Fumiyo Kounos Manga „In This Corner of the World” entdeckte ich im Frühjahr während des Gratis Comic Tags und war sofort von Klappentext und Zeichenstil gefangen. Später entdeckte ich, dass der Carlsen Verlag die Reihe vor allem Liebhabern des Animes „Die letzten Glühwürmchen“[1] empfiehlt. „Die letzten Glühwürmchen“ zählt zu den besten Animes aller Zeiten und ist auch mein absoluter Favorit. Entsprechend hohe Erwartungen hatte ich nun an „In This Corner of the World“.

In dem dreibändigen Manga begleiten wir die verträumte und tollpatschige Suzu von ihrer Kindheit bis ins Erwachsenenalter. Band 1 konzentriert sich dabei auf Alltäglichkeiten und dokumentiert, wie durchschnittlich und weitgehend unbesorgt ihr Leben verlief, bis der Zweite Weltkrieg sich auch auf Japan auswirkte.

Suzu verlebt zunächst in Hiroshima eine unbeschwerte Kindheit. Das Leben in ihrer Familie ist von viel Liebe, der gemeinsamen Arbeit beim Algenernten und regelmäßigem Streit mit dem großen Bruder geprägt. Einen ersten Bruch erfährt Suzus Leben, als sie Shusaku heiratet und zu ihm und seiner Familie nach Kure zieht. Ihre Ehe ist anfangs von Distanz geprägt und Shusakus große Schwester gibt Suzu immer wieder zu verstehen, wie wenig sie von ihr hält.

Als ich den ersten Band beendet hatte, war ich über diese Gewöhnlichkeit und Alltäglichkeit enttäuscht. Mangaka Fumiyo Kouno stammt wie ihre Protagonistin Suzu aus Hiroshima. Vor diesem Hintergrund und in Anbetracht der historischen Ereignisse hatte ich einen sehr emotionalen Manga erwartet, der den Krieg und die Folgen des Atombombenabwurfs auf Hiroshima in den Fokus rückt. Davon war im ersten Band nichts zu spüren. Im Gegenteil: Der Manga enthielt sogar viele humoristische Elemente, die von Suzus Tollpatschigkeit und Tagträumerei ebenso herrührten wie von den Karikaturen, die sie von ihrem Bruder zeichnete. Gerade Suzus Tollpatschigkeit wurde mir aber schnell langweilig, da Kouno ihrer Protagonistin immer dieselben Missgeschicke passieren ließ. Was wie ein Running Gag anmuten sollte, wirkte leider platt und einfallslos.

Aufgrund der übergeordneten Thematik und dem Trailer zur Verfilmung des Mangas blieb ich trotz dieser Enttäuschung neugierig. Zum Glück! Denn mit Band 2 wendete sich das Blatt und die Geschichte nahm Wendungen, die deutlich stärker meiner ursprünglichen Vorstellung des Mangas entsprachen.

Im zweiten Band rückte Fumiyo Kouno den Krieg starker in den Fokus. Wir sehen, wie sich ganz Kure auf die Luftangriffe vorbereitet und wie mit Nahrungsmittelknappheit umgegangen wird. Parallel dazu rückt auch Suzus und Shusakus Ehe stärker in den Fokus. Wir erleben ihre Momente der Nähe und Intimität ebenso wie ihre Krisen und Geheimnisse. Diese „kleinen“, privaten Szenen hat die Mangaka sehr gekonnt und natürlich mit dem „großen“ Thema Krieg verwoben. Dabei gibt sie auch unterschiedlichen Personenkreisen eine Stimme: den Marinesoldaten, die wissen, dass sie diesen Krieg nicht überleben werden; den Familien, die geliebte Menschen verloren haben, und sogar den Prostituierten in den Hafenstädten. Das macht Band 2 sehr facettenreich und schafft den Übergang von der Normalität des ersten Bandes zu den Schrecken, die sich im dritten Band über Suzus Welt legen.

Im dritten und finalen Band dominiert der Krieg alles: nahezu pausenloser Fliegeralarm, zerstörte Häuser, zerstörte Leben. Der sonst so fröhlichen Suzu fällt es zunehmend schwerer, Sinn in allem zu sehen, zu hoffen und zu lachen. All das ist verpackt in ausdrucksstarke Bilder, die kaum Wörter oder Erklärungen bedürfen und sich ins Gedächtnis einbrennen. Der finale Band verlangt seinen Leserinnen und Lesern emotional einiges ab, wenngleich mir die schmerzvollste Szene zu schnell abgehandelt wurde.

Der Abschluss der Reihe steht somit in starkem Kontrast zum Auftakt. Rückblickend fügt sich der fröhliche, unbeschwerte erste Band dadurch doch noch gut in die gesamte Reihe ein, macht er im direkten Vergleich mit dem tragischen dritten Band die extreme Umwälzung von Suzus Leben doch umso deutlicher.

Nach meiner anfänglichen Enttäuschung wurde „In This Corner of the World“ somit zu einer Reihe, die ich weiterempfehlen kann und die einen dauerhaften Platz im heimischen Regal erhalten wird – trotz mancher Kritikpunkte. So störten meinen Lesegenuss im zweiten Band diverse Fehler (fehlende Klammern, Fehler im Satzbau, falsche Seitenangeben im Glossar) und bis zum dritten Band fand ich zu etlichen Figuren keinen richtigen Zugang. Insbesondere zwischen Protagonistin Suzu und mir blieb bis zuletzt eine Distanz. Nebencharaktere wie Shusaku, Suzus Mitschüler Tetsu, ihre Nichte Harumi und die Prostituierte Rin waren mir dafür umso näher und ihre Geschichten haben mich besonders berührt. Nicht zuletzt ist es Tetsu zu verdanken, dass ich in Zukunft in den Meereswellen immer weiße Hasen sehen werde.

Fazit:

Fumiyo Kouno hat mit „In This Corner of the World” eine Manga-Reihe erschaffen, deren Wirkung und Botschaft sich erst nach der Lektüre aller drei Bände gänzlich entfaltet und die zeigt, wie der Krieg ein Leben für immer verändert. Eine (Lebens-)Geschichte voller Tragik und Schmerz, aber auch voller Leichtigkeit, Humor und Hoffnung.

Fumiyo Kouno: „In This Corner of the World”, aus dem Japanischen übersetzt von Cordelia Suzuki, Carlsen 2018

ISBN Band 1: 978-3-551-71195-3

ISBN Band 2: 978-3-551-71196-0

ISBN Band 3: 978-3-551-71197-7


[1] Der Anime ist eine Verfilmung der Kurzgeschichte „Das Grab der Leuchtkäfer“ von Akiyuki Nosaka und erzählt die Geschichte zweier Geschwister, die sich während des Zweiten Weltkrieges allein durchschlagen müssen.