Es ist der längste und stärkste Schneesturm, den die USA je gesehen haben. Das kalte Weiß liegt meterhoch und beerdigt unter sich jegliche Zivilisation – kein Strom, keine Heizung, kein Kontakt zur Außenwelt. Unter diesen Bedingungen sitzen auch Scotty, seine beiden besten Freunde, vier weitere Schüler sowie ein Lehrer nach Schulschluss in der örtlichen Highschool fest. Hofft die Gruppe anfangs noch auf ein Ende des Schneesturms und darauf, bald wieder Zuhause im Warmen zu sitzen, wird sie bald eines Besseren belehrt. Sie können regelrecht zusehen, wie die Schneemassen vor der Eingangstür wachsen. Um Hilfe zu holen, begibt sich Lehrer Gossell hinaus in die eisigen Schneewehen – eine hoffnungslose Wanderung, von der er nie zurückkehren soll.

Auf sich allein gestellt sitzen die Jugendlichen tagelang in der Schule fest. Dank der Schulkantine haben sie zwar ausreichend Nahrung, doch Kälte, Dunkelheit, eingefrorene Wasserleitungen und damit schlechte Hygienebedingungen stellen die sieben unterschiedlichen Schüler vor Herausforderungen, die sie nur überwinden können, indem sie zusammenarbeiten und ihre gegenseitigen Vorurteile ablegen. Gemeinsam lösen sie diese Probleme gut durchdacht und mit Einfallsreichtum. Schon bald werden sie aber vor Gefahren gestellt, denen sie nicht mehr gewachsen sind. Wenn sie überleben wollen, muss schnell Rettung nahen – doch die haushohen Schneemassen begraben unter sich jede Wahrscheinlichkeit auf Rettung durch andere. Ein Ausweg scheint unter den immer schlechteren Umständen unmöglich.

Michael Northrop hat sich für ein Szenarium entschieden, das die Menschen an ihre Grenzen führt – eine Katastrophe so gewaltig, dass selbst die besten Techniken, Rettungspläne und -mannschaften nicht helfen könnten; ein Schneesturm, der die unbezwingbare, unvorhersehbare Macht der Natur ins Bewusstsein ruft. Eine dramatische Situation, deren Ausmaße auf alltägliche Selbstverständlichkeiten Northrop glaubhaft darlegt, deren psychische Folgen hingegen jedoch eher unterschätzt wurden. Ein Ereignis, wie es in „Kälte“ geschildert wird, bringt Erwartungen an eine starke Dramatik mit sich. Hierfür kommt die Darstellung der Geschichte jedoch zu leicht herüber. Zum einen liegt dies an der doch recht großen Unbeschwertheit der sieben Teenager, zum anderen daran, dass Protagonist Scotty, der die Geschichte erzählt, stellenweise auch humorvoll berichtet. Es ist schade, dass dadurch die Beklommenheit, die den Leser bei einer solchen Thematik normalerweise packen würde, verloren geht. Andererseits lockert der teils schwarze Humor auf und macht das Buch für die jugendliche Zielgruppe zu einem leichteren Leseerlebnis. Gerade für die Behandlung im Unterricht, für die der Loewe Verlag unter www.loewe-schule.de auch eine Lehrerhandreichung bereitgestellt hat, kann dies von Vorteil sein: Die Schüler haben so die Möglichkeit, sich mit einem ernsten Thema auseinanderzusetzen, behalten aber ausreichend Distanz, um sachlich über das Buch zu sprechen. Eine auf Emotionen abzielende Auseinandersetzung mit dem Stoff, die für viele Jungen und Mädchen in größeren Gruppen während der Pubertät zu peinlich oder zu intim wäre, lässt sich durch die entspannte Erzählweise des Protagonisten vermeiden und kann Schüler so auch gegenüber Diskussionen zu Buch und Thematik öffnen.

Erzähler Scotty Weems spricht die Leser in seinem Buch direkt mit „euch“ an und berichtet weniger, als würde er zu ihnen schreiben, sondern vielmehr, als säße er seinem Publikum gegenüber und würde zu ihnen sprechen, beispielsweise fragt er die Leser, ob er etwas Bestimmtes schon erwähnt habe. Northrop hat seinem Protagonisten auch sonst einen sehr natürlichen Stil gegeben. Die Ausdrucksweise ist locker und jugendlich, aber nie betont cool oder aufgesetzt. Auf Modewörter oder extremen Slang wird verzichtet, selbst geflucht wird nur in Maßen: Krasse Schimpfwörter werden vermieden oder nur angedeutet, indem Scotty erzählt, dass im Streit mehrfach das F-Wort fiel. Auch das Fallenlassen von Markennamen oder das Betonen von Statussymbolen hat Northrop fast gänzlich vermieden. Die beiden mit festsitzenden Freundinnen Krista und Julie haben ein iPhone – teilen sich dieses jedoch; ansonsten hat jeder Schüler nur einfach ein Handy mit oder ohne Apps. Das macht Northrops Jugendbuch authentisch, relativ unabhängig von Trends und lässt es auch in kommenden Jahren noch nahe an der Lebenswirklichkeit Jugendlicher sein.

Die Charaktere, die Northrop in der Highschool gemeinsam festsitzen lässt, könnten unterschiedlicher kaum sein: Scotty der Sportler, Les der Angst einflößende Schulrowdy, Elijah der mysteriöse und stille Freak, Pete so durchschnittlich, dass er vollkommen unscheinbar und austauschbar scheint, Krista und Julie die gutaussehenden und beliebten Mädchen von nebenan – und Jason, der mit seinen Camouflage-Klamotten, seinem Faible für alles Militärische und seinem Ruf nach quasi perfekt in das Schema bisheriger Attentäter passen würde. Diesen auf den ersten Blick stereotyp erscheinenden Figuren lässt Michael Northrop aber genug weitere Facetten zukommen. Er zeichnet Gründe für die Wesensart und Handlungsweisen der Jungen auf und bringt seine Charaktere dazu, hinter die Fassaden der anderen zu blicken, ihre verschiedenen positiven und negativen Seiten zu entdecken. Auch Erzähler Scotty ist trotz seines Sportlerstatus – der ihn eigentlich zu einer Art Schulstar machen sollte – eher einer unter vielen und ist alles andere als perfekt, was ihm selbst auch sehr bewusst ist. Lediglich die beiden Mädchen Julie und Krista bleiben recht blass. Sie sind die Vorzeigemädchen, ohne große Makel oder Schwächen und ähneln sich zu sehr, was sie untereinander sehr austauschbar macht.

Alles in allem hat Michael Northrop trotz des ernsten Themas ein lockeres Jugendbuch geschrieben, das auf die Zielgruppe ideal zugeschnitten ist und sich auch leicht und schnell lesen lässt. Für die einzelnen Ereignisse und das Kennenlernen der ersten Figuren lässt der Autor seinen Lesern viel Zeit. Das Ende kommt daher sehr abrupt und lässt doch einige Fragen offen. Als Leser wünscht man sich mehr davon zu erfahren, was während all der Tage außerhalb der Schule geschah oder ob Scotty und seine „Mitgefangenen“ jedes ihrer Familienmitglieder gesund und munter in die Arme schließen können. Eine Art abschließender Gesamtüberblick über die Folgen des größten Schneesturms aller Zeiten hätte das Ende mehr abgerundet und das Buch etwas vollendeter scheinen lassen.

Fazit:

In „Kälte“ hat Michael Northrop eine ernste Thematik ohne Schwermut aufgearbeitet. Der jugendlichen Zielgruppe wird der Roman mehr als gerecht – sowohl stilistisch als auch inhaltlich, da neben dem verheerenden ökologischen Ereignis auch ganz alltägliche Sorgen und Probleme Jugendlicher angesprochen werden. Michael Northrop gibt den jungen Lesern dabei einen Protagonisten, der sie wie ein Freund direkt und mit sehr authentischer, natürlicher Wortwahl anspricht.

Vielen Dank an Loewe für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplares!