Ein Affe wird von Engländern für einen französischen Spion gehalten und daraufhin gehängt. Was unglaublich absurd klingt, soll sich in der Hafenstadt Hartlepool tatsächlich zugetragen haben! Der Legende nach lief während der Napoleonischen Kriege vor rund 200 Jahren ein französisches Schiff vor der nordöstlichen Küste Englands nach einem Sturm auf Grund. An Bord des Schiffes befand sich auch ein Affe, der als Einziger das Unglück überlebte. Die Einwohner von Hartlepool, die noch nie einen Franzosen gesehen hatten, hielten den Affen skurrilerweise tatsächlich für einen französischen Landsmann und bezichtigten ihn der Spionage. Man machte dem armen Tier den Prozess und hängte es.
Dieser Legende haben sich nun Comicautor Wilfrid Lupano und Zeichner Jérémie Moreau gewidmet und mit ihrer Graphic Novel „Der Affe von Hartlepool“ aufgezeigt, wozu nationalistische Verblendung und Vorurteile führen können. Passend zur Zeit setzen sich die Charaktere in der Geschichte auch mit den Leitgedanken der Aufklärung auseinander. Doch nie wird die Geschichte davon überladen, der Leser nie mit philosophischen oder historischen Informationen überhäuft – stattdessen werden die Hintergründe und -gedanken eher unterschwellig vermittelt, sodass der Fokus auf der Erzählung liegen kann, die Botschaft und alle zum Verständnis notwendigen Aspekte aber dennoch den Leser erreichen. Gleichzeitig ist die Geschichte trotz ihrer eigentlichen Tragik auch sehr unterhaltsam, was an so mancher Aussage und den teilweise überzogen dargestellten Charakteren liegt: Da sind der Bürgermeister, der sich zugleich noch als Richter und Gastwirt betätigt; der alte Kriegsveteran, der seinen Verstand schon fast gänzlich verloren hat; die Trunkenbolde der Stadt, die alles glauben, was man ihnen erzählt sowie die kleinen, frechen Gören, die die Ansichten ihres Umfelds schon tief verinnerlicht haben und wohl niemals Dinge hinterfragen werden. Unterstützt wird die dadurch geschaffene Komik durch die Zeichnungen Moreaus, die einerseits zwar authentisch sind, andererseits aber auch ein gutes Maß an Abstraktion und Überzogenheit aufweisen. Das gilt insbesondere für die Figuren, die teilweise an Trickfilmcharaktere erinnern – was nicht verwunderlich ist, arbeitet Jérémie Moreau, der im Übrigen erst Mitte 20 ist, auch als Character-Designer für Animationsfilme (u.a. für „Ich – Einfach Unverbesserlich“). Daneben sind Moreaus Bilder in „Der Affe von Hartlepool“ von einer Film ähnlichen Dynamik und Atmosphäre sowie von gut gewählten Bildausschnitten und Perspektiven geprägt, sodass es leicht fällt, in die Geschichte einzutauchen und das Hartlepool des frühen 19. Jahrhunderts zum Leben zu erwecken.
Daneben steckt „Der Affe von Hartlepool“ auch voll unglaublicher Ironie: Der Kapitän des französischen Schiffes behandelt den Affen menschlicher als Afrikaner oder Franzosen, die eine englische Amme hatten und die Hartlepooler halten einerseits einen Affen für einen Franzosen, andererseits erkennen sie aber nicht, dass sich tatsächlich ein Franzose unter ihnen befindet und dieser sich sogar blendend mit den Kindern des Bürgermeisters versteht! Ja, clever sind die Charaktere der Geschichte nicht – bzw. nur sehr wenige von ihnen. Die meisten von ihnen sind zu verblendet von ihren Vorurteilen, ihrem Nationalismus und dem für Jahrhunderte lang schwierigen Verhältnis zwischen England und Frankreich. Nur drei bzw. vier Personen erkennen die Dummheit der Hartlepooler – und für eine von ihnen wird das Schicksal noch etwas Besonderes bereithalten, denn am Ende überraschen Moreau und Lupano mit einer interessanten Information, indem sie die Legende des Affen von Hartlepool mit einer historisch bedeutsamen Persönlichkeit verflechten.
Fazit:
Wilfrid Lupano und Jérémie Moreau haben mit „Der Affe von Hartlepool“ eine der inhaltlich, optisch und dramaturgisch besten Graphic Novels geschaffen, die ich je gelesen habe! Eine großartige Erzählung mit einer bedeutsamen Botschaft, die ich jedem ans Herz legen kann und die sich auch hervorragend als Schullektüre eignen würde.
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