Während meine liebe Bloggerkollegin und Mitleserin MissBooleana ihren Aufenthalt in Maycomb schon hinter sich hat, hänge ich noch in dem kleinen Südstaaten-Nest fest. Doch 200 Seiten und damit 2/3 des Romans liegen hinter mir und mit der kindlichen Idylle in Scouts und Jems Leben ist es nun vorbei, denn dass Atticus einen Schwarzen verteidigt, ruft nicht nur die „besorgten Bürger“ Maycombs auf den Plan und sorgt für Ärger unter den Einwohnern, sondern versetzt auch die Finch-Kinder in Angst. Damit wird das Buch nun für mich deutlich spannender, auch wenn es bislang lediglich eine Szene gegeben hat, die mich intensiv zu fesseln vermochte und mir längere Zeit im Gedächtnis bleiben wird.
Es ist immer wieder erschreckend zu sehen – nicht nur im Roman, sondern auch in unserer aktuellen Lebenswirklichkeit – was Hass und Vorurteile anrichten können, wozu sie Menschen verleiten. Im Fall von Maycomb brauchte es in der (bislang) brenzligsten Situation die Unschuld und Unbefangenheit eines Kindes, einer Person, die mit ihrer Unbedarftheit an Menschlichkeit erinnert und daran, dass es kein „die einen“ und „die anderen“ gibt bzw. geben darf, sondern immer nur ein „wir“.
„So it took an eight-year-old child to bring ‚em to their senses, didn’t it? […] That proves something“ p. 173 #ToReadAMockingbird — MissBooleana (@MissBooleana) 22. November 2015
Was mich bei „To Kill a Mockingbird“ bislang am meisten bewegt, sind jedoch weniger die eigentlichen Geschehnisse in Maycomb, als vielmehr die Übertragbarkeit der Themen und Verhaltensmuster auf die gegenwärtige Situation hier in Deutschland. Wie ähnlich sind doch die Denkweisen und die Rhetorik derer, die meinen, „die alte Ordnung“ vor dem Fremden schützen zu müssen.
Auch in Maycomb bedienen sich die „besorgten Bürger“ der Kein-Aber-Rhetorik. #ToReadAMockingbird #Vorurteile #Hetze pic.twitter.com/DtZ2zKjRsr
— Phantásienreisen (@Phantasienreise) 15. November 2015
Doch die Handlung in „To Kill a Mockingbird“ dreht sich – wie schon in meinem ersten Zwischenbericht geschildert – nicht ausschließlich um Atticus Finchs Verteidigung eines der Vergewaltigung bezichtigten Afroamerikaners, sondern vor allem auch um Jems und Scouts Entwicklung. Besonders deutlich wird das bei Jem, der inzwischen der Kindheit entwachsen ist, sich damit auch von seiner jüngeren Schwester Scout distanziert und künftig mit „Mr Jem“ angeredet werden soll.
‚Mr Jem‘ … ich bin mir noch nicht sicher, ob ich das ernstnehmen kann :D #ToReadAMockingbird #ToKillAMockingbird — MissBooleana (@MissBooleana) 9. November 2015
„when Jem permitted me to accompany him (he was now positively allergic to my presence when in public)“ – Kenn ich… #ToReadAMockingbird
— Phantásienreisen (@Phantasienreise) 12. November 2015
Und auch Scout soll sich verändern – zumindest, wenn es nach den Menschen in ihrer Umgebung geht. Jem, der unlängst noch darüber klagte, dass Scouts Angst vor Boo Radley furchtbar mädchenhaft sei, findet nun, dass Scout sich doch bitte ihrem Geschlecht entsprechend benehmen soll.
Erst kritisiert Jem Scout für mädchenhaftes Benehmen – und nun ist sie ihm nicht Mädchen genug.Logik großer Brüder… #ToReadAMockingbird — Phantásienreisen (@Phantasienreise) 7. November 2015
Dies bei Scout zu erreichen, hat sich Tante Alexandra zum Ziel gesetzt – und dafür kann man Scout nur bemitleiden, denn abgesehen von einer besserwisserischen Art weist Alexandra ein ziemlich konservatives, von Oberflächlichkeiten geprägtes Frauenbild auf.
Das Frauenbild ist in den ’30ern noch sehr festgefahren&eindimensional.Arme Scout… #ToReadAMockingbird pic.twitter.com/LpNcPAHid6
— Phantásienreisen (@Phantasienreise) 10. November 2015
Wobei … was die Sache mit den Jungs angeht, ist Scout wohl schon weiter, als das konservative Tantchen glaubt. Denn obwohl sie noch im Grundschulalter ist, spricht Scout von ihrer Sandkastenliebe Dill bereits wie ein hoffnungslos verknallter Teenager und die beiden plaudern darüber, wo die Babys herkommen und überlegen, ob sie sich denn nicht einfach eines anschaffen sollen. Was für eine herrlich amüsante Naivität …
„With him, life was routine, without him, life was unbearable.“ Scout über Dill. Das muss Liebe sein XD #ToReadAMockingbird p.128 — MissBooleana (@MissBooleana) 10. November 2015
Und so prallen in diesem Buch zwei Welten aufeinander: die Unschuld und Sorgenlosigkeit der Kindheit versus die ernste, von Rassismus und fragwürdigen Werten geprägt Welt der Erwachsenen. Letzteres ist es, das nun zunehmend in den Fokus des Romans gerät. Der Prozess läuft und Atticus hat die Glaubwürdigkeit der ersten Zeugen bereits ins Wanken gebracht. Nun bin ich gespannt, ob sich die Bewohner Maycombs die Augen öffnen lassen oder weiter von ihrem Rassismus blenden lassen.
Verfolgen könnt ihr MissBooleanas und meinen Ausflug nach Maycomb auf Twitter unter dem Hashtag #ToReadAMockingbird. Außerdem könnt ihr unsere Eindrücke in den einzelnen Zwischenberichten nachlesen:
♦ Ankündigung: Miss Booleana und Phantásienreisen lesen die Spottdrossel
♦ MissBooleanas Rezension: „ausgelesen: Harper Lee ‚To Kill A Mockingbird‘ (engl. Ausgabe)“
Sehr schöner Zwischenbericht und Ausflug nach Maycomb :D – gut zusammengefasst mit den beiden Handlungssträngen Kindheit und auf der anderen Seite Rassismus und Gewalt. Bin schon sehr gespannt wie du das Buch im letzten Drittel findest!
Ja, ich bin auch sehr gespannt, wie es weitergeht. Irgendwie habe ich so ein Gefühl, dass die ganze Geschichte für Jem noch von besonderer Bedeutung ist – so sehr wie er sich auf den letzten 100 Seiten weiterentwickelt hat, kann der Prozess doch nicht spurlos an ihm vorbeigehen…