Dorf der IdiotenEin Mann namens Pierrot beschließt eines Tages, ein Dorf für sich und all jene zu gründen, die von der Gesellschaft das Label „Idiot“ aufgestempelt bekommen haben und im Zuge dessen verspottet und ausgegrenzt worden sind. Schnell findet Pierrot Unterstützer für seine Idee, die bald darauf in einer kleinen Welt nur für sich leben.

Die französische Autorin Max Monnehay hat sich für ihren 2012 erschienenen Roman „Dorf der Idioten“ ein wirklich spannendes Gedankenexperiment überlegt, das das Potenzial für reichlich Diskussionsstoff birgt: Was macht einen Menschen zum (vermeintlichen) „Idioten“ – eine geistige Behinderung, der IQ oder vielleicht doch die Gesellschaft respektive das persönliche Umfeld eines Menschen? Und inwieweit verhalten sich die Einwohner des Dorfs der Idioten besser als ihre Umwelt, wenn sie jene abweisen, die sich ein Leben in dem Dorf wünschen, aber Dorfchef Pierrot nicht idiotisch genug erscheinen oder wenn Protagonist Bastien alle Nicht-Idioten durchweg beleidigt?

„Dorf der Idioten“ könnte also ein grandioses Buch sein – wohlgemerkt: könnte! Max Monnehay nutzt die Idee des Dorfes lediglich als schmückendes Beiwerk, als eine Art Aufhänger oder Trigger, um die Geschichte des Ich-Erzählers Bastien zu erzählen. Die Einwohner des Dorfes grenzen sich von der übrigen Gesellschaft ab, leben unabhängig – doch wie sich dieses Dorfleben genau gestaltet, mit welchen Problemen die Bewohner zu kämpfen haben, wird kaum erfahrbar. Vieles wird nur kurz und recht faktisch präsentiert. So heißt es, dass immer mehr Leute in das Dorf ziehen wollten und es entsteht der Eindruck, als gäbe es einen regelrechten Ansturm auf das Idiotendorf. Doch wird hierauf kaum näher eingegangen und es bleibt unklar, warum so viele nach dem Leben im Dorf strebten oder wie der Rest des Landes auf dieses ungewöhnliche Dorf reagiert. Monnehay wirft ihren Lesern diverse Informationen zu, die man einfach so annehmen muss, ohne selbst die Möglichkeit zu haben, die Geschehnisse „mitzuerleben“ oder gar zu hinterfragen. Auch die Charaktere der Geschichte blieben durchweg facettenlose Statisten, die ich auf der nächsten Seite bereits wieder vergessen hatte. Für mich blieb folglich die gesamte Dorfgemeinschaft kein bisschen greifbar und das Konzept eines Dorfes für Idioten zu schwammig und undurchdacht.

Stattdessen dreht sich alles ausschließlich um Bastien: seine Kindheit, sein Einzug ins Dorf, das tragische Ereignis, welches ihn und seine Geliebte in Lebensgefahr brachte … Dabei konnte ich mich nie des Eindrucks erwehren, dass es eigentlich gar nicht um die Ereignisse an sich geht, sondern lediglich darum, dass Bastien sich einmal so richtig über alles in seinem Leben auskotzen kann (um mich einmal der im Roman verwandten Ausdrucksweise zu bedienen). Es scheint, als wolle Bastien einfach nur über alles und jeden seine Meinung äußern, die in der Regel immer negativ ist. Entsprechend ist auch seine Erzählweise durchweg geprägt von einer Anti-Alles-Haltung – selbst wenn es nur um etwas Banales wie einen Wochentag geht:

„Sara hatte die Haustür zugeschlagen, als wir anderen an einem Sonntag, der seine Sonne in vollen Zügen auskotzte, zu einem Picknick aufgebrochen waren.“ (Eichborn 2013, S. 23)

Sympathisch ist Bastien wahrlich nicht. Auch die Umstände, unter denen er groß geworden ist, konnten nicht mein Mitgefühl wecken, denn letztlich ist Bastien keinen Deut besser als die von ihm kritisierte Gesellschaft, ja er erschien mir sogar wie ein regelrechtes Arschloch (um mich noch einmal der Ausdrucksweise im Buch zu bedienen).

Hinzu kommt, dass Bastiens vermeintlicher Intellekt und seine sprachliche Stilistik nicht recht zusammenpassen. Glaubt man Bastiens Schilderungen darüber, was die Idiotie von ihm und den anderen Dorfbewohnern ausmacht, so muss der IQ extrem niedrig sein. Die Personen können scheinbar nicht einmal die einfachsten, alltäglichsten Dinge und Bastien vergisst während einer Busfahrt gar, wie er die Toilettentür entriegeln kann. Zugleich drückt sich Bastien aber – trotz seiner Vulgärsprache – zuweilen intelligent aus. Zwar wird im Verlauf des Buches deutlich, dass er bei Weitem nicht der Idiot ist, für den er sich stets hielt, doch unter Berücksichtigung seiner Vorbildung erscheint seine Ausdrucksweise dennoch nicht glaubhaft: Bastien hat wenig Bildung genossen, seine Mutter gab ihm stets nur Kinderbücher zu lesen – selbst nachdem Bastien die 20 Jahre überschritten hat – und so ist es doch recht unwahrscheinlich, dass ein Mensch mit diesem Bildungshintergrund zum Teil stark verschachtelte Sätze, viele (teils ungewöhnliche) Metaphern, Begriffe wie „Kakophonie“ oder Vergleiche wie „[s]eine Stimme am Telefon war farblos wie Alaska“ (s. 20) nutzt. Autorin Max Monnehay mag sich zwar grundsätzlich gut ausdrücken können, doch gelingt es ihr nicht, die Ausdrucksweise an ihre eigenen Charaktere anzupassen und ihnen somit Authentizität zu verleihen.

Fazit:

Max Monnehays „Dorf der Idioten“ liegt ein spannendes, diskussionswürdiges Gedankenexperiment zugrunde, das die Autorin aber leider nicht weitergesponnen hat. Stattdessen präsentiert sie ihren Lesern einen schrecklich unliebsamen Protagonisten und changiert zwischen Vulgarismus und (pseudo-)intellektuellem Geschwafel. Vergeudetes Potenzial und eine doch sehr enttäuschende Leseerfahrung, die ihr euch wahrlich sparen könnt.

Diese Rezension ist auch als Gast-Beitrag auf Lesen macht glücklich erschienen. An dieser Stelle daher ein Dankeschön an MacG für die Bereitstellung des Buches!