle für uns interessanten Events zeitlich überschnitten.
Den Auftakt machte am Vormittag eine Lesung zu Simon Schwartz‘ neuster Graphic Novel „Vita Obscura“. Das erst vor wenigen Tagen erschienene „Vita Obscura“ ist eine Sammlung der Comics, die Simon Schwartz für die Wochenzeitung „Der Freitag“ zeichnete und die eine Vielzahl außergewöhnlicher – eben obskurer – Leben thematisieren. Schwartz las während der Veranstaltung mehrere Biografien, wobei der jeweils vorgestellte Comic auf Leinwand projiziert wurde. Dank „Prezi“ zoomte die Präsentation von einem Einzelbild ins nächste hinein, sodass das Publikum regelrecht in die Zeichnungen eintauchen konnte. Dabei gewährte Simon Schwartz auch Einblicke in seinen Arbeitsprozess und wir erfuhren, dass er den Zeichenstil an die jeweilige Geschichte anpasste: In der grafischen Biografie von Violet Jessop, die mehrere Schiffsuntergänge überlebte, haben die Bilder eine Schieflage; das Leben von Musikerin Valaida Snow orientiert sich am Stil von Plakaten für Snows gute Freundin Josephine Baker; das während des amerikanischen Bürgerkriegs spielende „Der Pechvogel“ wiederum ist an die damals beliebten Papiertheater angelehnt – hier arrangierte Simon Schwartz seine Bilder zunächst als Papiertheater und fotografierte diese anschließend ab.
Nachdem wir im Anschluss unsere Ausgabe von „Vita Obscura“ mit einer Zeichnung von Simon Schwartz individualisieren ließen, trafen wir uns mit Sindy von booksandmore81. Zu dritt schlenderten wir durch Halle 5 und tankten am Stand des Stadtmarketings von Halle Energie in Koffeinform. 13 Uhr hieß es dann aber auch schon wieder Abschied nehmen, damit jeder seinem Veranstaltungsplan nachgehen konnte.
Für uns stand nun „Ja – aber ist das Literatur?“ auf dem Programm. Angekündigt war dies als Podiumsgespräch zwischen FAZ-Journalist Andreas Platthaus und Comiczeichner Nicolas Mahler. Ich hoffte auf eine ähnlich spannende Diskussion wie im Vorjahr zum Thema „Weltliteratur in Graphic Novels“ – auf ein Erörtern nach dem Verhältnis von Comics und Literatur. Die Veranstaltung entpuppte sich dann jedoch als Präsentation von Nicolas Mahlers Werk. Natürlich war auch diese interessant – wir erfuhren beispielsweise über die Hintergründe zu Mahlers aktuellem Comic „Franz Kafkas nonstop Lachmaschine“ sowie zu seinen Comicadaptionen von Thomas Bernhards Roman „Alte Meister“ und dessen Theaterstück „Der Weltverbesserer“. Nur hatten wir eben ursprünglich etwas anderes unter dem Titel „Ja – aber ist das Literatur?“ erwartet. Dieser Frage widmeten sich Platthaus und Mahler erst am Ende der Veranstaltung etwas konkreter, als Mahler eine Episode aus „Franz Kafkas nonstop Lachmaschine“ vorstellte. Diese beginnt mit der Frage, ob Comics Kunst sind und beschäftigt sich satirisch mit der Entwicklung der Akzeptanz von Comics in der Gesellschaft. Sie thematisiert die wachsende Leserschaft und das zunehmende Interesse von Germanisten, die Comics aber grundsätzlich einen geringeren literarischen Wert zusprechen als Romanen, und schließt mit dem Fazit, dass Comics höherwertig sind als Kunst oder Literatur, da sie Bild und Text vereinen und sich nicht auf eines von beiden beschränken – ein spannender Gedanke, über den sich sicher diskutieren lässt.
Eine Stunde später fanden wir uns auf der Fantasy-Leseinsel wieder, um einer Lesung von Bernhard Hennen zu lauschen, der den dritten Band seiner „Drachenelfen“-Reihe vorstellte. Das Tolle an dem Autor ist, dass er im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen auf den Buchmessen nicht die gesamte Zeit fürs Vorlesen nutzt, sondern seine Veranstaltungen immer in eine Lesung und ein anschließendes Gespräch mit dem Publikum splittet. An diesem Freitag sprach Bernhard Hennen unter anderem von der Unmöglichkeit, sich während des Schreibprozesses an den ursprünglichen Zeitplan zu halten und von den Umständen kurz vor Abgabetermin: „Ich brauche dann morgens beim Frühstück keine Zeitung vor der Nase, um anwesend und gleichzeitig passiv zu sein … Mich etwas zu fragen, wird dann immer zum Glücksspiel: Manchmal antworte ich, manchmal nicht und manchmal sage ich etwas, das nichts mit der Frage zu tun hat – meine Kinder wissen dann schon immer: ‚Ah, der Papa ist wieder gedanklich ganz bei seinem Buch.'“ Manchmal bereut der Autor sogar, dass er sich immer das Schreiben von 900-Seiten-Wälzern vornimmt: „Wenn ich 200 Seiten geschrieben habe, denke ich mir immer: ‚Wenn du 300-Seiten-Bücher schreiben würdest, hättest du jetzt schon zwei Drittel des Buches fertig und könntest pünktlich in die Sommerferien starten.'“ Auch der Verlag verlange „nur“ 700 Seiten – doch letztlich schaffe Bernhard Hennen es nie unter 900 Seiten, da die Geschichten durch parallele Handlungsstränge und diverse Perspektiven zu komplex werden.
Daneben kündigte Bernhard Hennen an, dass der Ende des Jahres erscheinende vierte Band des „Drachenelfen“-Zyklus der letzte Teil der Reihe sein werde und der Autor danach erst einmal Abstand von den Elfen nehmen möchte. „Aber nehmen Sie das nicht zu ernst! Das sage ich seit Jahren immer wieder“, fügt er schmunzelnd hinzu. Außerdem sind auch E-Books geplant: Eine Geschichte über die Elfenkönigin Emerelle soll exklusiv als E-Book erhältlich sein und die Kurzgeschichte „Die Schlangenkönigin“, die sich im Herbst in den Neuauflagen der „Elfen“-Reihe finden wird, könnte es eventuell als E-Short geben.
Insgesamt hat Bernhard Hennen damit wieder für eine interessante, unterhaltsame Veranstaltung gesorgt und wir hoffen, dass es ihn bald noch einmal nach Ilmenau verschlägt: Bei seiner Lesung im Oktober 2011 ging der Autor im Anschluss nämlich noch mit seinem Publikum in einen der Ilmenauer Studentenclubs. ;)
Da nach Bernhard Hennens Lesung keine weiteren Veranstaltungen mehr auf unserem Plan standen, konnten wir nun (um 14.30 Uhr) erstmals in Ruhe über das Messegelände schlendern und uns mit neuer Lektüre eindecken, bevor wir am Abend völlig groggy dem Sonnenuntergang entgegen fuhren.
Ah die Mumins – das wolltest du doch schon letztes Jahr mitnehmen, oder? Schön, dass es dieses Jahr bei dir ein neues Zu-Hause gefunden hat :-)
Schöner Artikel übrigens :-) Sei froh, dass du Sonntag nicht da warst, da gings dann wirklich fast nur noch im Schneckentempo…
Letztes Jahr habe ich mir auch die Mumins geholt ;) Aber dieses Jahr eben Band 3 – das ist für mich mittlerweile zu einer kleinen Tradition geworden: Jedes Jahr auf der Buchmesse wird die Mumin-Reihe aufgestockt :D
Echt – war zum Sonntag so viel Betrieb? Ich kann immer nicht einschätzen, was für einen Sonntag auf der Buchmesse normal ist, da ich bisher immer nur Donnerstag, Freitag oder Samstag da war. Aber interessant war der Sonntag für dich ja dennoch (deinem Artikel zufolge). Ich glaub, grundsätzlich ist es gut, an zwei Tagen zu gehen – da hat man keinen Stress und muss sich nicht ärgern, wenn man wegen der Menschenmassen nicht alles mitbekommt.
Hast du eigentlich in „Dracula 2“ schon mal reingeschaut? Mich würde ja interessieren, wie sehr sich der Schreibstil von Dacre Stoker gegenüber seinem Urgroßonkel unterscheidet :D
Nein ich bin noch nicht dazu gekommen, in „Dracula 2“ reinzulesen. Hab hier erstmal klar Schiff gemacht und bin jetzt am sortieren und recherchieren und übersetzen. Mal schauen, wann ichs schaffe, aber ich denke, das Buch liegt bestimmt noch ne Weile, aber es ist ja in guter Gesellschaft ;-)
Aaaah, ein Messe-Bericht :D Schade, dass du die MCC als nicht so gelungen empfunden hast. Aber insgesamt hat dir die Messe doch gefallen, oder? :) Meine jedenfalls das größtenteils rausgelesen zu haben.
Ich habe auch ungefähr genauso viele Messebesuche hinter mir wie du und sehe das ähnlich – die Aufregung hat sich da schon etwas gelegt und es ist eben nicht mehr „neu“ (bis auf die Eintrittspreise, wenn ich mich nicht täusche …). Aber das Messefeeling geht nicht so schnell weg – das habe ich immer noch. :)
Ja, irgendwie hab ich mir mehr von der MCC erhofft. Vielleicht war es am Samstag ja auch etwas spektakulärer und bunter, da mehr Leute da waren … Wie fandest du die MCC denn?
Doch, insgesamt hat mir die Messe schon gefallen. An sich gehe ich ja auch jedes Jahr gerne hin, auch wenn das Erstaunen langsam ausbleibt. Irgendetwas gibt es schließlich immer zu entdecken :) Da geht es mir also wie dir.
:D Die Eintrittspreise, die steigen wirklich jedes Jahr. Vor nicht mal 5 Jahren hab ich als Student 7,50€ im Vorverkauf gezahlt – jetzt sind es schon 3€ mehr und gleichzeitig verringert sich der Bereich, in dem man mit dem Ticket kostenlos Zug fahren kann. Aber immerhin kann man sich seit diesem Jahr auch endlich als Blogger für die Leipziger Messe akkreditieren lassen und hat dadurch quasi Pressestatus.
Ich fand die MCC ganz gut – einige Faktoren sind mir erst durch deinen Artikel aufgefallen. Zwar fand ich sie schon vorher relativ kahl, aber jetzt weiß ich erstmal woran es liegt – weil die Dekoration etc. fehlte. Das wird sicherlich in den nächsten Jahren anders … hoffe ich. Ansonsten war es wesentlich entspannter als früher. Zum Beispiel da wo die zeichner sich selbst und ihre Werke ausstellen. Das war ansonsten ein schrecklich zusammengequetschter Bereich – das war ein Witz die letzten Jahre. Insgesamt fand ich die MCC ganz gut. :) Und hatte das Gefühl, dass sich die Messe deutlich entspannt hat.
Der zusätzliche Platz ist wirklich super. Man konnte viel entspannter an den Ständen schauen und auch die Cosplayer haben ausreichend Platz (bei Herrn von Unruhe aus „Die Schöne und das Biest“ fürchtete ich ja jedes Jahr, dass das Kostüm am Ende zur Ziehharmonika wird).
Ich muss vielleicht auch dazu sagen, dass wir erst am späteren Nachmittag in Halle 1 waren und es zu dem Zeitpunkt nicht so viele Besucher auf der MCC gab – vielleicht kam mir die Halle dadurch so extrem kahl vor?! Bei der nächsten Buchmesse werde ich natürlich trotzdem wieder auf der MCC vorbei schauen und hoffe einfach, dass die Halle in Zukunft etwas einladender gestaltet wird :D