Natürlich habe ich bei meiner Rückkehr zu den Gefährten wieder gemerkt, dass der erste Band an manchen Stellen doch ganz schöne Längen aufweist. Während des mit dem Job- und Wohnortwechsel verbundenen Trubels hatte ich daher zwischenzeitlich größere Lesepausen eingelegt. Wenn ich dann aber einmal einen ruhigen Abend oder Tag hatte, war ich schnell tief in Tolkiens Welt versunken. Ich genoss die Gemütlichkeit und Schönheit des Auenlandes, lachte mit und über Merry und Pippin, zitterte auf dem Pass des Caradhras, lauschte wie verzaubert Gimlis Liedern und Erzählungen, litt in den Minen Morias unter Furcht und Traurigkeit, fühlte mich aber stets sicher und geborgen in der Nähe Aragorns und Gandalfs.
Ich liebe die Figuren, die Tolkien erschuf. Ihre so unterschiedlichen Charaktere und Stärken harmonieren und ergänzen sich im Kontext der Handlung hervorragend und tragen wesentlich dazu bei, dass „Der Herr der Ringe“ eine so breite Leserschaft gewonnen hat. Doch es sind vor allem Gandalf, Aragorn, Merry und Pippin, die seit Jahren einen besonderen Platz in meinem Herz haben.
Neben den Figuren und der eigentlichen Geschichte liebe ich „Der Herr der Ringe“ aber auch wegen Tolkiens wundervollem sprachlichen Stil und der unglaublich komplexen, stark durchdachten Welt, die weit über die Trilogie hinaus geht.
Dabei schafft es Tolkien immer wieder, Orte und Personen derart anschaulich zu porträtieren und eine so dichte Atmosphäre aufzubauen, dass ich mich fühlte, als wäre ich mittendrin an den unterschiedlichen Schauplätzen. In den Minen Morias war dies besonders intensiv. Für einige Zeit saß ich nicht mehr in meinem Lesesessel, mit einem heißen Tee neben mir, sondern befand mich mit einem Gefühl der Beklemmung in der unterirdischen Dunkelheit, fürchtend, was dort lauert und wissend, was Gandalf bevorsteht.
Dieses Talent Tolkiens, seine Welt so greifbar und real wirken zu lassen, hat dann auch den paradoxen Effekt, dass ich mich immer wieder gern mit Frodo und den anderen auf die Reise durch Mittelerde begebe, obwohl der Weg nach Mordor führt, von Furcht, Entbehrungen und Strapazen geprägt ist und wir von einer lebensgefährlichen Situation in die nächste geraten. Folglich saß ich auch beim Re-Read immer wieder strahlend vor Faszination vor dem Buch. Als irgendwann mitten in der Nacht die letzten 150 Seiten von „The Fellowship of the Ring“ vor mir lagen, war ich so absorbiert von der Geschichte, dass ich mich regelrecht dazu zwingen musste, das Buch bis zum nächsten Tag zur Seite zu legen und ein wenig Schlaf zu finden.
Meine Freude über die Rückkehr nach Mittelerde war in diesem Sommer sogar so groß, dass ich mich kurzerhand dazu entschloss, parallel dem Hörbuch zu lauschen – meine nun täglichen U-Bahn-Fahrten verschafften mir immerhin genug Hörzeit. Doch während ich Tolkiens Meisterwerk in gedruckter Form auf Englisch lese, griff ich bei der Hörbuchversion auf die deutsche Produktion zurück. Das Hörbuch fußt auf der Übersetzung von Wolfgang Krege, die bekanntermaßen nicht ganz unumstritten ist. Als ich vor Jahren zum ersten Mal „Die Gefährten“ in der klassischen grünen Taschenbuchausgabe las, fiel mir die Übersetzung weder als besonders positiv, noch als besonders negativ auf. Nachdem ich nun aber das englischsprachige Original kannte und Kreges Übersetzung hörte, konnte ich die Kritik stellenweise nachvollziehen. Dabei sind es weniger die teils gewöhnungsbedürftigen Wortwahlen wie „Chef“, die mich störten. Vielmehr fiel mir auf, wie unharmonisch die Übersetzung eigentlich ist. Tolkiens Sprachstil hat etwas fast schon Poetisches, Melodisches, was erheblich zur Atmosphäre der Geschichte beträgt. Dieses Melodische fehlt in der deutschsprachigen Übersetzung von Krege gänzlich; die Worte klingen deutlich härter und nüchterner. Lediglich die Lieder empfand ich als gekonnt ins Deutsche übertragen.
Auch mit Achim Höppner als Sprecher des Hörbuchs habe ich mich zunächst schwer getan. Das lag zum einen daran, dass sich seine Interpretation der Figuren fast ausnahmslos von meiner eigenen sowie den Rolleninterpretationen durch die Schauspieler der Verfilmung unterschied. Zum anderen war aber auch Höppners Umsetzung bestimmter Passagen nicht wirklich passend zur inhaltlichen Aussage, bspw. wenn Höppner als Frodo oder Sam einen Satz laut und schnell ausstößt, obwohl der Satz von Frodo oder Sam eher ein Grübeln und Vor-sich-hin-murmeln ist, was im Text auch entsprechend ausgewiesen ist.
Mit zunehmender Stundenzahl hatte ich jedoch das Gefühl, dass Höppner mehr in die Figuren „hineingewachsen“ ist und vor allem seine Darbietung von Gimli und Glóin gefiel mir gut. Sehr gelungen empfand ich auch Achim Höppners Rezitation der Lieder – hier schaffte es der Sprecher regelmäßig, mich in die alte Welt der Legenden zu holen und die Zeit für einen Augenblick stillstehen zu lassen. Mein persönlicher Favorit war das Lied von Durin, das ich prompt mehrfach hörte.
Was hat mich sonst noch während meines Re-Reads von „Die Gefährten“ beschäftigt? Da wäre zum einen die Tatsache, wie viel ich doch vergessen oder anders in Erinnerung hatte. Dass die Gefährten erst 17 Jahre nach Bilbos Verschwinden aufbrechen und Frodo zu diesem Zeitpunkt bereits 50 ist, hatte ich absolut nicht mehr im Hinterkopf. Und die Erkenntnis, dass Saruman ein Diener Saurons ist, hatte ich irgendwie immer im zweiten Band verortet, obwohl dies schon im ersten Band ans Licht kommt. Zum anderen wurde mir beim Re-Read deutlicher als je zuvor bewusst, dass „Der Herr der Ringe“ nicht nur erstklassige Fantasy mit einer hervorragend erzählten Geschichte und wundervollen Figuren ist, sondern vor allem auch ein wunderbares Buch über Freundschaft, Zusammenhalt, Mut, Selbstvertrauen und das Über-sich-hinaus-wachsen. Und noch ist diese Geschichte nicht zu Ende erzählt …
J. R. R. Tolkien: „The Lord of the Rings“ (50th Anniversary Editon), Houghton Mifflin 2004, ISBN: 0-618-51765-0
J. R. R. Tolkien: „Der Herr der Ringe. Erster Teil: Die Gefährten“ (Hörbuch, gelesen von Achim Höppner), aus dem Englischen übersetzt von Wolfgang Krege, Der Hörverlag 2006, ASIN: B00563BPZU
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Für mich ist das beste an dem Buch dieses unvergleichlich melancholische Ende, dass Mittelerde zwar gerettet wurde, aber nicht für Frodo bzw. die Völker der Hobbits und Elben, dass diese entschwinden müssen und die Welt niemals mehr sein wird wie zuvor, wenn ich nur daran denke, kommen mir die Tränen. Das großartigste und traurigste Ende zugleich.
Ich muss gestehen, ich kenne das ursprüngliche Ende nicht, da ich bei meiner ersten Lektüre des HdR nur Band 1 und zum Teil Band 2 gelesen hatte. Im Film lebten hingegen alle glücklich ihre alten Leben weiter. Daher bin ich gespannt, nun den von Tolkien erdachten Ausgang der Geschichte zu erleben. Aber basierend auf deinen Zeilen stimme ich dir zu: es klingt traurig, aber trotzdem auch tröstlich.
Na ja, Frodo ja nicht wirklich… Ich hoffe, das war jetzt kein Spoiler für dich, ich dachte, du kennst alle drei Teile schon (sorry!) Das Filmende entspricht durchaus dem Buchende, es wird nur nicht so klar, was das bedeutet.
Bei den Filmen kenne ich alle drei Teile (sogar in der Extended Edition), habe sie aber schon seit Jahren nicht mehr gesehen. Erst diese Woche dachte ich noch, dass ich die Filme mal wieder sehen müsste – über für solche Epen fehlt mir gerade die Zeit. Ich habe das Ende nur so in Erinnerung, dass alle wieder im Auenland leben, Sam heiratet und Frodo zwar stiller ist, aber das Leben im Allgemeinen für alle relativ normal weitergeht… Ich muss unbedingt mal mein Wissen auffrischen. :D
Da fehlt tatsächlich etwas in deiner Erinnerung. Jetzt weiß ich nicht, ob ich dir es sagen soll oder ob das dann noch gespoilert ist ;-) Ich lasse es dich am besten selbst lesen.
Hach, das klingt richtig schwelgerisch und macht mir tatsächlich etwas Lust die Bücher nochmal zu lesen. Was eine ziemliche Leistung ist, denn ich war tatsächlich nicht so wahnsinnig angetan davon. Allerdings habe ich sie auch als Teenager gelesen und das in einem „Fan-Wahn“ nachdem ich den ersten Teil im Kino gesehen habe. Damals empfand ich die Bücher als sehr sehr zäh und langatmig, aber ich kann mich an so gut wie nichts konkretes erinnern. Vermutlich war da zuviel Wahn im Fan-Wahn …
Vor einer Weile habe ich den ersten Teil der Filme wieder geschaut und wollte bis Weihnachten auch die anderen beiden nochmal sehen. Mal schauen, ob ich auf lange Sicht auch nochmal die Bücher aufgreife … und sie jetzt vllt anders lese als damals
Hm, ich glaube, für Jugendliche können die Bücher schon schnell ernüchternd wirken – sie sind eben doch sehr ausschweifend. Tolkien lässt sich viel Zeit, hinzu kommen die Lieder und Geschichten, die aufgegriffen werden. Als Erwachsene weiß man das, denke ich, eher zu schätzen. Ich kann dir aber dann nur empfehlen, zum englischsprachigen Buch zu greifen – Tolkien hat so einen bildhaften, schönen Sprachstil, was im Deutschen leider verloren geht.
Die Filme möchte ich auch gern mal wieder schauen, aber momentan fehlt mir die Zeit / Motivation, mich so viele Stunden vor einen Bildschirm zu setzen, v.a. da ich die Trilogie gern am Stück sehen möchte.