Autor und Filmemacher Robert Krieg während der Vorstellung von "... und über uns kein Himmel" auf der Leipziger Buchmesse

Autor und Filmemacher Robert Krieg während der Vorstellung von „… und über uns kein Himmel“

Nachdem mein Donnerstag auf der Leipziger Buchmesse mit der Thematik der Euthanasie begann, stand kurze Zeit später erneut die Zeit des Nationalsozialismus auf dem Programm. Doch lag der Fokus nun nicht auf physisch oder psychisch Kranken, sondern auf Waisenkindern. Dazu stellte Dokumentarfilmer Robert Krieg die im vergangenen Herbst erschienene Graphic Novel „… und über uns kein Himmel“ vor. Gemeinsam mit Zeichner Daniel Daemgen erzählt er in dem Comic die Geschichte des Jungen Fritz Blume. Nachdem seine Mutter versucht hat, sich das Leben zu nehmen, wird sie in die Psychiatrie eingewiesen. Ihr Sohn kommt in ein Heim, in dem man jedoch nicht sonderlich um sein Wohl besorgt ist: In der Zeit des nationalsozialistischen Regimes gelten die Waisen in den Kinderheimen als sozial minderwertige, nutzloser Esser, die auf Kosten der Gesellschaft versorgt werden müssen. Sexueller Missbrauch und andere körperliche Qualen sind hier keine Seltenheit. Für viele Kinder sind die Heime auch das Todesurteil. Fritz Blume hat jedoch Glück und überlebt die Zeit.

Die Geschichte von Fritz Blume basiert auf wahren Begebenheiten. Autor Robert Krieg lernte während seines Studiums Paul Wulf kennen, der während des NS-Regimes verfolgt und als „Minderwertiger“ zwangssterilisiert wurde. Dadurch war er für die Thematik der nach nationalsozialistischer Ideologie „Lebensunwerten“ besonders sensibilisiert und beschäftigte sich über Jahre hinweg damit. Während seiner Recherchen erfuhr er viel über Kinder, die während der NS-Zeit in Heimen aufwuchsen und sprach mit Betroffenen, was später die Basis für „… und über uns kein Himmel“ werden sollte.

Die Umsetzung als Graphic Novel war für Robert Krieg totales Neuland, das ihn einerseits vor neue Herausforderungen stellte, andererseits aber Potenziale hatte, die Text allein oder Filme nicht bieten konnten. So konnte das Innenleben des fiktiven Fritz Blume durch die gezeichneten Bilder viel stärker und vor allem extremer bzw. andersartiger dargestellt werden. Bestimmte Szenen wären so in einem Film nie umsetzbar gewesen, da sie für den Schauspieler emotional wie körperlich zu viel abverlangt hätten. Das Medium „Graphic Novel“ ermögliche Lesern laut Robert Krieg eine eigene, gute Balance zwischen emotionaler Eingebunden- bzw. Ergriffenheit und der Wahrung einer gesunden Distanz zu den Ereignissen.

Wichtig war Robert Krieg und Zeichner Daniel Daemgen bei ihrem gemeinsamen Werk, zu zeigen, dass es nach 1945 keinen radikalen Umbruch gab. Das Personal der nationalsozialistisch geprägten Erziehungsanstalten blieb weiterhin auf seinen Positionen, insbesondere da es an Nachwuchskräften mangelte. Ärzte, deren Diagnosen für unzählige Waisen den Tod bedeuteten, wurden nicht verurteilt – nicht zuletzt, weil es (gefälschte) positive Zeugenaussagen gab, die vor dem gerechten Urteil bewahrten. Doch auch innerhalb der Gesellschaft erfolgte kein unmittelbares Umdenken, denn das „Ideal des modernen Menschen“, das die Basis für Euthanasie und das Schicksal der Heimkinder bildete, wurde bereits während der Weimarer Republik begründet. Dadurch waren mehrere Generationen geprägt. Dies zeigte sich im Übrigen nicht nur im medizinischen und therapeutischen Bereich, sondern auch in der Schul- und Ausbildung. Kinder wurden von ehemaligen Nazis unterrichtet, die ihnen ihre Ideologien auch nach 1945 weiterhin einbläuten. Ein während der Buchmessen-Veranstaltung anwesender Zuhörer konnte die von Robert Krieg beschriebene Situation nach 1945 sogar selbst bestätigen und berichtete von seiner Schulzeit in den 1950ern, die von nationalsozialistisch denkenden Lehrkräften geprägt war. Die Verhältnisse änderten sich nach Aussage von Robert Krieg erst im Rahmen der 68er Bewegung. Die Ergebnisse dieses neuen, toleranten und respektvollen Denkens zeigten sich jedoch erst in den 1990ern, was verdeutlicht, wie langsam gesellschaftlicher Wandel erfolgt. Und auch die ehemaligen Heimkinder wurden in ihrem Erwachsenenleben immer wieder mit ihrer Vergangenheit konfrontiert – das ihnen auferlegte Stigma stellte sie immer wieder vor neue Herausforderungen, in dem ihnen beispielsweise die Ausübung bestimmter Berufe verwehrt wurde.