Christoph hat es tatsächlich geschafft: Er ist der erste Mensch, der in der Zeit reiste. Dass er bei diesem Experiment im England des Jahres 1808 landete, war allerdings nicht beabsichtigt. Und irgendwie ist das Zeitreisen plötzlich auch gar nicht so, wie er es sich immer ausgemalt hatte. Davon abgesehen, weiß Christoph nicht, wie er in seinen Zeit zurückkehren soll, denn „ES“, die Macht, die ihn in die Vergangenheit schickte, ist weg. Völlig ahnungs- und planlos verweilt der Zeitreisende ein paar Tage bei der jungen und hübschen Kate und ihren Eltern. Hier findet er Zuflucht, Essen und bekommt Informationen über die Umstände, die im Jahre 1808 herrschen. Gleichzeitig kann Christoph ungestört seine Gedanken sammeln und sich einen Plan schmieden, wie es weitergehen soll. Erschütternde Feststellung: „ES“ – und damit der nächstmögliche Zeitsprung – tauchen erst 1809 erneut auf. Und zwar im nordafrikanischen Tanger! Da dies aber die einzige Möglichkeit ist, alsbald zurück in die Gegenwart zu kommen, heuert Christoph auf der „Victory“ an, ein Kriegsschiff der Royal Navy. Es folgen anstrengende Monate auf See, in denen Christoph den rauen Umständen des Matrosenlebens ausgesetzt ist: Kälte, Nässe, fehlende Privatsphäre, ein lebensgefährlicher Sturm und schließlich auch ein Angriff gegen die Franzosen im spanischen Vegadeo. Nicht selten muss Christoph um sein Leben fürchten. Und zu allem Überfluss sieht er sich plötzlich dazu gezwungen, die Truppe in Vegadeo militärisch zu führen – und das Leben aller in seinen Händen zu halten!

Zur gleichen Zeit muss auch Christophs Frau Claudia erkennen, dass sie in der Vergangenheit gelandet ist – ohne Geld und ohne zu wissen, was mit Christoph geschehen ist. Doch sie hat Glück: Die wohlhabende Familie Talbot nimmt sich ihrer völlig selbstlos an, gewährt ihr Kleidung und sorgt dafür, dass Claudia ein Dach über dem Kopf hat. Ohne zu zögern unterstützen die Talbots Claudia bei ihrer Suche nach Christoph. Diese muss jedoch bald mit ansehen, wie sich die „Victory“ mit ihrem geliebten Ehemann auf den Weg nach Spanien macht. Zum Glück planen die Talbots eine Reise ins Mittelmeer und erklären sich bereit, Claudia mitzunehmen, damit diese Christoph bald wieder in ihre Arme schließen kann. Doch Claudia ahnt schon sehr früh, dass die Talbots ein Geheimnis umgibt und ihre Hilfsbereitschaft nicht dauerhaft ohne Gegenleistung bleiben wird …

Der zweite Band der „Lost in History“-Reihe unterscheidet sich thematisch sehr vom ersten Band – weniger wissenschaftlich, dafür sehr actiongeladen. Hat sich Protagonist Christoph im ersten Band vorwiegend theoretisch mit Zeitreisen beschäftigt, steckt er nun mitten im Abenteuer. Dabei nützen ihm seine betriebswirtschaftlichen Kenntnisse wenig und auf dem Schiff scheint er anfangs alles andere als nützlich zu sein. Die akademische Landratte trifft auf harte körperliche Arbeit mitten im Ozean. Es ist sehr interessant zu sehen, wie Christoph mit diesen Umständen umgeht und welche Veränderung er durchmacht. Er scheint fast ein ganz anderer Mensch zu sein – herausgerissen aus seinem Lebensumfeld und konfrontiert mit einer gänzlich anderen Gesellschaft, anderen Werten und anderen Alltagsbedingungen. Die dadurch entstandene Vertiefung und Weiterentwicklung seines Charakters ist sehr spannend mitzuerleben. Dass sich der Protagonist im Laufe der Handlung weiterentwickelt, ist zwar theoretisch ein unbeschriebenes Gesetz in der Literatur, heutzutage aber scheinbar nicht mehr allzu oft angewandt, bleiben in vielen Büchern die Protagonisten doch sehr blass und monoton. Umso mehr Spaß macht es, in „Lost in History – Vergangenheit“ eine gänzlich andere Seite an Christoph zu erleben, zu sehen, wie er sich immer wieder aufs Neue Herausforderungen stellen muss, die nicht zu seinem alten Leben passen und bei denen auch er an sich völlig neue Seiten entdeckt. Trotz aller Probleme und Zweifel geht Christoph dabei nicht immer bitterernst mit sich selbst um, sondern hat eine gehörige Portion Selbstironie!

Zu Beginn des Buches scheinen die vielen Informationen, die Christoph von Kates Vater erhält, zu erschlagen und erinnern ein wenig an den Geschichtsunterricht, doch sind sie wichtig und nützlich – denn genau wie Christoph wüsste auch der Leser nicht jedes Detail über die gegenwärtige (politische) Situation der Zeit. Gleichzeitig helfen die Fakten dem Leser, sich ein gutes Bild der Zeit zu machen und die Geschichte historisch genauer einbetten zu können.

Wunderbar geschildert ist Christophs Zeit auf See. Sehr detailreich wird ein glaubhaftes Bild der Situation geliefert. Man kann sich die harten Lebensbedingungen nur zu gut vorstellen und die Geschichte scheint sich wie ein Abenteuerfilm vor dem geistigen Auge abzuspielen. Die Darstellung der Zeit ist generell zu loben: Im Gegensatz zu vielen historischen Filmen und Büchern wird nichts romantisch verklärt. Axel Westerwelle weist sehr authentisch die realen Lebensumstände des 19. Jahrhunderts auf – den Dreck und Gestank in den Straßen und auf dem Schiff, die hygienischen Bedingungen, die Enge und den gänzlich fehlenden Komfort. Nichts wird beschönigt. Dies macht die Handlung glaubhaft und lebendig. Schnell merkt der Leser, dass so eine Reise durch die Vergangenheit alles andere als ein Zuckerschlecken und längst nicht so toll ist, wie in vielen Zeitreisegeschichten dargestellt.

Bei so viel Lebendigkeit und Abenteuern ist das Buch auch sehr schnell durchgelesen. Durchgehend fragt man sich, ob Christoph in Tanger ankommen wird und ob Claudia ihn findet – fühlt man doch die ganze Zeit mit ihr, wie sie zunächst verzweifelt in der Vergangenheit nach ihrem Liebsten sucht und dann tatenlos mit ansehen muss, wie er davon segelt. Nicht selten scheinen Situationen ausweglos zu sein – doch hilft der Zufall immer wieder aus. Aber wie lange? Wird Christoph so einfach zurück in die heutige Zeit springen können, wie er sich das vorstellt? Erreicht Claudia ihn noch rechtzeitig oder muss Christoph am Ende ohne sie zurückreisen? Viele Fragen bleiben offen und verlocken zum Lesen des dritten Bandes – „Lost in History – Rückkehr“.

Fazit:

Axel Westerwelles „Lost in History – Vergangenheit“ bietet Abwechslung, Spannung und vor allem Abenteuer. Genau wie Protagonist Christoph erwartet den Leser sehr viel neues und Unbekanntes. Es eröffnet sich eine Welt, die mit unserer modernen Welt scheinbar wenig gemeinsam hat. Dabei gibt der Autor eine sehr authentische Darstellung des 19. Jahrhunderts wider, ohne dabei auf Witz und Selbstironie des Protagonisten zu verzichten. Durch detailreiche Beschreibungen von Ereignissen und Orten schaltet sich das Kopfkino ein und zeigt eine Geschichte, die mit jedem Piraten- oder Abenteuerfilm mithalten kann.

 

Für die großzügige Bereitstellung der drei „Lost in History“-Bände bedanke ich mich tausendfach bei Axel Westerwelle und dem Hamburger Verlag!