In dem kleinen schwedischen Dorf Hesjövallen wurden in einer verschneiten Januarnacht 19 Menschen – darunter ein  kleiner Junge – auf brutalste Weise erst gefoltert und dann ermordet. Von einem Motiv geschweige denn einem Täter fehlt jede Spur und ganz Schweden hält über diese Grausamkeit den Atem an. Durch Zufall kommt der Ort der Richterin Birgitta Roslin bekannt vor: Die Adoptiveltern ihrer Mutter lebten dort – und gehören ebenfalls zu den Opfern. Durch einen weiteren Zufall kommt Birgitta auf eine Spur – die zu einem Chinesen führt. Die Polizei nimmt Roslins Vermutung, die wahrlich auch weit hergeholt ist, nicht ernst und verhaftet stattdessen einen anderen Mann, der zunächst gesteht und sich dann das Leben nimmt. Doch Birgitta Roslin glaubt ebenso wenig wie der Reporter Lars Emanuelsson daran, dass dieser Mann der Täter war. Dennoch nimmt die Richterin zunächst Abstand von der Geschichte. Stattdessen ergibt sich ihr die Möglichkeit, mit ihrer alten Freundin Karin nach Peking zu reisen – womit ein Traum für die ehemalige Anhängerin Maos in Erfüllung geht. Doch schon bald wird Birgitta Opfer eines Taschendiebstahls und wird in den folgenden Tagen von der chinesischen Polizei und der geheimnisvollen Hong umlagert. Die übertriebene Höflichkeit und Aufmerksamkeit der Polizei machen Birgitta skeptisch – soll das Verhalten etwas damit zu tun haben, dass Birgitta in China die Spur des potenziellen Hesjövallen-Mörders wiederaufgenommen hat?

Immer mehr eigenartige Ereignisse passieren und Birgittas Suche nach dem Täter bringt nicht nur sie, sondern auch Hong in Lebensgefahr. So zieht der Mord von Hesjövallen seine Kreise von Schweden über China und Afrika bis nach London.

Henning Mankell schafft es, in „Der Chinese“ nicht die üblichen Krimigeschichten zu erzählen. Seine Geschichte scheint zunächst stellenweise weit hergeholt, ist jedoch so durchdacht und porträtiert detailliert die egoistischen, von Hass und Rache erfüllten Gedanken des Täters. Und obwohl stellenweise weit ausgeholt wird – so geht das Geschehen zurück bis ins 19. Jahrhundert -, Mankell einen großen geografischen Bogen spannt und eine Vielzahl an Charakteren auftreten lässt, kommt es nie zu Verwirrungen oder fehlenden Anknüpfungen. Wie auch der Täter alles ins kleinste Detail durchdenkt, so gibt es auch in dem Roman für alles einen Grund – Ereignisse der Zukunft basieren auf den Geschehnissen der Vergangenheit. Alles knüpft aneinander an und die Geschichte wird so nicht nur an der Oberfläche behandelt. Allerdings hat das Buch aufgrund des dramaturgischen Umfangs ein paar Längen.

Nicht zu leugnen ist, dass Mankell den schmalen Grat zwischen Krimi, Historie und Landesporträt hervorragend gemeistert hat, hier sei allein die Verknüpfung der Handlungsorte England, USA, China, Zimbabwe und Schweden erwähnt. Mankell hat sich in der „Der Chinese“ einer schwierigen Aufgabe angenommen und diese mit Bravour gemeistert. Nichts geht verloren oder bleibt unaufgelöst, alles führt irgendwo hin. Nie kommt das Gefühl auf, dass er nicht wisse, warum er historisch so weit ausholt oder etliche Nebenhandlungen einfügt. Nur einen kleinen dramaturgischen Fehler habe ich kurz vor Ende entdeckt. Um Spoiler zu vermeiden, sei hier nur erwähnt, dass es sich dabei um etwas handelt, dass der Täter in Birgitta Roslins Haus findet, was zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht da gewesen sein konnte.

Wer der Täter ist, wird dem Leser schnell deutlich gemacht, ebenso die Gründe für das brutale Morden. Dennoch bleibt es spannend und man fragt sich, wie es weitergeht und was mit dem Täter passiert. Das Buch bietet vielseitige Ereignisse und Wendungen. Das Ende ist temporeich und der Gipfel der Spannung.

Stilistisch ist der Rahmen der Geschichte zu betonen: Sie beginnt aus Sicht eines Wolfes, der im Winter hungrig zum Schauplatz des Mordes gelangt, und endet mit diesem. Besonders interessant ist dabei der Anfang, der durch die Beschreibung des Wolfstages sehr atmosphärisch ist.

Typisch Mankell kommt natürlich auch seine Afrika-Thematik vor – jedoch ohne sich aufzuzwingen und dieses Mal aus einem neuen Gesichtspunkt, nämlich Chinas Rolle und Einfluss auf den „schwarzen Kontinent“. Mankell hat auf diese Weise einen gelungenen Bogen zwischen seinen Krimis und seinen Afrika-Romanen geschaffen.

Fazit:

„Der Chinese“ wartet mit einer komplexen, weitgreifenden, aber niemals ins Leere laufenden Geschichte auf, die zwar ein paar Längen hat, aber etliche Wendungen, historische und politische Hintergründe bereit hält. „Der Chinese“ ist kein 08/15-Krimi, den man einfach mal so nebenbei wegliest oder der sich üblicher Genrestandards bedient. Zusätzlich beinhaltet er für Mankell typische Elemente und verleiht ihm so ein unverkennbares Alleinstellungsmerkmal in der großen Krimi-Branche.