Echo ist eine junge Kratze – also eine Katze, die in der Lage ist, mit jedem Wesen Zamoniens zu sprechen – und hat das unglückliche Los gezogen, sein liebes Frauchen verloren zu haben und ganz auf sich gestellt in der vor Krankheit und Elend triefenden Stadt Sledwaya überleben zu müssen. Hungrig und abgemagert schließt Echo in seiner Verzweiflung einen Pakt mit dem gefürchteten Schrecksenmeister Succubius Eißpin ab: Vier Wochen lang darf Echo im Hause des Schrecksenmeisters ein Leben wie im Schlaraffenland führen; nach Ablauf dieser Frist jedoch darf Eißpin Echo töten, um an dessen kostbares Kratzenfett zu kommen. Benebelt von dem Gedanken, endlich wieder etwas zu Fressen zu bekommen, ignoriert Echo sein kommendes Ende zunächst. Doch die Tage und Wochen vergehen, Echo wird immer wohlgenährter und kann vor seinem drohenden Schicksal nicht länger die Augen verschließen. Eißpin ist ihm ein guter Gastgeber und gelegentlich ereilt die Kratze sogar der Hoffnungsschimmer, dass der Schrecksenmeister doch eine Freundschaft zu Echo aufbaut und das arme Tier vor seinem Tod verschont. Doch Eißpin wäre nicht in ganz Sledwaya so gefürchtet, wenn er nicht eiskalt und unerbittlich wäre. Echo läuft die Zeit davon, Hoffnungsschimmer und Todesangst wechseln sich unaufhörlich ab. So sieht die Kratze nur eine Möglichkeit, sich zu retten: Echo muss die letzte Schreckse Sledwayas aufsuchen – ein nicht ganz ungefährliches Unterfangen, doch seine letzte Chance.
Mit der Geschichte um den Schrecksenmeister und die Kratze ist Walter Moers – wie so oft – ein kleines Kunstwerk gelungen. Zugegeben: Das epochale Meisterwerk „Die Stadt der träumenden Bücher“ kann „Der Schrecksenmeister“ nicht toppen, doch es kommt nah dran. In typischer Moers-Manier wird der Leser auf eine skurrile, abenteuerliche Reise genommen, die voller außergewöhnlicher Kreaturen ist und mit jeder Seite mehr in ihren Bann zieht. Moers‘ Fantasie ist einfach einmalig und scheinbar unerschöpflich, das gilt vor allem für die Figuren seiner Geschichten. Trotz all ihrer Unvergleichhbarkeit mit allem, was wir kennen, sind die Figuren so greifbar, vielschichtig und berührend, faszinierend oder auch einmal beängstigend. Als Kratze weist Echo viel Ähnlichkeit zu gewöhnlichen Katzen auf, was Beschreibungen seiner Denkweisen und Handlungen Katzenbesitzer nicht selten zu einem zustimmenden Schmunzeln anregt. Doch auch jeder andere Leser wird sich in die Kratze einfach verlieben. Der Abschied am Ende des Buches fällt daher nicht leicht, ja, man wird sogar ein wenig sentimental. Neben Echo spielen aber auch alle anderen Figuren eine ganz besondere Rolle – jede mit ihrer Geschichte, ihren Eigenarten. Keine Figur ist nur Beiwerk oder Mittel zum Zweck, sondern als völlig eigenständiges Wesen dargestellt. Klischees oder einseitige Charaktere gibt es in Moers‘ Werk nicht. Selbst vermeintlich böse Wesen haben Herz, töten und handeln nicht völlig ohne Grund. Wenn Eißpin seine erstklassigen Kochkünste zur Schau stellt, Echo aufregende, realistische Halluzinationen beschert, ihn über die Alchemie belehrt und Geschichten erzählt, keimt beim Leser sogar eine zeitweise Sympathie für den eiskalten Herrscher der Stadt auf und man vergisst vorübergehend die Grausamkeiten, die der Schrecksenmeister verübt. Neben diesen einzigartigen und facettenreichen Charakteren besticht „Der Schrecksenmeister“ auch durch Moers‘ wie immer genialen, schwarz-weißen Illustrationen, den Erfindungsreichtum, den leichten, entführenden Schreib- und Erzählstil sowie vor allem durch die Dramaturgie. Moers schafft es jedes Mal aufs Neue, seine Figuren und damit seine Leser in hoffnungslose Situationen zu bringen; doch gerade, wenn der Protagonist seinem Ende nahesteht, wendet sich das Blatt radikal. Obwohl jedem, der Moers‘ Bücher kennt, diese Situationen mehr als vertraut sind, fiebert man dennoch immer wieder mit – es scheint stets unvorstellbar, wie der Autor eine so vertrackte, ausweglose Situation ins Positive lenken möchte. Doch zeigt sich, dass die Fantasie Moers‘ viel größer ist, als man glaubt – stets hält er sich ein Hintertürchen auf, durch das er Echo retten kann. Spannung und Leichtigkeit liegen in „Der Schrecksenmeister“ stets nahe beieinander. Neben all seiner Fantastik gibt es aber auch etliche Aspekte, die dem Leser aus der menschlichen Wirklichkeit vertraut sind. So erinnert Echos halluzinogenes Erlebnis als Dämonenbiene – durch die Gehirnwäsche, die ihn im Bienenstock ereilt, und die Gefahr, die ihm droht, nachdem er anders agiert als seine Mit-Bienen – sehr an das Leben in einer Diktatur. Szenen wie diese machen „Der Schrecksenmeister“ zu mehr als nur reiner Unterhaltung.
Fazit:
Walter Moers ist mit „Der Schrecksenmeister“ eine düstere Geschichte mit sehr ausgefeilten, liebenswerten Charakteren und detailliert ausgearbeiteten Schauplätzen gelungen. Das Buch zieht in den Bann und die Seiten fliegen regelrecht davon. Ein fesselnder und kurzweiliger Roman, der von seinen Lesern die ganze Palette an Emotionen erfordert und gewohnt genial-skurril daherkommt. Moers‘ Fantasie ist grenzenlos und „Der Schrecksenmeister“ wie alle anderen Werke des Autors etwas ganz Besonderes und Einzigartiges.
Geplauder